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Flaute im Paradies

Eigentlich wäre an der Amalfi-Küste längst Hochsaison. Doch Hotels und Trattorien sind geschlossen. Einer ganzen Region droht in ein wirtschaftliches Desaster.

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Ein Blick auf Amalfi von Ravello aus. Auch die beliebte italienische Strandregion leidet schwer unter der Corona-Krise.
Ein Blick auf Amalfi von Ravello aus. Auch die beliebte italienische Strandregion leidet schwer unter der Corona-Krise. © imago images

Von Dominik Straub, Amalfi

Vom dunkelblauen Meer her weht eine leichte, milde Brise, über der Piazza Flavio Gioia am Hafen von Amalfi wölbt sich ein strahlender Frühlingshimmel. Doch auf dem großen Platz, wo in dieser Jahreszeit normalerweise im Viertelstundentakt Touristenbusse ankommen, herrscht wenig Betrieb. Die Ticket-Schalter für die Ausflugsboote nach Ischia, Capri, Positano, Sorrento, Salerno und zur Grotta dello Smeraldo sind geschlossen. Aber immerhin: Auf den Bänken der Mole und des „Lungomare“, der Meerpromenade, sonnen sich ein paar Einheimische. Und auf der kleinen Piazza dei Dogi bieten die Händler an ihren Ständen frisches Gemüse und Früchte an. Auf den ersten Blick wirkt alles beinahe normal – nur Touristen sind nicht zu sehen.

Amalfi und die gleichnamige Küste, die sich von Salerno im Süden über rund 50 Kilometer nach Sorrento im Norden erstreckt, ist eines der bekanntesten und beliebtesten Reiseziele Italiens überhaupt. Seit 1997 zählt die einstige „Repubblica Marinara di Amalfi“ mit ihren steil aufragenden Felsen, den pastellfarbenen kleinen Fischerstädtchen, der kurvenreichen Küstenstraße, den zahllosen türkisfarbenen Buchten und den Zitronenhainen auf schwindelerregenden Felsterrassen zum Unesco-Weltkulturerbe. Schon zu Zeiten des „Grand Tour“ im 18. und 19. Jahrhundert, als Künstler, Dichter und Adlige aus dem Norden das Belpaese bereisten, war die Küste in der heutigen Region Kampanien der Inbegriff der deutschen Italien-Sehnsucht gewesen. Nirgends ist Italien so sehr das „Land, wo die Zitronen blühen“ wie an der Costiera Amalfitana.

Das Paradies am tyrrhenischen Meer ist von der Corona-Krise mit voller Wucht getroffen worden: „Bei uns leben fast alle Familien in irgendeiner Form vom Tourismus“, sagt der Bürgermeister von Amalfi, Daniele Milano: „Hoteliers, Besitzer von Restaurants, Trattorien und Bars, Bootsverleiher, Transportunternehmen, Zulieferer, Tour-Anbieter: Alle sind mit massiven Umsatzeinbußen konfrontiert, oft zu 100 Prozent.“ Die Verluste gehen jetzt schon in die zig Millionen Euro; bis Jahresende befürchtet der Tourismusverband der Region Kampanien Ausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe. Doch das Schlimmste an der Situation sei die Ungewissheit, betont der Bürgermeister: Zwar könnten die Hotels nun etwas früher als geplant, nämlich am nächsten Montag, wieder öffnen – aber man wisse bis heute nicht, wie und mit welchen Auflagen: Die entsprechenden Protokolle aus Rom sind nach wie vor unbekannt.

Ein großes Problem

Unbekannt ist aber vor allem auch, ob überhaupt noch Gäste kommen werden: 90 Prozent der Touristen an der exklusiven Küste stammen aus dem Ausland. Und das ist großes Problem: Im Unterschied zu Regionen wie Rimini, Venedig, Florenz oder Rom, wo die inländischen Gäste einen deutlich höheren Anteil am Umsatz ausmachen, ist die Amalfi-Küste fast ausschließlich auf die Ausländer angewiesen.

„Werden die Amerikaner, die Deutschen, die Australier, die Schweizer, die Österreicher, die Japaner und die Skandinavier überhaupt anreisen können und wollen? Werden die Grenzen und die Flughäfen wieder geöffnet werden – und wenn ja wann?“ fragt sich Giovanni Di Martino, der im malerischen Positano einen kleinen Albergo und einen Weinladen besitzt. Di Martino beschäftigt üblicherweise elf Angestellte, im Moment „sitzen alle zu Hause“. Er müsste sie jetzt eigentlich darüber informieren, wann sie wieder beginnen können, aber: „Ich weiß nicht, ob ich in diesem Jahr acht, fünf, drei – oder gar keinen von ihnen brauchen werde.“ Den Albergo und den Laden in einer Woche öffnen zu dürfen, sei ja schön und gut – aber es müsse sich auch rechnen.

Die Ungewissheit bedrückt fast alle Menschen an der Amalfi-Küste. „Ich weiß nicht, ob wir in diesem Jahr überhaupt noch öffnen werden“, sagt Rita Buonacore mit Tränen in den Augen. Sie betreibt zusammen mit ihrem Mann unweit des Hauptorts Amalfi ein Viersternehotel mit eigenem kleinen Strand. Normalerweise sei das Hotel im Mai völlig ausgebucht – doch Anfang März, als die Corona-Epidemie in Norditalien ausbrach und die Regierung von Giuseppe Conte den Lockdown verfügte, wurden sämtliche Buchungen storniert. „Die Rechnungen, die Zinsen, die Steuern und die staatliche Konzessionsgebühr für den Strand laufen aber weiter. Wenn die ausländischen Gäste auch im Sommer und Herbst ausbleiben, sind wir verloren“, betont Rita Buonacore.

