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Corona-Spaziergang ganz anders

Pirnaer wollen andere Bilder aus der Stadt senden als die der Gewalt. Als Sachsens Ministerpräsident dazustößt, wird es ein Heimspiel für ihn.

Von Domokos Szabó
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Sachsens Ministerpräsident Kretschmer, Alhutträger auf dem Pirnaer Markt: Ohne Sorge, dass die Argumente ausgehen könnten.
Sachsens Ministerpräsident Kretschmer, Alhutträger auf dem Pirnaer Markt: Ohne Sorge, dass die Argumente ausgehen könnten. © SZ/Domokos Szabo

Zum Schluss die ganz harte Nuss. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer steht mitten auf Pirnas Markt, von Angesicht zu Angesicht mit einem Aluhutträger. Von ihm muss er sich einiges anhören: Geknechtet sei man in diesem Land, einen Maulkorb von Mundschutz habe man aufgezwungen bekommen, man stünde vor Zwangsimpfungen und der Ministerpräsident sei mitschuldig, dass ihm und allen anderen die Grundrechte genommen worden seien. "Gib Gates keine Chance", steht auf dem Button am weißen Shirt des Mannes. 

In diesem Moment liegt schon ein ausgedehnter Spaziergang mit einem Dutzend Bürgergesprächen hinter dem Regierungschef samt einer Auftakt-Kundgebung, zu der Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos) eingeladen hatte. Nachdem in den vergangenen Wochen nicht angemeldete Demos, immer wieder mit Gewalt, das Bild beherrscht hatten, riss der OB das Heft des Handelns an sich und meldete für den Mittwochabend - am bevorzugten Tag der Corona-Spaziergänger - selbst eine Versammlung an. Kurzzeitig sieht es so aus, als könnte dabei die Stimmung kippen. 

Als Hanke eine kurze Ansprache hält, gibt es mitunter höhnisches Gelächter und Buh-Rufe. Doch der OB biegt das ab und lässt jene klatschen, die ohne Beschimpfungen und mit Anstand miteinander reden wollen. "Die Mehrheit der Stadtgesellschaft möchte miteinander einen Weg aus der Krise finden", sagt er auf einer Bank stehend ins Mikrofon und kündigt ein weiteres Dialogforum an, um Meinungen auszutauschen. 

Oberbürgermeister Hanke, Schauspieler Pauls, Ministerpräsident Kretschmer: Wunsch nach vollen Gasthäusern und vielen Besuchern in der Sächsischen Schweiz.
Oberbürgermeister Hanke, Schauspieler Pauls, Ministerpräsident Kretschmer: Wunsch nach vollen Gasthäusern und vielen Besuchern in der Sächsischen Schweiz. © Marko Förster

Im Mittelpunkt steht aber an diesem Abend ein anderer: der Ministerpräsident, der selbst keine Rede hält, sondern sich an die Spitze eines Gangs durch die Stadt, wie es der Oberbürgermeister angekündigt hat, stellt. An die 200 Menschen laufen mit. In gemütlichem Tempo und begleitet von einer Schar Kameras geht es durch die pittoreske, in Abendsonne getauchte Innenstadt. Vor einer Woche sah es noch anders aus - die Polizei ging gegen die Demonstranten wegen der nicht angemeldeten Versammlung vor, unter den Teilnehmern waren auch Gewaltbereite, die auf die Beamten losgingen, sie attackierten. Acht Menschen wurden festgesetzt, die Polizei leitete eine Reihe Ermittlungsverfahren ein. 

Nun der Spaziergang durch Pirna mit dem Ministerpräsidenten, der nicht nur kritische Fragen bekommt, sondern auch viel Zuspruch: "Sie mussten eine Entscheidung treffen, und das müssen wir akzeptieren", sagt eine ältere Pirnaerin in einer lachsfarbenen Jacke. "Man kann das nicht sich selbst überlassen, sonst wird es wie in Italien." Kretschmer sagt, er sei nach Pirna gekommen, weil er den Offenen Brief der Gastronomen und Händler an die Spaziergänger gelesen hat und diesen für eine "absolut richtige Wortmeldung" hält. Er wünsche sich volle Gasthäuser und viele Besucher für die Sächsische Schweiz. "Bilder von der Gewalt passen nicht", sagt der Premier, "das ist nicht Pirna und nicht Sachsen."

Corona-Demo am Mittwochabend in Pirna: "Die Freiheit des einen endet, wo die Freiheit des anderen Menschen betroffen ist."
Corona-Demo am Mittwochabend in Pirna: "Die Freiheit des einen endet, wo die Freiheit des anderen Menschen betroffen ist." © Marko Förster

Einverstanden mit seiner Politik und mit den Maßnahmen der Bundesregierung sind aber hier lange nicht alle, nur drücken sie sich anders aus als der Aluhutträger vom Markt. Wie etwa das Ehepaar Strohbach aus Reinhardtsdorf-Schöna im Oberen Elbtal. Schon am vergangenen Mittwoch waren sie in Pirna zum Demonstrieren, im guten Glauben, es sei eine angemeldete Versammlung. Sie meinen, die Politik lasse nur eine Meinung zu, die jener Virologen, die auf einen Shutdown drängten. Es sei nicht die Aufgabe der Regierung, Panik zu machen - so wie die Strohbachs es empfunden haben. Und sie halten es für gefährlich, dass die Einschränkungen unter allenfalls minimaler parlamentarischer Beteiligung durchgesetzt wurden. Doch auch sie loben den Ministerpräsidenten: Es sei gut, dass er Flagge zeigt. 

Er tut nicht nur das, er geht förmlich auf in seiner Paradedisziplin: Zuhören, Verständnis zeigen, mit leisen, aber eindringlichen Worten den Gesprächspartnern begegnen. Selbst die Tiraden des Fundamentalkritikers vom Markt bringen ihn nicht aus der Ruhe. Es macht den Eindruck, als könnte Kretschmer noch stundenlang mit ihm reden, ohne Zweifel oder Sorge, dass ihm die Argumente ausgehen könnten. Doch dazu kommt es nicht. Pirnas OB Hanke geht dazwischen und biegt auch diese Szene mit Sätzen wie "wir sind auf einem guten Weg" ab. Zumindest ist nach der Demo klar: Pirna hat denen, die einfach gegen alles sind und zu Gewalt neigen, die Bühne weggenommen. 

Nach der Demo teilte die Polizei mit, dass sie bei der Veranstaltung auf zwei Männer im Alter von 24 und 28 Jahren gestoßen sei, die im Verdacht stehen, bei der Kundgebung eine Woche zuvor Landfriedensbruch begangen zu haben. Die Personalien der beiden Deutschen seien festgestellt worden. Die Ermittlungen dauern an.  Die jüngste Demo sicherte die Polizei mit 250 Beamten ab.

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