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Das kleine Paradies

Familie Tamaev lebt seit Juni in Rothenburg. Sie sind Asylbewerber und hoffen auf ein wenig Ruhe.

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Von Katja Schlenker

Es duftet. Ein Hauch von Essen weht durch das Treppenhaus. Es riecht süßlich, lecker. „Kommt, kommt“, sagt Timerlan Tamaev immer wieder lächelnd, während er in seine Wohnung bittet. Seit dem 11. Juni lebt er mit seiner Familie an der Friedensstraße in Rothenburg. Das Datum weiß er genau, immerhin hat sich an dem Tag vieles für ihn und seine Familie verändert. Sie sind Asylbewerber.

Seit Januar 2013 ist Familie Tamaev in Deutschland. Erst für etwa zweieinhalb Monate in Chemnitz, wo die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber im Freistaat Sachsen ist. Bis Mitte Juni hat Familie Tamaev im Heim in Löbau gewohnt. In zwei großen Zimmern, erzählt Timerlan Tamaev. Hier in Rothenburg leben die 14 Familienmitglieder in einer großen Wohnung. Jedes Kind kann alleine schlafen, im eigenen Bett. Als Paradies bezeichnet der Familienvater die Zustände in Rothenburg.

Hier bringt der Landkreis Görlitz seit Kurzem Familien unter, die um Asyl ersuchen. Sie sollen ein wenig Ruhe finden, ein relativ normales Leben führen. Fernab des Stresses, den es mit sich bringen kann, im Heim untergebracht zu sein, wo viele Menschen verschiedener Nationen aufeinandertreffen. In den Wohnungen an der Friedensstraße sind die Asylbewerber Mieter, sagt Elke Glowna. Sie leitet das Ordnungsamt des Landkreises Görlitz. In Rothenburg läuft diese sogenannte dezentrale Unterbringung sehr gut. Zehn Familien sollen hier bald leben. Geplant ist, dass bis Mitte September alle Wohnungen bezogen sind, erklärt Elke Glowna. Familien, die unter anderem aus Tschetschenien, Georgien oder Libyen geflohen sind, ziehen ein.

Familie Tamaev kommt ursprünglich aus Tschetschenien, einer Region im Nordkaukasus. Zwei Kriege mit Russland zwischen 1994 und 1996 sowie 1999 und 2009 haben das Land ins Chaos gestürzt. Heute ist Tschetschenien eine autonome Republik. Timerlan Tamaev ist im ersten Krieg Soldat auf tschetschenischer Seite gewesen, erzählt er. Als erneut um die Region im Südwesten Russlands gekämpft wird, verlässt die Familie das Land. Zu gefährlich wird es für den 59-Jährigen und seine Familie, dort zu bleiben.

Sein Bruder und seine Schwester leben nach wie vor in der Region. Alle paar Monate können sie miteinander telefonieren. Während Timerlan Tamaev von ihnen erzählt, füllen sich seine Augen mit Tränen. Er nimmt sich kurz einen Moment, entschuldigt sich lächelnd, dabei gibt es nichts zu entschuldigen. Er vermisst nicht nur seine Familie, sondern auch seine Heimat. Wenn die Umstände anders wären, würde er sofort zurückkehren, sagt er. Doch man würde ihm nach dem Leben trachten. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Als es zu gefährlich wird, zieht die Familie im Jahre 2000 ins benachbarte Aserbaidschan um. Nach sieben Jahren dort landet die Familie schließlich in Österreich. Hier verbringen Tamaevs fünf Jahre, die beiden großen Kinder heiraten, leben bis heute in der Alpenrepublik. Alles scheint gut. Doch dann endet ihr Aufenthaltsrecht und sie werden des Landes verwiesen. Was also tun? „Wir können nicht zurück nach Tschetschenien“, sagt Tochter Medni. „Also haben wir zu unserem Vater gesagt, dann lass‘ es uns doch in Deutschland versuchen.“ Die Mädchen haben fast ihr ganzes Leben außerhalb Tschetscheniens verbracht. Sie tragen traditionell Kopftücher in bunten Farben. Wenn sie in Deutschland bleiben dürfen, würde Medni gerne einmal nach Berlin oder Düsseldorf reisen, vielleicht auch dort leben.

Den Mädchen fällt es leicht, Deutsch zu sprechen. Sie sind bereits in Löbau in die Schule gegangen und besuchen ab nächste Woche in Rothenburg die Oberschule. Aufgeregt sind sie deswegen ein wenig, gespannt auf ihre Mitschüler. Am Anfang hat er ein wenig Angst gehabt, Deutsch zu sprechen, sagt Timerlan Tamaev. Doch dann macht ihm sein Deutschlehrer Mut, die Sprache auszuprobieren. Und das tut Timerlan Tamaev seitdem. Manchmal fällt es ihm schwer, die deutschen Worte zu verstehen oder die richtigen Worte zum Antworten zu finden. Dann bittet er seine Töchter darum, zu übersetzen.

Wenn Timerlan Tamaev in Deutschland bleiben darf, will er auf alle Fälle wieder arbeiten gehen. Solange nicht entschieden ist, ob seine Familie in Deutschland bleiben darf, geht das nicht. „Ich würde tags und nachts arbeiten gehen“, fügt seine Frau Azni hinzu. Sie hat in Tschetschenien als Köchin und Bäckerin gearbeitet. Ihr Mann ist Schweißer gewesen, hat eine kleine Firma gehabt und kunstvolle Dinge geschaffen. Etwas zu tun, das fehlt beiden derzeit, weshalb sie oft Aufgaben rund um das Haus an der Friedensstraße erledigen. Am liebsten mäht Timerlan Tamaev den Rasen, erzählt der 59-Jährige lachend. Auch ein kleines Beet mit Tomaten hat er hinter dem Haus angelegt, das er stolz zeigt. Momentan denkt die Familie darüber nach, sich um einen der Gärten auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu kümmern.

Freundlich nennt Timerlan Tamaev die Einwohner Rothenburgs. Das Zusammenleben mit den Nachbarn funktioniert gut, auch wenn mitunter Gerüchte die Runde machen, dass dies nicht so sei. Während er erzählt, wird der Duft, der zuvor durchs Haus geweht ist, immer intensiver. Zum Abschied lädt Familie Tamaev zum Essen ein. Einen gut gefüllten Teller mit gebuttertem Reis und kandierten Rosinen gibt es.