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Der Entwicklungshelfer

Von wegen Skandal-Trainer: Eislöwen-Coach Bill Stewart arbeitet in Dresden am Image – und besonders mit jungen Profis.

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© Robert Michael

Von Maik Schwert

Sein Deutsch ist zwar ein bisschen besser als bei seinem Amtsantritt vor einem Monat. Amerikanisch fremd klingt es aber immer noch. Seit dem Trainerwechsel zum Jahreswechsel gilt bei den Dresdner Eislöwen eine neue Amtssprache. „Ihr Englisch ist okay. Sie verstehen alles“, sagt Bill Stewart über seine Profis – auf Deutsch. Einige Brocken kann er also doch schon. Das muss der Italokanadier auch. Schließlich will er mit den Fans reden: beim Stammtisch und beim Winterzauber auf dem Altmarkt. Der 58-Jährige lässt sich mit ihnen ablichten und verteilt Autogrammkarten.

Mit den Medien spricht er ebenfalls – und wird das Gefühl nicht los, sich immer wieder für seine Vergangenheit rechtfertigen zu müssen. Stewart kann es nicht mehr hören – und liest angeblich erst recht nicht, was in der Presse steht. Was schreiben die Zeitungen nicht alles über ihn?

Beispielsweise von Stewart, dem Schleuser, der zur Jahrtausendwende probierte, einen Profi über die Grenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten zu schmuggeln. „Der Ukrainer hatte ein Visaproblem“, sagt er und erzählt die Geschichte aus seiner Sicht: „Er war Teil unserer Mannschaft. Wir konnten ihn doch nicht zurücklassen und versteckten ihn auf einer Toilette. Damals merkte das keiner. Wir flogen erst vier Monate später auf, nachdem der Spieler zu einem anderen Klub gewechselt war. Da stand er an der Grenze vor dem gleichen Problem und erzählte unsere Story. Ich bekam sechs Jahre Einreiseverbot in die USA.“

Oder zu seinem angeblich miserablen Verhältnis mit Spielern. „Stefan Ustorf war mein Kapitän bei den Adlern in Mannheim. Wir hatten eine gute Beziehung. Die Medien haben sie schlechter dargestellt“, erzählt Stewart seine Version. Beide haben jetzt wieder miteinander zu tun. Der Eislöwen-Trainer verhandelt mit dem Eisbären-Sportdirektor über den Einsatz der Berliner Förderlizenzspieler in Dresden. Da stockte zuletzt die bis zum Trainerwechsel ordentlich funktionierende Kooperation. „Wir sind im täglichen Austausch und haben einen direkten Draht.“ Bei den Treffen mit den Fans bleibt es bei diesen beiden alten Geschichten.

Stewart, der Skandal-Trainer? „Keine Ahnung“, antwortet er. „Vor 15 Jahren war ich ein Arschloch. Seitdem habe ich mich verändert. Ich musste mich anpassen. Ansonsten hätte ich als Coach nicht überlebt. Jetzt bin ich ein netter Kerl.“ Einer, mit dem man auch Spaß haben kann, der sich selbstkritisch mit Fehlern auseinandersetzt, Spieler respektiert, sich auf sie einstellt, in sie hineinversetzt, hinter ihnen steht. „Cleveres Auftreten“ nennt er das. Stewart, der Smarte.

Emotionen lässt er heute anders raus. Stress baut Stewart beim Holzhacken ab – in Kanada jedenfalls. In seiner neuen Heimat sucht er noch etwas Vergleichbares. Die Fans empfehlen ihm im Winter die Kletterhalle und im Frühjahr die Sächsische Schweiz. Sie wundern sich über Stewart, weil dessen markanter Unterkiefer sich nur beim Lachen oder Reden bewegt. Die Fans möchten erfahren, wie viele Kaugummis er in jedem Spiel verbraucht. Neun Stück sind es – drei pro Drittel. Wassermelone ist die Geschmacksrichtung.

Sie wollen wissen, was ihn am meisten überrascht hat beim Wechsel von Toronto nach Dresden. „Das Level in der Deutschen Eishockey-Liga 2 erinnert mich an die DEL. Die jungen Spieler haben ein gutes Niveau und verfolgen große Ziele. Sie zeigen Einsatz und Kampf.“ Da ist er in seinem Element. Leidenschaft und Temperament – darum geht es ihm. Das sind für ihn Schlüssel zum Erfolg. Nach fünf Jahren in der Ontario Hockey League, „der besten Ausbildungsliga der Welt“, betrachtet sich Stewart in der DEL 2 als Entwicklungshelfer.

Erstens für die Liga, die mit dem Winter-Derby bewiesen hat, dass sie der DEL in Sachen Professionalität in nichts nachsteht. „Ich war schwer beeindruckt von der perfekten Organisation und sah mir erstmals in meiner 20-jährigen Trainerkarriere sogar das Aufwärmen an – unglaublich, was da passiert ist. Das war ein Höhepunkt in meiner Laufbahn, und ich bin seit gut vier Jahrzehnten im Eishockey unterwegs.“ Sein Urteil hat also etwas zu bedeuten.

Zweitens für den Verein, der mit diesem Duell im ausverkauften Fußball-Stadion gegen die Lausitzer Füchse ein Zeichen gesetzt hat. „Wer so was schafft, ist auch bereit für den nächsten Schritt.“ Er möchte Dresden als Eishockey-Stadt etablieren. „Ich weiß schon seit 2008, dass es ein fantastischer Platz für einen Trainer ist. Damals war ich mit den Hamburg Freezers da.“ Die Eislöwen hätten mit der Arena, den Fans und dem Stellenwert der Sportart das Potenzial für Liga eins.

Drittens für die Profis, in erster Linie die jungen. Stewart erwähnt etwa Feodor Boiarchinov und Vladislav Filin. Sie erinnern ihn an seine Ära bei den Adlern. Damals ebnete er Spielern wie Marcel Goc und Dennis Seidenberg den Weg in die deutsche Auswahl und nach Nordamerika. Stewart gibt Nachwuchsleuten auch heute Einsatzchancen und Tipps, was sie besser machen können, schenkt ihnen Vertrauen, bringt sie weiter. Er entscheidet „hart, aber fair“, nach Leistung, lässt Namen außen vor, auch wenn einer schon Jahre mitspielt.

Jetzt freut sich Stewart erst mal auf seine Ehefrau. Auch sie lernte er in seiner Mannheimer Zeit kennen. „Stinksauer“ sei seine Gattin gewesen, als er vor vier Wochen allein nach Dresden flog und sie wegen der drei Hunde in Toronto bleiben musste. „Silke hat in den fünf Jahren in Kanada auf vieles verzichtet. Sie wollte wieder in ihre Heimat. Am Wochenende kommt sie. Dann ist meine Frau hoffentlich wieder glücklicher.“ Sie kann ihn auf alle Fälle beim Deutsch unterstützen.