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„Das war meine Heimat, das bleibt meine Heimat“

Wenn am Sonnabend in Kopaczów die 13. Europäische Kirmes gefeiert wird, ist die Zittauerin Brigitte Kapitza dabei.

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Von Rolf Hill

Die 80-jährige Brigitte Kapitza muss schmunzeln. „Ach ja, der Dietmar, der wollte mich als Kind immer heiraten.“ Die Rede ist von Dr. Dietmar Brendler, dem Vater der Europäischen Kirmes, die am Sonnabend bereits zum 13. Mal in Kopaczów, dem ehemaligen Oberullersdorf, stattfindet. Selbstverständlich wird die rüstige Zittauerin dabei sein. „Das war meine Heimat, und das bleibt meine Heimat“, sagt sie, „egal, was da alles gewesen ist.“ Und natürlich freut sie sich schon jetzt auf das Wiedersehen mit all ihren ehemaligen Freundinnen und Freunden.

Immer wieder denkt Brigitte Kapitza an die Kindheit zurück. Geboren wurde sie, genau wie Dietmar Brendler, im ehemals böhmischen Ullersdorf, dem heutigen Oldrichov na Hranicích. „Die hatten gleich nebenan ein größeres Bauerngehöft“, erinnert sie sich. Ihre Mutter habe manchmal was für die Familie genäht. Dafür konnte man bei Brendlers immer Milch holen. Von Anfang an waren die beiden fast gleichaltrigen Kinder enge Spielgefährten, am liebsten beim „Vater-Mutter-Kind“. Natürlich wurde dabei das kopiert, was man Tag für Tag erlebte. Ein verschmitztes Lächeln huscht über Brigittes Gesicht, als sie erzählt: „Der Dietmar als Vater bestimmte den Tagesablauf. Doch kaum hatte man sich zum Schlafen hingelegt, da hieß es schon, es sei Zeit, in den Stall zu gehen. Die Kühe müssten gefüttert und gemolken werden.“ Nein, das habe ihr dann doch nicht so recht gefallen. Sie wollte später einmal nicht jeden Tag bereits in der Morgendämmerung aufstehen müssen. 1940 zog sie zu ihrem Großvater ins sächsische Oberullersdorf (Kopaczów). Dort ging sie auch bis 1944 in die Grundschule, danach ein Jahr in die Grottauer Bürgerschule. Der Wechsel von Böhmen nach Sachsen und zurück sei damals kein Problem gewesen. Überhaupt waren die Menschen beider Ortsteile so miteinander verwandt und bekannt, dass man keinen Unterschied merkte. Das erleichterte auch die Pascherei. „Das machte jeder“, sagt Brigitte belustigt, „und so hat es mich ebenso geprägt.“ Ihre Mutter habe damals extra ein etwas weiteres Leibchen genäht, in dem beim Besuch auf der böhmischen Seite die Zigarren für den Opa verschwinden konnten. Aber diese Art des Warenaustauschs gab es auch in die andere Richtung, immer je nach Angebot und Nachfrage. Und bei Kindern drückten die „Finanzer“ schon mal ein Auge zu.

Brigitte Kapitza wird ernst, als sie beim Jahr 1945 angelangt ist. „Zwei Stunden gaben uns die Polen Zeit“, sagt sie, „dann mussten wir raus sein.“ Erlaubt waren nur Handgepäck und ein kleiner Leiterwagen für vier Personen. Was sie in Zittau erwartete, war Chaos. Jeder war bemüht, in der Stadt oder deren unmittelbarem Umfeld zu bleiben, immer in der Hoffnung, die Ausweisung sei nur vorübergehend. Tatsächlich hielten sich hartnäckige Gerüchte über eine mögliche Rückkehr, zuerst Weihnachten, dann zum Jahreswechsel, zu Ostern. Nichts geschah. Mit der Anerkennung der „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ war alle Hoffnung gestorben. Das Leben normalisierte sich, Arbeit gab es genug. Brigitte Kapitza ging in die Textilindustrie, lernte irgendwann beim Tanz im Volkshaus ihren Jochen kennen. Er stammte aus dem niederschlesischen Liegnitz, heute Legnica, und hatte ein ähnliches Schicksal hinter sich. Sie hatten sich gefunden, gründeten eine Familie, Tochter Conny wurde geboren. Die Zeit verging in Freude und Leid. Nach längerer Krankheit riss ihn vor zwei Jahren der Tod aus ihrer Mitte.

„Ich kann den Leuten, die heute in unserer Heimat leben, nicht böse sein“, betont sie. „Warum auch? Die wurden doch auch gezwungen, hierher zu gehen.“ Natürlich habe es den Unterschied gegeben, dass diese Umsiedler in die aufgegebenen deutschen Häuser ziehen konnten, während sie selbst in Zittau vor dem Nichts standen. Aber Unrecht war es allemal, meint sie. Auch in den böhmischen Teil zog es sie immer wieder, zumal ihre Großeltern noch dort wohnten. „In Görsdorf (Loucná/Ortsteil von Hrádek nad Nisou) leben noch Verwandte von uns“, erzählt sie. „Wir haben all die Jahre über Kontakt gehalten. Ich habe sie unterstützt, wie ich konnte. Sie haben mir dafür bei der Beschaffung der Unterlagen geholfen, als das Vertriebenengeld beantragt werden konnte.“ Nun endlich habe man hier die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen. Es freue sie sehr, dass Dietmar, ihr Freund aus Kindertagen, damals als erster die Initiative ergriff. Die Kirmes am Sonnabend sei ein weiterer Schritt auf dem Weg, den sie unbedingt weiter mitgehen will.