Lockdown im ungünstigsten Zeitpunkt

Die Touristenorte der Amalfi-Küste sind insgesamt wohlhabend; die meisten Familienbetriebe haben Reserven und können ein paar Monate auch einen Totalausfall wegstecken. Aber eben nur ein paar Monate: „Wenn wir nicht bald aufmachen können, werden wir für immer schließen müssen“, betont der Lido-Besitzer Sebastiano. Er führt zusammen mit seinen Brüdern und den Söhnen in einer sandigen Bucht zwischen Amalfi und Positano, die nur per Boot erreichbar ist, einen kleinen Bezahlstrand mit Bar. Die Liegestühle und die Sonnenschirme hat er wegen mangelnder Kundschaft noch nicht aufgestellt, die Bar ist zu. Das Meer vor seinen Augen ist wegen der fehlenden Touristenboote und Jachten derart ruhig und kristallklar, dass Sebastiano vom Strand aus wieder Delfine beobachten kann. Normalerweise fliehen die Meeressäuger vor dem Motorenlärm.

Mehr als zehntausend Familien leben an der Amalfi-Küste direkt vom Tourismus – unter ihnen viele Saison-Angestellte, die von Anfang April bis Ende Dezember als Kellner, Dienstboten, Chauffeure oder Zimmermädchen arbeiten. Für sie kam der Lockdown im ungünstigsten Zeitpunkt: Anfang März, also genau in dem Moment, als die dreimonatige staatliche Kurzarbeiter-Entschädigung auslief und die Hauptsaison wieder beginnen sollte. Gleichzeitig ist der von der Regierung versprochene „Bonus“ von 600 Euro für Härtefälle bis heute nicht angekommen. Die Folgen: Selbst im reichen Amalfi muss die Gemeinde jede zehnte der 2.000 Familien mit Nahrungsmittelpaketen versorgen, wie Bürgermeister Milano erzählt.

„Wir Saison-Angestellten sind nun seit über zwei Monaten ohne jedes Einkommen, und die Regierung lässt uns im Stich“, sagt Paolo, der jetzt eigentlich im Ristorante „Terminal“ am Hafen von Amalfi an der Bar stehen würde und nun stattdessen auf der Piazza vor der Kathedrale mit zwei ebenfalls arbeitslosen Kollegen plaudert. Sie haben keine Ahnung, ob und wann sie in diesem Jahr wieder arbeiten können. Der 28-Jährige Paolo versucht es mit schwarzem Humor: „Jetzt gehen wir eben öfter in unserem traumhaften Meer schwimmen – sonst ist das ja nicht möglich, da haben wir keine Zeit dazu.“

Null Viren, null Touristen

Hilfe für die Erwerbslosen kommt in Amalfi nicht nur von der Gemeinde. Zum Beispiel auch von den Brüdern Francesco und Salvatore Gambardella: Sie führen unweit der Piazza Duomo in Amalfi eine Take-Away-Pizzeria, die am 4. Mai nach 45 Tagen wieder öffnen durfte. Die beiden Pizzaioli haben die „Pizza sospesa“ eingeführt: Man kann bei ihnen eine Pizza kaufen, die man dann nicht selber isst, sondern Bedürftigen überlässt. „Wir haben sehr viele Anfragen“, sagt Francesco. Verdienen tun die beiden Brüder nichts an ihrer Aktion. „Und auch sonst machen wir wegen der fehlenden ausländischen Gäste praktisch keinen Umsatz – aber wir sind froh, dass wir wenigstens wieder arbeiten können“, betont Francesco. Die ganze Situation sei schon „eigenartig und surreal“.

Trotz des gegenwärtigen totalen Stillstands und der ungewissen Aussichten und der Sorgen bleiben die meisten Küstenbewohner verhalten optimistisch. Fast überall werden Außenwände getüncht und Restaurant-Terrassen hergerichtet; in Amalfi werden die Mosaike in der Fassade der Kathedrale restauriert und in Positano lärmen Presslufthämmer, weil das Kopfsteinpflaster in der Fußgängerzone erneuert wird. „Wir wissen zwar nicht, wann die Gäste wieder kommen – aber wir wollen bereit sein“, betont Hotelier Giovanni Di Martino in Positano. Um ihre Alberghi wieder öffnen zu können, müssen die Besitzer alle Zimmer und Gemeinschaftsräume desinfizieren – was nach Monaten gähnender Leere etwas absurd wirkt.

Dabei war an der Küste das Virus ohnehin kaum vorhanden und seit Tagen gab es keine einzige Neuansteckung mehr. Aber auch das gehört zum grotesken Drama der Traumgegend: Null Viren – und trotzdem null Touristen: „Nicht einmal wir Einheimischen können in einer Bar einen Kaffee trinken oder abends Spaghetti essen gehen“, sagt Barmann Paolo. Die Amalfi-Küste ist geschlossen.

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