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„Das ist mal fair, mal unfair“

Paralympics-Siegerin Christiane Reppe spricht über Schadensklassen, Familienplanung, Doping und berufliche Träume.

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© Matthias Rietschel

Von Alexander Hiller

Es ist ein ganz schöner Kuddelmuddel, den Christiane Reppe zu erklären hat. Die Behindertensportlerin aus Dresden feierte bei den Paralympics von Rio ihre erste Goldmedaille bei den Spielen. Im Straßenrennen der Handbiker der Schadensklasse H1 bis H4. Reppe gehört als in die H4 eingestufte Athletin zur leistungsstärksten Klasse. Einen Tag zuvor war die 29-Jährige jedoch beim Einzelzeitfahren der Klassen H4 und der leistungsstärkeren H5 (Kniebiker) angetreten. Christiane wurde da Sechste.

Liegend steuert Reppe ihr Handbike. Der Sitz ist so an die Körperform angepasst, dass die Dresdnerin den Kopf nicht heben muss, um nach vorn zu schauen.
Liegend steuert Reppe ihr Handbike. Der Sitz ist so an die Körperform angepasst, dass die Dresdnerin den Kopf nicht heben muss, um nach vorn zu schauen. © dpa

„Es gibt bei den Paralympics eine bestimmte Anzahl an Medaillen. Die ist festgelegt. Diese Plaketten werden verteilt auf die bestimmten Events. Manche Sportarten bekommen weniger Medaillen als andere Disziplinen. Deshalb müssen einige Sportarten manche Klassen zusammenlegen. Das ist mal fair, mal unfair. Das ist einfach so.“ Zur Bekräftigung nickt sie leicht.

Als unfair hat Reppe die unterschiedliche Einteilung ihrer zwei Paralympics-Wettkämpfe nicht empfunden. Bei der letzten WM 2015 holte sie Gold (Straße) und Silber (Zeitfahren) jeweils in der H4. „Ich wusste das ja vorher. Man kann eben nicht hundert Milliarden Medaillen vergeben, nur um es jedem wirklich recht zu machen, und die Schadensklassen nicht maßgeschneidert spezifizieren.“

Diese für den Laien wenig verständliche unterschiedliche Klassifikation beim selben Ereignis ist Reppe seit knapp zwei Jahren bekannt. Das schmälert die Leistung der Dresdnerin ohnehin nicht. „Man muss eben versuchen, das Beste daraus zu machen.“ Reppe hat das geschafft. „Sicher hätte ich gern auch zwei Medaillen gehabt, aber ich kann nicht viel ändern.“

Erstmals als Bikerin zu Paralympics

Geändert hat sich indes ihre Lieblingssportart. Denn Christiane Reppe ist nicht als Paralympics-Novizin in Rio gestartet. Als Schwimmerin erlebte sie 2004, 2008 und 2012 bereits das außergewöhnliche Flair. Zweimal Bronze brachte sie bereits aus Athen (2004) mit. Acht Jahre später erklärte sie ihre Karriere für beendet. Aber ein Jahr darauf merkte sie: „Ich dachte immer, Wasser ist mein Leben. Mittlerweile weiß ich, Sport ist mein Leben.“

Christiane Reppe schließt aus, dass sie auf das Handbike gewechselt sei, um wegen der übersichtlichen Starterfelder möglichst schnell möglichst erfolgreich sein zu können. „Ich habe einfach geschaut, was mir Spaß macht. Eigentlich, so sagte man mir, sei ich für das Handbike zu schwer. Die anderen Mädels sind alle so zierlich. Ich wollte einfach nur reinschnuppern, habe mir nichts gesucht, was einfach ist. Das ist es für mich ja auch nicht, ich habe das ganze Jahr trainiert.“

Ein Jahr später holte sie sich erstmals WM-Gold – nun der ganz große Wurf in Rio bei ihrer vierten Paralympics-Teilnahme. „Auf einmal spielt man für eine andere Mannschaft“, erklärt die Marathon-Weltrekordlerin (1:00:26 Std.) und lacht ihr kehliges, lautes Lachen. „Trotzdem verstehe ich mich natürlich mit den Schwimmern nach wie vor gut. Die haben sich für mich total gefreut. Das war schön für alle.“

