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Der Drucker vom Café Prag

Dieter Freund besitzt einen Schatz: Originalplakate vom ehemaligen Varieté. Er verbindet aber noch viel mehr damit.

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© Sven Ellger

Von Anna Hoben

Einst war das Café Prag unerreichbar. Ohne Beziehungen musste man zu DDR-Zeiten jahrelang warten, bis man einmal in das Varietétheater kam. Damals war Dieter Freund ein häufiger Gast. Heute ist es umgekehrt: Seit Monaten warten Händler und Gastronomen, dass mehr Besucher zu ihnen in die Markthalle kommen. Dieter Freund aber war seit der Eröffnung im vergangenen Dezember noch nie dort.

Manchmal ist er traurig, dass es 25 Jahre lang nicht gelungen ist, das Café Prag zu reaktivieren. „In der Form wie früher wird es den Ort nie wieder geben“, sagt der 67-Jährige, „aber es wäre schön, ein Stück Tradition wieder aufleben zu lassen.“

Wenn er früher in das Varieté ging, dann kam er meist durch die Hintertür. Er hatte Beziehungen, ein guter Kumpel von ihm kannte den Oberkellner Peter. Zum Beispiel 1973, Dieter Freund war noch Student. In der Gockelbar hatte er mit Freunden Broiler gegessen. Als jeder schon drei Bier intus hatte, kam einer auf die Idee, man könne zu Peter rübergehen. Durch die Küche gelangten sie in den Aufenthaltsraum der Kellner. Von dort aus wurden sie ins Publikum geschleust. Der Zuschauerraum war nicht groß, vielleicht 80 bis 100 Menschen passten hinein. Die Stimmung war dafür umso großartiger. Es herrschte eine warme, intime Atmosphäre. „Manchmal kamen die Künstler an die Tische und sprachen mit den Gästen.“

Im Café Prag am Altmarkt erlebte Dieter Freund den Conférencier O.F. Weidling. Er flirtete mit hübschen Frauen. Und er war dort an jenem düsteren 19. März 1986, als Bayer Uerdingen die Mannschaft von Dynamo Dresden mit 7:3 aus dem Europapokal schoss. Im Raum des Restaurantleiters hörte er das Spiel live im Radio. 20 Jahre später sollte die Begegnung in einer Umfrage des Magazins 11 Freunde zum größten Spiel aller Zeiten gewählt werden.

Buchdrucker hatte Freund ursprünglich gelernt, in Großenhain. Mitte der 1960er-Jahre musste er zur Armee, danach machte er auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur. Ab 1973 studierte er Sportwissenschaft, kam als Lehrer nach Dresden. Gleichzeitig betreute er Sportler aus dem In- und Ausland. Die führte er oft ins Café Prag. „Wir hatten Weltmeister dabei.“ Die Biathleten Eberhard Rösch und Steffen Thierfelder, die Kanutin Bettina Schneider, die damals Müller hieß.

Irgendwann kam der Gedanke, noch einmal etwas Neues anzupacken. 1985 feierte die Druckerei Gröschel am Schillerplatz ihr 100-jähriges Bestehen. Der Inhaber, ein Bekannter von Dieter Freund, war damals schon über 70. Freund erinnerte sich an seinen ersten Beruf – Buchdrucker – und sagte: „Ich will übernehmen.“ Gröschel warnte ihn: „Bist du blöd? Da verdienst du nichts.“ Doch Freund beharrte; er wollte Freiheit, sein eigenes Ding machen.

Da war sie wieder, die Verbindung zum Café Prag, die Dieter Freunds Leben begleitet: Jahrelang, seit 1961, hatte nämlich die Druckerei Gröschel die Plakate mit den Veranstaltungsankündigungen für das Varieté gedruckt. Im Jahr 1987 übernahm Freund die Druckerei. Er begann, die alten Räume am Schillerplatz vorzurichten, doch die Technik war hoffnungslos veraltet. Der neue Besitzer suchte und fand ein Gebäude in Leutewitz, baute es um und zog mit seiner Firma dorthin.

„Heute würde ich alles anders machen“, sagt der 67-Jährige. Hätte er gewusst, was auf ihn zukommen würde, hätte er die Druckerei damals nicht gekauft. Die Wende habe in seinem Metier einen Wechsel „vom Mittelalter in die Zukunft“ bedeutet. Und es sei nicht immer leicht gewesen, als Selbstständiger die 15 Mitarbeiter zu bezahlen. Seit 2007 macht die Druckerei Freund keinen Offset-Druck mehr. Seitdem steht nur noch eine digitale Xerox-Maschine im oberen Stockwerk des langen, weißen Flachbaus in Leutewitz. Im Untergeschoss liegt ein Exposé, Freund und seine Frau wollen nämlich verkaufen, den Flachbau und das benachbarte Wohnhaus gleich mit dazu. Sie haben vor, sich eine Wohnung in der Stadt zu suchen, und dann wollen sie reisen, die Welt kennenlernen.

Beim Aufräumen haben sie die alten Café-Prag-Plakate wiedergefunden: 35 Stück, im A-2-Format, gedruckt auf dem typischen Plakatpapier: 80 Gramm, die Vorderseite weiß und beschichtet, die Rückseite grau. In einer Auflage von 200 wurden die Plakate gedruckt – und in der ganzen Stadt aufgehängt. Sie kündigen den Komiker Peppi Zahl an, den Entertainer Günther Krause und Heinz Quermann, den Thomas Gottschalk des Ostens.

Dieter Freund will sich nicht damit abfinden, dass die guten alten Zeiten ein für allemal vorbei sein sollen. Deshalb hat er eine E-Mail geschrieben an Sebastian Stampfl, den Marktleiter im Café Prag. „Sind nicht schon genug Einkaufsgalerien entstanden?“, fragte er. Und fuhr fort: „Das Café Prag war eine Institution.“ Dann beschrieb er seinen Schatz, die Plakate. Demnächst trifft er sich mit Stampfl. Vielleicht gibt es bald eine Ausstellung. Die ein kleines Stück von damals zurückbringt.