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Das Geheimnis der Turmkugel

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wurde die Turmspitze der Frauenkirche abgenommen. Drin steckte eine vollgestopfte Kapsel.

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© hübschmann

Von Christoph Scharf

Ganz, ganz vorsichtig muss es jetzt gehen. Auch wenn unten schon zwei Dutzend Leute ungeduldig den Kopf in den Nacken legen: Metallbauer Frank Reichelt nimmt sehr behutsam die goldene Kugel von der Turmspitze des Frauenkirchenturms ab. Schließlich ist es schon fast 40 Jahre her, dass sich jemand daran zu schaffen machte: 1977/78 war die Turmbekrönung am Meißner Markt erneuert worden. Anschließend konnte die Kirchgemeinde den ganzen Turm einrüsten, um den Jahrhunderte alten Turm zu sanieren.

© hübschmann

Dietrich Frank gehörte damals mit zu den Gemeindemitgliedern, die das Mammutprojekt in Angriff nahmen. Nun steht er unten vor der Kirche und schaut erwartungsfroh nach oben – um die Ankunft der goldenen Kugel, des Kreuzes und der fast zwei Meter breiten Wetterfahne auf dem Boden zu erwarten. „Damals war das gar nicht gern gesehen, dass wir als Kirche mitten in der grauen Altstadt eine weiße Fassade entstehen ließen“, sagt der Meißner. Und selbstverständlich war es gleich gar nicht. Zwei Monate lang dauerte allein der Aufbau des Gerüsts. Kein Wunder – konnten doch die 70 freiwilligen Helfer immer erst nach Feierabend kommen, um unbezahlte Arbeitsstunden abzuleisten. „Wir haben jeden Tag von 16 Uhr bis zum Sonnenuntergang gearbeitet“, sagt Dietrich Frank. 2 000 Stahlrohre, 2 500 Bretter, Tausende Kupplungen mussten per Hand nach oben gereicht werden, wo Zimmerleute den Gerüstbau anleiteten.

Heute geht das wesentlich einfacher. Dennoch bleibt die Sanierung einer 500 Jahre alten Kirche kompliziert: Seit 2013 wird gegenüber dem Rathaus gebaut. Erst kamen Heizung, Statik und Dach dran, derzeit laufen die Innensanierung der Kirche und Arbeiten am Turm. Weil er dafür ohnehin erneut eingerüstet werden musste, schaute man sich auch gleich noch die 1977 neu vergoldete Bekrönung an. Die ist zwar noch in relativ gutem Zustand, sagt Architekt Jürgen Singer. „Aber da wir in den nächsten 50 bis 100 Jahren nicht noch mal ein Gerüst am Turm aufstellen wollen, prüfen wir alles, was in diesem Zeitraum ohnehin dran wäre.“

Mittlerweile sind Kugel, Windfahne und Kreuz von der Spitze abgenommen und bis zum oberen Ende des Bauaufzugs am Gerüst herabgelassen worden. Per Lift geht es 40 Meter weiter nach unten. Nun wird die in der Kugel verborgene Kupferkapsel mit dem Trennschleifer vorsichtig geöffnet. Die oberarm-dicke Röhre ist mit Dokumenten vollgestopft bis obenhin: Eine SZ von 1978 kommt zum Vorschein, ein farbiger Volkskalender von 1880, eine Chronik von 1790, Porträtfotos von Honoratioren mit Schnurr- und Vollbärten.

Das Beste ist eine handschriftliche Liste aller städtischen Bediensteten von 1880, die bequem auf eine halbe A-4-Seite passt. „Wir überlegen noch, was wir den nächsten Generationen in der Turmspitze überlassen“, sagt Pfarrer Uwe Haubold.

Zur Sanierung der Turmbekrönung startet der Förderverein der Frauenkirche eine Spendenaktion. Rund 10 000 Euro sind nötig. Als erste Spender haben sich die Seeg, Brumm-Bau und die Horn-Stiftung bereiterklärt.