SZ + Feuilleton
Merken

Der Dresdner, der mit dem Nobelpreis verschwand

Obwohl Karl Gjellerup die höchste Auszeichnung für Literaten bekam, geriet er in Vergessenheit. Vor 100 Jahren starb er in seiner sächsischen Wahlheimat.

 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Karl Gjellerup starb vor 100 Jahren in Dresden-Klotzsche.
Karl Gjellerup starb vor 100 Jahren in Dresden-Klotzsche. © wiki

Von Christoph Pötzsch

Derzeit bastelt man in Dresdens Kulturbüros an der Bewerbung für den Titel „Kulturhauptstadt 2025“. In das Bukett werden Namen eingefügt, die der sächsischen Residenz einen möglichst uneinholbaren Vorsprung vor der Konkurrenz verschaffen sollen. Kaum ein namhafter Künstler, der Dresden vor allem im 18. und 19. Jahrhundert nicht wenigstens einmal besucht hat. Von längeren oder gar lebenslänglichen Aufenthalten ganz zu schweigen. Musiker, Maler ohne Zahl. Damit kann man punkten. Literaten auch? Literaten auch. 

Vermeintlich repräsentative Übersichten nennen 85 Namen. Da steht zum Beispiel Ludwig Renn, der vom Weltautor zum Parteijournalisten wurde. Auch Max Zimmering, über den wohl inzwischen zu Recht das literarische Gras des Vergessens wächst. Sogar Friedrich Schiller wird darin geführt, obwohl er nur zwei Jahre in der sächsischen Residenz weilte und zudem die Dresdner als ein „unleidliches, zusammengeschrumpftes Volk“ beschimpfte.

Was man in solchen Listen allerdings kaum findet, ist der Name des einzigen Dresdner Literaturnobelpreisträgers. Und es wird zu vermuten sein, dass auch die Dresdner Kulturbürokraten nicht mit diesem Karl Gjellerup werben werden. Man nimmt ihn in Dresden nicht zur Kenntnis. Und das seit 100 Jahren.

Karl Gjellerup, geboren 1857 in einem gut situierten dänischen Elternhaus. Bildungsbürgertum. Schreibt bereits in seiner Abiturzeit Theatertexte. Veröffentlicht mit 21 Jahren seinen ersten Roman „Ein Idealist“. Weitere Bücher folgen. Gjellerup wird in Dänemark zum Star. Als er eine nicht unerhebliche Erbschaft macht, geht er auf Weltreise. Mit seiner lyrischen Tragödie „Brünnhilde“ gelingt ihm 1884 der literarische Durchbruch in ganz Europa. Er zieht weiter durch den Kontinent, lebt eine Weile in Dresden und lässt sich schließlich im März 1892 endgültig in der Stadt nieder.

Hier spannt er seinem Freund, dem Musiker Fritz Bendix, die Frau aus. Die Zeit des Anbaggerns der Frau seines Freundes beschreibt Gjellerup genüsslich in einem Buch mit dem etwas umständlichen deutschen Titel „Seit ich zuerst sie sah“. Der autobiografische Roman spielt zumeist in Dresden, er beginnt auf der Brühlschen Terrasse und führt dann nach Rathen, „in das Sandsteinland“. Den Lilienstein vergleicht er mit einem Panzerschiff, das auf den Waldwellen dahinfährt.

Die Frauen sind hin und weg

Um die Jahrhundertwende ändern sich Sujet und Stil. Er durchläuft eine intensive buddhistische Phase. Vor allem Frauen kaufen seine Bücher und sind hin und weg. Längst fühlt er sich als Dresdner. Man trifft ihn mit anderen Literaten im Gasthof „Zum Goldenen Engel“ auf der Wilsdruffer Straße. Schließlich der Ritterschlag: Er bekommt 1917 den Literaturnobelpreis „für seine vielseitig reiche und von hohen Idealen getragene Dichtung“. Dresden hat jetzt seinen Literaturnobelpreisträger. Aber gefeiert wird nicht. Es ist die Zeit des langsam zu Ende gehenden Ersten Weltkriegs. 1917 ist der Hunger groß. Die Menschen in Dresden interessieren sich mehr, woher sie die Nahrung für den Tag bekommen.

Und dazu kommt, dass die Verleihung wegen der Kriegswirren herzlich schlicht ist. Genau genommen gibt es keine Verleihung. Gjellerup findet die Nachricht, dass er den Literaturnobelpreis bekommen hat, mitsamt Urkunde im Briefkasten. Wenigstens das Geld wird überwiesen. Dafür kauft sich der Preisträger eine herrschaftliche Villa in Dresden-Klotzsche. Am 11. Oktober 1919, vor 100 Jahren, stirbt er, sein schönes Haus hat er gerade mal ein Jahr lang genutzt. Begraben wird er auf dem Alten Friedhof in Klotzsche.

Seit 2004 gibt es in Dresden eine Gjellerupstraße. Es ist eine winzige Sackgasse im Dresdner Norden, daneben führt eine breite und repräsentative Straße zum Flughafen. Diese Straße heißt auch heute noch Karl-Marx-Straße. Aber wir können froh sein: Wenn sich schon das offizielle Dresden nicht für eine angemessene Ehrung des Literaturnobelpreisträgers einsetzt, so tut das wenigstens Guinea-Bissau mit einer Briefmarke. Wenn auch leider mit falscher Jahreszahl.