Murks - Dampflok zurück in Werkstatt

Eine Augenweide ist sie, die über 70 Jahre alte Dampflok der Baureihe 52, wie sie da vor dem Maschinenhaus der Ostsächsischen Eisenbahnfreunde (Osef) steht - mit ihrem tiefschwarz glänzenden Kessel und ihren mächtigen roten Rädern. So sollte sie am Wochenende der bestaunte Star der Maschinenhaustage werden. Die mussten wegen Corona ausfallen. Auf große Fahrt ging die Dampflok am Sonntag dennoch - allerdings auf eine ungewollte.
Dampflokfahren, das ist viel Romantik - und noch mehr Maloche. Nicht so wie eine moderne Diesel- oder Elektrolok. Einfach Motor anwerfen und losfahren. Bevor sich eine Dampflok auch nur einen Meter aus eigener Kraft bewegt, braucht's eine ganze Mannschaft und stundenlange Vorbereitungen. SZ hat die Eisenbahnfreunde beim Anheizen der 52 besucht.
Am Sonnabendvormittag ziehen die Eisenbahnfreunde ihr Dampfross aus dem Lokschuppen. Randvoll mit 30.000 Liter Wasser und zehn Tonnen Steinkohle ist der Schlepptender geladen. Doch die Kohle wird erst mal gar nicht benötigt. Zur Ausrüstung des Teams um Lokführer Dieter Grosche gehören Ölkannen, Putzlappen und ein großer Haufen altes Bauholz. "Da hat jemand sein Haus abgerissen und uns kostet das Holz nichts zum Anheizen", sagt Grosche. Brett um Brett schiebt er in die Feuerbüchse unter dem Kessel.

Zum Anheizen einer Dampflok braucht's Fingerspitzengefühl. "Wenn man zu kräftig anheizt, dehnt sich der Kessel zu schnell aus und kann Schaden nehmen", erklärt Dieter Grosche. Acht Stunden lang wird er an diesem Sonnabend immer wieder Holz nachlegen, bis der Kesseldruck von 16 bar erreicht ist. Tausende Male hat Grosche das in seinem Leben gemacht. "Ich habe als Heizer bei der Reichsbahn der DDR angefangen", erzählt er. 2015 ging er nach 40 Dienstjahren in den Ruhestand. Aber Eisenbahner bleibt man. "Jetzt fahre ich eben bei den Eisenbahnfreunden", sagt er. Denn Menschen, die sich mit Dampfloks auskennen und sie bedienen können - die würden schließlich immer weniger. Deshalb will Grosche seine Kenntnisse möglichst lange an die jüngere Generation im Verein weitergeben.
Das Problem mit dem Treibstangenlager
Derweil machen sich Tobias Fritzsche und Maximilian Schöne an das stets wartungsreiche Fahrgestell der Dampflok. "70 Lager müssen wir aufschrauben und mit Öl füllen, und das alle 250 Kilometer, sagt Fritzsche. Der 32-Jährige fährt beruflich Dampfloks bei der Zittauer Schmalspurbahn. "Wegen der Maschinenhaustage hatte ich wieder eine Woche Urlaub für die ganzen Vorbereitungen genommen", sagt er. Es ergab sich dann anders - gebraucht wird seine Mitarbeit dennoch.
Besonders Augenmerk wirft Tobias Fritzsche auf das linke Treibstangenlager. Dort mündet die Treibstange, die die Kraft vom Dampfzylinder auf die Räder der Lok überträgt. Und genau dieses Lager ist der Grund für die ungewollte Reise, für die die Eisenbahnfreunde ihr Schmuckstück reisefertig machen. "Das Lager läuft heiß", sagt Fritzsche.
Über ein Jahr lang war die Lok zur Wiederflottmachung im Dampflokwerk der Bahn im thüringischen Meiningen. Als sie Mitte März zurück kam, wurde schnell klar, dass die Eisenbahnfreunde sie so wie geliefert nicht voll gebrauchen können. "Der Fehler ist schon bei den Probefahrten des Werks und bei der Überführungsfahrt aufgetreten" sagt Tobias Fritzsche. Zunächst hatten die Eisenbahnfreunde gehofft, das Problem noch selbst beheben zu können. Vergeblich. "Wir haben dann am Ostermontag eine Probefahrt gemacht mit richtig Tempo", sagt er - also mit der Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern. "Wir wollten eigentlich nach Bischofswerda und zurück. Aber in Bautzen mussten wir abbrechen", erzählt Fritzsche.
Also muss die Maschine zurück nach Meiningen. Warum das Dampflokwerk sie mit diesem erheblichen Mangel überhaupt ausgeliefert hat? Dieter Grosche und sein Team wollen sich dazu nicht groß auslassen. Nur soviel: "Meiningen ist nicht mehr das, was es mal war", sagt Grosche. Das Problem: Einen anderen Betrieb, der die Revision großer Dampfloks vornehmen kann, gibt's in Deutschland nicht . "Wenigstens ist es eine Garantieleistung", sagt Osef-Chef Alfred Simm etwas beruhigt. Aber so lange die Lok nicht für die Eisenbahnfreunde fahren kann, verdient sie auch kein Geld. Simm schätzt den Ausfall für seinen Verein, der erst durch die verspätete Auslieferung der Lok und dann durch die Corona-Krise verursacht wurde auf einen mittlerweile beinahe sechsstelligen Betrag.

Dieter Grosche und seine Mannschaft verbringen die ganze Nacht zum Sonntag am Maschinenhaus. Denn alle paar Stunden muss man nachschauen, ob noch genügend Feuer unterm Kessel ist. Gegen 8.30 Uhr am Sonntagmorgen besteigen Grosche und sein Heizer Tobias Fritzsche den Führerstand. Nach einem kurzen Pfiff mit der Dampfpfeife setzt Grosche die 52 erst ein paar Hundert Meter zurück zum Bahnsteig des Löbauer Bahnhofs.
"Heute fahren wir bis Espenhain", sagt Dieter Grosche. Dort nach rund 250 Kilometern wird Wasser nachgefüllt und wieder die Lager geölt. Doch immer wieder werden sie auf der Tour Stopps einlegen, um das Treibstangenlager zu kontrollieren - den ersten schon in Bautzen. Nach einem erneuten Pfiff macht sich die Dampflok um 8.39 Uhr auf die Reise. Auf der Brücke genießen es einige Menschen, sich von der darunter durchfahrenden Dampflok kurz einrauchen zu lassen. Mit gemächlichem Tempo 60 lässt Grosche die Maschine dahinzockeln - schneller geht wegen des Lagerschadens nicht. Am Streckenrand bis Bautzen haben sich viele Fotografen und Dampflokfans postiert. SZ hatte auf die Fahrt und die Uhrzeit hingewiesen. Überall winken die Menschen Dieter Grosche und Tobias Fritzsche freundlich zum Abschied zu. Servus, mach's gut, alte Lady und komm bald wieder.