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Corona: kein Gast, kein Geld, keine Zukunft

Mit der Aktion "Leere Stühle" haben Gastwirte und Hoteliers in Pirna auf ihre dramatische Lage aufmerksam gemacht. Doch etwas Hoffnung gibt es inzwischen.

Von Thomas Möckel
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Jens und Grit Schwemmer, Inhaber der "Ziegelscheune am Waldpark" in Pirna: "Wir wissen nicht, ob wir das überleben."
Jens und Grit Schwemmer, Inhaber der "Ziegelscheune am Waldpark" in Pirna: "Wir wissen nicht, ob wir das überleben." © Marko Förster

In der Pirnaer Schifftorvorstadt, etwas abseits der Hauptwege, liegt die "Ziegelscheune im Waldpark", sie ist Lokal und Pension zugleich, über 130 Jahre gibt es diese Wirtschaft schon. Normalerweise läuft das Haus um diese Jahreszeit im Hochbetrieb, Feste und Feiern stehen an. 

Doch das alles funktioniert nicht mehr, für den Gasthof - wie für alle anderen Gastro-Betriebe auch - gilt die staatlich verordnete, coronabedingte Zwangspause. Von einem Tag auf den anderen mussten die Inhaber Grit und Jens Schwemmer alles von Hundert auf Null fahren. Seit Wochen geht das schon so, die Küche ist kalt, die Betten sind leer, die drei festen Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.

"Wir verdienen gerade gar nichts", sagt Grit Schwemmer. Zwar bot das Lokal zu Ostern Speisen außer Haus an, die Aktion soll am 30. April wiederholt werden, doch auf Dauer lohnt der Service nicht, weil das Haus nicht an der Peripherie liegt. Auch große Feiern, beispielsweise zur Jugendweihe und Geburtstagen, sind abgesagt. Gäste und Kneiper mit Mundschutz kann sich Grit Schwemmer auch nur schwer vorstellen.

Das Schlimmste, sagt sie, sei jedoch die Perspektivlosigkeit, die Ungewissheit, weil keiner wisse, wann die Lokale wieder öffnen dürfen. Doch sie braucht eine Perspektive, braucht klare Ansagen, worauf sie sich einstellen muss. "Sonst wissen wir nicht", sagt Grit Schwemmer, "ob wir das überleben."

Stirbt die Ausflugsgastronomie?

Diese Ungewissheit, diese Angst stehen symptomatisch für eine ganze Branche: Gastwirte und Herbergsbetreiber  im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge fürchten um ihre Existenz, die derzeitige Situation ist für sie ein Debakel: kein Gast, kein Geld, keine Zukunft.

Wie dramatisch die Lage ist, verdeutlichen Schätzungen der Branchenverbände. "Aufgrund der Corona-Krise droht 30 bis 50 Prozent der gastronomischen Einrichtungen in der Sächsischen Schweiz das Aus", sagt Judith Fichtner, Vorsitzende des Dehoga-Regionalverbandes Sächsische Schweiz. 

Ein ähnlich düsteres Bild zeichnet auch der Wirtestammtisch Altenberg, bei dem sich 21 Betriebe organisiert haben. "Knapp die Hälfte der Gastronomie- und Beherbergungsunternehmen wird wirtschaftlich nicht überleben, sollten die Einschränkungen weiter andauern", sagt Sprecher Jochen Löbel. Auf diese Weise werde die Ausflugsgastronomie im Erzgebirge und in der Sächsischen Schweiz weiter sterben.

Stornierungswelle muss gestoppt werden

Angesichts der alarmierenden Signale haben die Betriebe nun öffentlich auf ihre Notlage aufmerksam gemacht. Mit der Aktion "Leere Stühle" demonstrierten sie am Freitag auf dem Pirnaer Markt für einen Ausweg aus der existenzbedrohenden Situation. 

Etwa 50 Gastronomen und Hotelbetreiber aus der Sächsischen Schweiz nahmen daran teil, jeder stellte etwa zehn Stühle auf den Marktplatz. Nach Aussage von Judith Fichtner stand jeweils ein Stuhl für einen derzeit geschlossenen Betrieb, 450 bis 500 gastronomische Einrichtungen gebe es in der Sächsischen Schweiz.  Vor allem sollten die Stühle aber zeigen: so leer ist es momentan in jedem Gasthof und in jedem Hotel.

