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Der Bär ist los im Landkreis Görlitz

Sachsenweit breiten sich die Waschbären immer mehr aus. In der Region ist von einer Plage aber noch keine Rede.

Von Matthias Klaus
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Waschbären sitzen im Baum, hier ein Foto aus dem Tierpark Görlitz: Zu einer Plage sind sie in der Stadt noch nicht geworden.
Waschbären sitzen im Baum, hier ein Foto aus dem Tierpark Görlitz: Zu einer Plage sind sie in der Stadt noch nicht geworden. © C. Hammer

Die meisten Waschbären in Görlitz leben wohl an der Zittauer Straße. Dort gibt es gleich sechs von ihnen. Sie haben ein gutes zu Hause, werden regelmäßig gefüttert und können jetzt ganz ungestört ihre Winterruhe halten, wenn sie es denn möchten. Die sechs leben im Görlitzer Tierpark. „Mehr werden es nicht. Wir nehmen keine weiteren Waschbären auf“, sagt Zoochef Sven Hammer. Alle Tiere in der Einrichtung sind kastriert.

Waschbären – in Sachsen scheinen sie sich sehr wohlzufühlen. Ihre Zahl nimmt zu. Wie viele genau im Landkreis Görlitz beheimatet sind, ist allerdings unklar. Eine Zählung gab es bisher nicht. Aus den sogenannten Jagdstreckenergebnissen der vergangenen Jahre könne man aber Rückschlüsse auf das Wachstum der Waschbärenpopulation im Kreis ableiten, heißt es vom Kreisforstamt. Und diese Zahlen zeigen: Seit 2007 ist die Zahl der gejagten Tiere rasant gestiegen. Erstaunlich findet das Professor Hermann Ansorge vom Senckenberg-Naturkundemuseum in Görlitz. „Bis nach 1990 hatten wir gar keinen Nachweis von Waschbären in der Lausitz“, sagt er. Seit etwa Mitte der 1990-er Jahre habe sich die Zahl der Allesfresser aber rapide erhöht. Die Stadt Görlitz selbst bleibt derweil von wild lebenden Waschbären größtenteils verschont. „Ich hatte bisher erst einen toten Waschbär aus der Stadt zur Untersuchung hier“, so Hermann Ansorge, der Abteilungsleiter Zoologie am Naturkundemuseum. Kann man dann trotzdem von einer Waschbärplage in der Region sprechen? „Das ist eine Frage, wie man eine Plage definiert“, so Hermann Ansorge. Er hatte auf seinem Grundstück auch schon Besuch der Vierbeiner, auf dem Kirschbaum. Sie haben sich an den Früchten satt gefressen, durch ihr Gewicht an anderen Bäumen Äste abgebrochen. „Aber ist das dann schon eine Plage?“, fragt sich Hermann Ansorge. Schwieriger sei es natürlich, wenn sich Waschbären in Häusern einnisten und bei der Suche nach einer neuen Behausung Dachziegel abreißen. Denn die Tiere sind gute Kletterer.

Waschbären sind Allesfresser und Nesträuber, teilt das Forstamt des Kreises mit. Sie seien daher eine Gefahr für heimische Tierarten wie beispielsweise Wasservögel, Enten, bedrohte Vogelarten. Im Naturschutzgebiet Niederspree seien in den letzten Jahren immer weniger Enten- und Taucherarten festgestellt worden. Deshalb gelte es dort, den Waschbärenbestand so niedrig wie möglich zu halten. 2016 wurde mit einem gezielten Programm begonnen, in dem Waschbären per Falle geschnappt werden. Bis zum Oktober 2018 wurden auf diese Weise 246 Waschbären gefangen. In ganz Sachsen ist der Waschbär inzwischen verbreitet, wenn auch lückenhaft. In der Region liegen die Schwerpunkte im Oberlausitzer Teichgebiet, aber auch ganz im Osten der Oberlausitz.

Stellt sich die Frage: Wo kommen die Tiere her? Waschbären stammen eigentlich aus Mittel- und Nordamerika. „Sie sind Neubürger“, sagt Hermann Ansorge. Nach Europa kamen sie als Pelzlieferant in den 1920-er Jahren. Zunächst wurden die Tiere ausschließlich in Farmen gehalten. Aber einige Waschbären entkamen und manche wurden absichtlich ausgesetzt. Der erste Fall soll 1934 mit vier Tieren am hessischen Edersee passiert sein. Damit wurde der wild lebende Bestand in Deutschland begründet. Hermann Ansorge vom Senckenberg-Museum geht davon aus, dass die weitere Verbreitung hierzulande nicht verhindert werden kann, auch nicht durch eine stärkere Jagd. Die Tiere dürfen generell ganzjährig bejagt werden.

Derzeit hat Ansorge zwei Masterarbeiten auf dem Tisch, die sich mit dem Thema beschäftigen. Noch ist das Phänomen Waschbär im Kreis Görlitz relativ unerforscht. Die niedrigen Temperaturen derzeit machen ihnen jedenfalls nichts aus, sagt Sven Hammer. In der Winterruhe verlieren sie zwar ein Drittel des Körpergewichts. „Aber das fressen sie sich schnell auch wieder an“, so der Tierparkchef.

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