Wie auch das Gesamtempfinden für die Spiele – im Gegensatz zu einigen „Zweibeinern“, wie die Nichtbehinderten von den Paralympics-Athleten auch genannt werden. Die beklagten unter anderem, dass es keine TV-Geräte auf den Zimmern gegeben habe. „Klar, ich will ja bei Olympia auch den ganzen Tag Fernsehen gucken“, entgegnet Reppe in sarkastischem Ton. „Wir waren positiv überrascht von dem, was wir da vorgefunden haben. Wir hatten keinen Fernseher, okay. Da musste man eben mal in die Lobby. Es gab genügend und gut zu essen. Das waren gute Spiele.“ Selbst wenn der Mülleimer mal nicht jeden Tag geleert wurde, „dann schafft man ihn mal selbst runter. Alle haben sich Mühe gegeben, waren hilfsbereit. Klar gab es auch Probleme“. Zum Beispiel wurde die Wettkampfstrecke erst einen Tag vorher zum Einsehen und fürs Training freigegeben.

Eine Freigabe, natürlich nach strengen Regeln, hätte sich die BWL-Studentin auch für ihre härteste Rivalin gewünscht. Doch die Russin Svetlana Moshkovich war – wie alle ihre Landsleute – bei den Spielen von Rio zum Zuschauen verurteilt. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hatte individuelle Bewerbungen der 175 russischen Sportler um eine Rio-Teilnahme rigoros abgelehnt – wegen nachgewiesenen Staatsdopings im Riesenreich. Die Diskussion darum ist zäh und müßig. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Russland nicht die einzige Nation ist, die so etwas macht. Bei den Ausgesperrten waren mit Sicherheit viele dabei, die nicht gedopt waren. Für die finde ich die Entscheidung schade, die haben vier Jahre lang trainiert – für nichts“, meint Reppe.

Moshkovich lebte lange in Deutschland, jetzt in Österreich – und wird auch von Reppes Trainer Dr. Ralf Lindschulten betreut. „Sie wurde bei der letzten WM und auch den letzten Paralympics nicht einmal kontrolliert. Das ist ein Teil des Problems. Wie will man sauberen Sport nachweisen, wenn nicht kontrolliert wird?“, fragt sich nicht nur die Dresdnerin. Sie selbst wurde als Weltmeisterin 2015 bei besagter WM nicht kontrolliert, dafür bei den Paralympics gleich zweimal. Reppe hätte ihren Triumph von Rio als vollkommener empfunden, wenn sie auch Moshkovich im sportlichen Wettbewerb hätte bezwingen dürfen.

„Das macht ganz schön einsam“

Die Athletin, die seit 2015 wegen der besseren Fördermöglichkeiten für den niedersächsischen Verein GC Nenndorf startet, wird nach dem größten Erfolg ihrer Karriere ein bisschen weniger kurbeln. „Ich würde gern mein Studium im Winter abschließen. Ich bin fast fertig, muss nur noch die Bachelorarbeit schreiben. Ich mache aber definitiv mit dem Sport weiter, bin durch meine Sponsoren gut dabei“, sagt sie. Aber sie denkt auch an die Karriere danach. „Ich will arbeiten, aktiv werden für den Sport – und dadurch Geld verdienen. Ich möchte unabhängig sein. Das ist mein Hauptziel.“

Die junge Frau, die sich als Ich-AG begreift, möchte ein bisschen sesshafter werden, ihre Wohnung in Dresden öfter nutzen. „Ich bin ganz oft in Hotels unterwegs, überall auf der Welt. Vor den Paralympics in der Wintersaison beispielsweise sechs Monate auf Lanzarote. Das macht ganz schön einsam.“ Im Hinblick auf eine Familienplanung in absehbarer Zeit weniger günstig. „Wenn der richtige Mann mal kommt, dann vielleicht. Ich bin ja immer unterwegs. Das bringt das Leben als Leistungssportler so mit sich.“