Es war ein stiller Protest, auf Plakaten hatten die Betriebe ihre Forderungen notiert: Mehrwertsteuer runter auf sieben Prozent, Kurzarbeitergeld rauf auf 80 Prozent. "Vor allem aber brauchen wir eine Wiedereröffnungsstrategie, um eine weitere schreckliche Entwicklung zu verhindern", sagt Löbel. Staatliche Stellen müssten endlich entsprechende Termine und damit verbundene Auflagen rechtzeitig und transparent kommunizieren. Denn die Stornierungswelle, die bei einigen Betrieben nun schon Silvester 2020/21 erreicht habe, müsse nachhaltig gestoppt werden.

Zudem fordern die Gastronomen staatliche Soforthilfen auch für größere Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern. 

Zukunft ungewiss, Perspektive fehlt

Dass es gelegentlich auch mit der bisher zugesagten Soforthilfe nicht immer rund läuft, zeigt ein Beispiel aus Reinhardtsdorf. Roland Helth, längst im Rentenalter,  betreibt dort das Panoramahotel "Wolfsberg". Er beantragte die Soforthilfe, doch die Sächsische Aufbaubank (SAB) verwehrte sie ihm mit dem Hinweis, er sei schon Rentner und bekäme Rente. "Aber ich arbeite ja weiter in meinem Hotel und habe laufende Kosten. Ich weiß nicht, wovon ich die jetzt bezahlen soll", sagt Helth. Von seiner kargen Rente könne er nicht wirklich leben.

Bei Maik Richter, Inhaber des Gasthofes "Hertigswalde" im gleichnamigen Sebnitzer Ortsteil, lief es mit dem Soforthilfe-Verfahren hingegen recht reibungslos. "Ich hatte das Geld beantragt, knapp eine Woche später war es schon überwiesen", sagt er. 

Das Geld hilft ihm zwar, laufende Kosten zu decken, gleichwohl fehlen die  Haupteinnahmen. Restaurant und Hotel sind geschlossen, viele Reservierungen sind storniert, ein Außer-Haus-Service lohnt sich auch für ihn nicht, dafür liegt das Haus zu abseits. 

Auch er empfindet die ungewisse Aussicht auf die Zukunft als besonders schlimm. Weil niemand weiß, wie es weitergeht, stellen sich inzwischen existenzielle Fragen: Nehme ich noch Ware an? Bestelle ich noch Nachschub? Oder schalte ich lieber die Kühlschränke ab? 

Im Kalender stehen noch Familienfeiern mit über 100 Gästen, aber Richter weiß derzeit nicht, ob er sie noch einplanen oder lieber verschieben soll. "Uns fehlt einfach die Planungssicherheit", sagt er. 

Maik Richter, Inhaber des Gasthofes "Hertigswalde": "Soll ich meine Kühlschränke jetzt abschalten?"
Maik Richter, Inhaber des Gasthofes "Hertigswalde": "Soll ich meine Kühlschränke jetzt abschalten?" © Marko Förster

Die ersten Wochen waren die schlimmsten

Immerhin gibt es jetzt zumindest etwas Hoffnung. Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, die Mehrwertsteuer für die Gastro-Branche auf sieben Prozent zu senken. Dieser niedrige Satz gilt allerdings nur für Speisen und nur befristet ab 1. Juli für ein Jahr. "Wir sind natürlich dankbar, dass wir erhört wurden", sagt Judith Fichtner, "aber unsere Probleme löst das nicht." Es sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal über Betten und Hotels in dieser Hinsicht noch überhaupt nicht gesprochen worden sei. 

Der Koalitionsausschuss beschloss darüber hinaus, das Kurzarbeitergeld auf 70 Prozent zu erhöhen, diese Regelung gilt allerdings auch erst ab 1. Juli. "Ich frage mich ernsthaft, was das soll", sagt Judith Fichtner. Vielen Betrieben helfe das nicht, weil sich deren finanzielle Situation bereits dramatisch zugespitzt habe. "Diese Erhöhung hätte rückwirkend sein müssen, schließlich waren die ersten Wochen die schlimmsten", sagt sie. Die Notlage sei doch schon längst da, viele Beschäftigte in der Gastro-Branche wüssten schon jetzt nicht mehr, wie sie ihre Miete zahlen sollen. 

Weitere staatliche Hilfen für die Gastronomie sind allerdings vorerst nicht in Sicht. Daher fordert die Gastro-Branche weiterhin einen Rettungsfonds auf Bundes- oder Landesebene. "Denn ohne direkte Finanzhilfen", sagt Judith Fichtner, "werden es viele Betriebe nicht schaffen."

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