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Das Wissen der Altvorderen bewahren

Constanze Herrmann hält das Vergangene in Ehren. Das tut sie in Tauchritz und im Physikalischen Kabinett zu Görlitz.

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© nikolaischmidt.de

Von Ines Eifler

Görlitz. Wer schon einmal eine Führung durch das Physikalische Kabinett im Barockhaus Neißstraße 30 in Görlitz erlebt hat, kennt Constanze Herrmann. Die gelernte Diplom-Ingenieurin ist diejenige, die sich besser als jeder andere Mensch mit dieser wertvollen Sammlung aus dem 18. Jahrhundert auskennt. Kürzlich hat sie ihre Dissertation über das Kabinett veröffentlicht, eine grundlegende, umfassende Forschungsarbeit, die alles enthält, was es zu Adolph Traugott von Gersdorf und seiner Sammlung zu sagen gibt.

Nebenher hat sich Constanze Herrmann zusammen mit „vielen fleißigen Helfern“ aber noch einem ganz anderen Thema zugewandt und dazu Mitte Mai eine Ausstellung in Tauchritz eröffnet. Hier haben sich vor Jahren die Versöhnungskirchengemeinde, der Heimatverein Tauchritz und der Verein der Oberlausitzer Bergleute entschlossen, das alte Pfarrhaus gemeinsam mit Leben zu füllen. „Es ist ja nicht mehr bewohnt“, sagt Constanze Herrmann. Sie selbst stammt aus Weinhübel und wirkt seit Gründung der Versöhnungskirchengemeinde 2005 am guten Miteinander der fusionierten Altgemeinden mit. Mit Fördermitteln und viel eigener Kraft haben die drei Gemeinschaften das Pfarrhaus denkmalgerecht saniert, die Bevölkerung aufgerufen, ländliche Gegenstände beizusteuern, und 2014 die „Tauchritzer Stuben“ eröffnet. Seit drei Wochen ist nun passend zum Reformationsjahr die erste Sonderausstellung zu sehen: „Spuren der Reformation im evangelischen Pfarrhaus Tauchritz“. Sie vereint zahlreiche kirchliche Gegenstände vom Klingelbeutel bis zum Abendmahlsgeschirr, die bis zur Sanierung im alten Pfarrhaus lagerten.

Constanze Herrmann, Wissenschaftlerin, Freiberuflerin, Präsidiumsmitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften und Gemeinderätin der Versöhnungskirchengemeinde, hat zu beiden Orten eine enge Beziehung, zum Physikalischen Kabinett in Görlitz wie zum Pfarrhaus Tauchritz. Sie hängt an Dingen aus früheren Zeiten, weil sie damit aufgewachsen ist. Als Ingenieurin ist sie fasziniert davon, wie gut technische Geräte früher verarbeitet waren, wie sie funktionierten und wie viele Jahrzehnte sie oft in Gebrauch waren. „Die Menschen, die vor uns gelebt haben, hatten viel Wissen, das heute leider verloren geht“, sagt die 52-Jährige, „deshalb sollten wir es bewahren und achten.“

Fast liebevoll lässt Constanze Herrmann ihren Blick über die Gerätschaften der Landwirte, die Werkzeuge der Zimmermänner, Müller, Bäcker und Fleischer im Pfarrhaus Tauchritz wandern, über das Spinnrad, die mechanische Nähmaschine, die Möbel in der „Guten Stube“ oder die alte Schreibmaschine in der Amtsstube des Pfarrers. Alles Gegenstände, die zeigen, dass der Ort vor Tagebau und Kraftwerk ein echtes Dorf mit ländlicher Tradition war.

Genauso dient ihre Dissertation dazu, früheres Wissen zu bewahren und zu würdigen. Auch zum Physikalischen Kabinett hat Constanze Herrmann eine persönliche Bindung: zu all den heute fast exotisch wirkenden technischen Geräten und Instrumente mit denen Adolf Traugott von Gersdorf vor 250 Jahren zu experimentieren begann, um Phänomene der Elektrizität, des Magnetismus, der Optik und anderer Wissensfelder näher kennenzulernen und zu nutzen. Zum Beispiel hat Gersdorf den Blitzableiter in der Oberlausitz etabliert.

Jedes seiner insgesamt 300 Geräte, die noch im Besitz der Städtischen Sammlungen sind, hatte Constanze Herrmann mehrmals in den Händen. Sie hat sie untersucht und ausprobiert. Sie hat sie zahlreichen Menschen erklärt und vorgeführt. Sie hat sie vor der Sanierung des Barockhauses eingepackt und für die neue Ausstellung wieder ausgepackt. Manche verloren geglaubten Dinge hat sie im Fundus des Museums wiederentdeckt, andere musste sie für verschollen befinden. Viele hat sie selbst fotografiert. Und dann auf 450 Seiten beschrieben, zeitlich eingeordnet, ihren Sinn und Nutzen erklärt, um am Ende festzuhalten, dass Gersdorfs Sammlung nicht nur eine provinzielle Besonderheit ist, sondern ein Schatz, der mit bedeutenden Sammlungen in Europa mithalten kann.

Dass Constanze Herrmann sich mit über 40 Jahren überhaupt noch einmal in eine wissenschaftliche Arbeit vertieft hat, war Zufall. Nach einer Führung hatte ihr ein Professor der Wissenschaftsgeschichte vorgeschlagen, bei ihm zu promovieren. Sie nahm das Angebot an und ist froh darüber. Weitere wissenschaftliche Pläne hat sie erst einmal nicht. „Aber andere Ideen“, sagt Constanze Herrmann. Besonders im Pfarrhaus Tauchritz ist Raum dafür. Weitere Sonderausstellungen sollen folgen.

„Das Physikalische Kabinett zu Görlitz“ ist im Buchhandel erhältlich: ISBN 978-3-944560-27-4. Das Pfarrhaus Tauchritz ist von Mai bis Oktober täglich von 11.30 bis 17.00 Uhr geöffnet.