Von Jörg Stock
Es rumpelt und kracht. Der Geländewagen macht Bocksprünge. Der Mann, der in grüner Arbeitskluft hinterm Steuer sitzt, lächelt säuerlich. So fühlt sich Wildschaden an, sagt er. Aus dem Fahrzeug geklettert, begutachten wir die Bescherung: Die Wiese ist eine Mondlandschaft geworden, ein Trichterfeld, vielleicht dreißig mal dreißig Meter groß, auf dem Grasbatzen, Klee und Erdklumpen ein wüstes Durcheinander bilden. Der Mann in Grün rückt an seiner Baseballkappe. Hier gibt es nichts mehr zu ernten, stellt er fest. Hier hilft nur eins: schwarz machen und neu säen.


Was Thomas Hering, Chef der Pflanzenproduktion bei der Agrargenossenschaft „Oberes Elbtal“ in Reinhardtsdorf, mir vorführt, haben die Wildschweine angestellt. Zehn bis fünfzehn Alttiere waren das plus Nachwuchs, schätzt er. Solche Stellen gibt es bereits etliche auf dem Grünland der Genossenschaft. Und das ist erst der Anfang. Der Mais, in dem die Schwarzkittel bisher wohnten, ist vor zwei Wochen abgemäht worden. Jetzt suchen die Schweine tierisches Eiweiß: Mäuse, Schnecken, Insektenlarven, Regenwürmer. Auf den Wiesen finden sie, was sie wollen und graben es mit ihren harten Nasen unerbittlich aus.
Thomas Hering ärgert sich darüber. Seine Firma braucht das Gras, um die rund eintausend Rinder satt zu kriegen. Aber abmähen kann er so eine Buckelwiese nicht, weil dann unweigerlich Erdreich in die Silage gelangen würde. Den Schaden wird die Firma hinnehmen müssen. Die Jäger dafür zur Kasse zu bitten, sei hier eher kein Standard, sagt Herr Hering, denn bejagt werde das Schwarzwild ja durchaus. Er selbst ist auch Jäger und hat gemeinsam mit einem befreundeten Pächter schon 34 Wildschweine seit Anfang April geschossen. So viele waren es im gesamten vorigen Jahr nicht, sagt er und hofft, dass man noch an die Fünfzig herankommt.
Der Schwarzwildbestand liegt in ganz Sachsen konstant auf hohem Niveau. Im Jagdjahr 2014/15 wurden landesweit etwa 27 000 Schwarzkittel erlegt. Im Landkreis waren es rund 3 900. Henryk Schultz, Vorsitzender des hiesigen Regionalbauernverbandes, spricht von stabil hohen Schäden mit lokal wechselnder Intensität.
Den Wildschweinen geht es prima. Üppige Raps- und Maisfelder bieten ihnen viele Monate im Jahr Versteck und Nahrung. Bei Landwirt Thomas Hering in Reinhardtsdorf müssen die Maisschläge mit Stromzäunen umstellt werden. Das Material bezahlen die Jäger. Aber die Kontrolle und das Freischneiden der insgesamt 20 bis 25 Zaun-Kilometer müssen die Bauern erledigen. Ein enormer Aufwand, der, so schätzt Thomas Hering, immerhin achtzig Prozent Schutz einbringt. Was am besten helfe, sei die Jagd. Aber es fehle an Jägern. Die Gesellschaft verhalte sich reserviert gegenüber dem Waidwerk. „Wenn die Schweine Schaden machen, ist großes Geschrei, aber totschießen will sie auch keiner.“
Szenenwechsel. Ein aufgegrabener Waldweg bei Reinhardtsdorf und ein Schweißhund namens Kester, der die Nase in den Wind steckt. Kester riecht Sauen, sagt Revierförster Olav Spengler. Sie waren kürzlich hier und haben nach Fressbarem gebuddelt. Es sind die Sauen, die bisher in den Feldern steckten. Jetzt sind sie zurück im Wald. Wenn hier die Eicheln und Bucheckern alle sind, werden sie noch emsiger graben. Die Löcher können dann bis zu einem halben Meter tief werden. Sogar festgestampfter Schotter wird aufgebrochen. Mancher Weg wird unpassierbar sein.
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Das Wildschweinproblem entsteht in der Landwirtschaft, sagt Forstmann Spengler. Doch auch der Wald kommt den Schweinen immer mehr entgegen. Weil die Förster neue Baumarten pflanzen und Rehe und Hirsche deutlich dezimiert haben, wächst am Boden viel mehr Grün als früher. Dazu kommt der buschige Adlerfarn, der bis zu zwei Meter hoch wird. „Die Schweine könnten überall stecken“, sagt Förster Spengler. Er wettet, würde man von hier aus in das Dickicht marschieren – nach fünfzig, sechzig Metern würde man bestimmt auf ein Schwein drauftreten.
Treibjagd als rettendes Rezept
Die Förster haben ja eigentlich nichts gegen Wildschweine. Ihre Buddelei kann den Waldbau sogar unterstützen. Dennoch hat sich Sachsenforst in einem Abkommen mit Landwirten und anderen Flächennutzern zur strikten Bejagung der Tiere verpflichtet. Aber auch im Landeswald sind Jäger rar. In Olav Spenglers Revier jagen außer ihm noch vier Forstbedienstete und vier Freizeitjäger. Was können sie ausrichten auf 17 Quadratkilometern Fläche?
Bewegungsjagd ist das Mittel der Wahl. Treiberkolonnen und Hunde scheuchen die Rotten aus der Deckung und treiben sie vor die Gewehrläufe. Die Treibjagdsaison beginnt bald. Auch Olav Spengler wird vier große Jagden abhalten und jeweils bis zu 70 Schützen aufbieten. Seine und Schweißhund Kesters Spezialität ist die Suche nach angeschossenem Wild. Das kann gefährlich werden. Schon fast ein Dutzend Mal gingen verletzte Wildschweine auf den Förster los. Verletzungen sind aber ausgeblieben, sagt er und weist auf seine Waffe. „Ich war schneller.“