Denkanstoss aus Plexiglas

Mit Jesus hatte es begonnen. Spätestens. Ein Mensch, hingerichtet am Kreuz. Ein Missbrauch des Symbols, fortgesetzt durch die Jahrhunderte. Bei den Kreuzzügen, im Hakenkreuz der Nationalsozialisten – der Künstler Ludger Hinse zählt auf und meint auch jene Kreuze, die seit Wochen in Bautzen, Görlitz, Löbau und anderen Städte der Oberlausitz errichtet werden. Oft tragen sie Namen von Menschen, die bei Angriffen oder Anschlägen „in Zusammenhang mit Ausländern umgekommen sind“, wie Medien formulieren.
„Kein Symbol der Welt ist vor Missbrauch sicher“, sagt der Recklinghausener Hinse und hält dagegen. In Bautzen ist das Zufall. Grundsätzlich aber Absicht. Seit rund 20 Jahren erschafft der inzwischen 70-Jährige Kreuzkunstwerke. Aus Bronze und Edelstahl, aus Plexiglas und Blech. Politische Kreuze, Leidenskreuze, Menschenkreuze. Vor allem aber Lichtkreuze, bei denen Schönheit und Farbspiel im Mittelpunkt stehen.

„Das Schöne ist für manche Menschen mehr Provokation, als das Leidenssymbol“, sagt Hinse. Er hat schon erlebt, dass ein Pfarrer froh gewesen ist, als sein Farbwerk wieder aus der Kirche verschwunden war. In Bautzen haben die katholische und die evangelisch-lutherische Kirche den Künstler bewusst eingeladen. Seit Mittwoch zeigt er 34 seiner Kreuze und andere Plastiken an 13 Orten – vor allem in Gotteshäusern und auf Friedhöfen, aber auch in der Gedenkstätte Bautzen II, im Theater, im Stadtmuseum.
Dass die Ausstellung unter der Überschrift „Licht bewegt“ gerade jetzt stattfindet, während Kreuze vermutlich aus fremdenfeindlichen Motiven vielerorts auftauchen, ist keine direkte Antwort auf die Vorfälle. Denn die Kirchgemeinden und der Künstler haben 2017 mit den Vorbereitungen für das Projekt, das auch über 80 Veranstaltungen wie Vorträge, Führungen und Konzerte umfasst, begonnen.
Doch als Ludger Hinse von dem gehört hat, was da in Bautzen und der Region passiert, hat er sich gesagt: „Jetzt erst recht.“ Nur die Stirn bieten will er allerdings nicht, sondern gern das Gespräch suchen. „Wenn sie mich einladen, gehe ich hin und rede mit ihnen“, sagt der Kunstschaffende. Und meint die Kreuzbauer aus der rechten Ecke. Bange sei ihm da nicht. „Arbeiter, Westfale“, nennt sich Hinse, ein kräftiger Mann mit grau-meliertem Bart und schwarz-umrandeter Brille.

Beim Aufbau seiner Objekte im Bautzener Dom trägt er grelles Orange. Er redet gern und viel über seine Projekte in aller Welt – in Santiago de Chile hat der Künstler mit mehr als 300 Einzelausstellungen im Lebenslauf zum Kreuz gefunden. Er hörte vom Marsch der Mütter, die mit Fotos ihrer verschwundenen Söhne und Töchter gegen die damalige Militärdiktatur protestierten. Angeführt wurde der Zug von Frauen, die drei Kreuze trugen, zu ihrem Schutz. Das habe ihn fasziniert. Seitdem widmet sich Ludger Hinse der Vielfalt im Kreuz.
Auch in Bautzen wird die sichtbar. In der Gedenkstätte Bautzen II, dem ehemaligen Stasiknast, ist ein Blechkreuz zu sehen. Darauf abgebildet sind Bilder der Leichenberge von Auschwitz. In der Kapelle auf dem Nikolaifriedhof wird das Splitter-Sternenkreuz gezeigt. Der Künstler hat es aus einem Kreuz neu zusammengesetzt, das ihm kaputt gegangen war.
In der Maria-Martha-Kirche am Rande des Zentrums gibt es ein Kreuz, in dem eine Art Treppe zu erkennen ist. Eine Himmelsleiter. Denn für Ludger Hinse steckt im Kreuz nicht nur ein Bild für Sterben und Tod, sondern auch für Auferstehung, ganz im Sinne der christlichen Theologie. In den Kirchen sei das aber durch die Darstellung des Kruzifixus, des gekreuzigten Christus, verdrängt worden.

Im Petridom, der von evangelischen und katholischen Christen genutzt wird, sind mehrere Objekte zu finden. Manche fast versteckt, wie sechs kleine Plastiken an den Säulen im Mittelteil. Auf Stelen stehen Figuren in Kreuzeshaltung. Angedeutete Dornenkronen auf den Köpfen. Eine Gestalt ist gefesselt, eine andere hat die Arme wie Christus am Kreuz ausgebreitet. Eine krümmt sich im Schmerz. Menschen als Kreuz – ja. „Aber Menschen am Kreuz gibt es bei mir nicht“, sagt Ludger Hinse.
Über dem Altar schwebt ein Lichtkreuz. 15 Kilogramm Plexiglas. Erst bei Sonneneinstrahlung oder durch Foto-Blitzer wird aus dem durchsichtigen Kunststoff ein Farbenspiel – rot, blau, pink, violett leuchtet das Kreuz. Je nach Licht und Winkel.
Die Ausstellung „Licht bewegt“ in Bautzen ist bis 9. Juni zu sehen.
Der Künstler führt selbst am 7. März (Start am Dom), ab 17.30 Uhr, und am 8. März, ab 19 Uhr (Start Liebfrauenkirche) zu ausgewählten Objekten.
Er predigt am 10. März, 15 Uhr, im Dom.