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Der Glühwein-Tanker

Fruchtglühwein aus Coswig ist auf dem Dresdner Striezelmarkt begehrt. Torsten Sell braut den seit 24 Jahren in seiner Kelterei. Was drin steckt, ist geheim.

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Von Philipp Siebert

Draußen ist es dunkel. Von der Halle auf dem Hof der Kelterei Sell her strömt ein würzig-süßer alkoholischer Duft. Es riecht nach Zimt, Nelken, Kirschen und Holunder. In beigen Arbeitshosen, blauer Jacke und die halblangen braunen Haare unter einer Wollmütze versteckt steht Torsten Sell vor der Laderampe seines Lastwagens gleich neben der Halle. Von Weitem zählt er die weißen und blauen Kanister und überprüft, ob der große Edelstahltank am Ende der Pritsche sicher steht.

Geladen hat Torsten Sell Glühwein. Aber nicht irgendwelchen. Der Coswiger stellt ausschließlich Fruchtglühweine her. Es gibt einen Mix aus Kirschen, Birnen und Holunder oder reine Fruchtweine aus Heidelbeeren oder Äpfeln. Insgesamt 25 000 Liter lagern in den Tanks der Kelterei. Die zapft Torsten Sell jetzt in der Weihnachtsmarkt-Saison mindestens dreimal in der Woche an. 2 000 bis 3 000 Liter füllt er dann ab, verlädt sie auf seinem Truck und macht sich auf zum Striezelmarkt nach Dresden. Dort verkaufen gleich mehrere Händler seine Getränke.

Kurz vor 8 Uhr. Die meisten Buden des Striezelmarktes sind noch fest verschlossen, als Torsten Sell vorfährt. Am anderen Ende des Altmarkts ist das zuckende orangefarbene Blinklicht einer Kehrmaschine zu sehen, die liegengelassene Becher und Pappteller vom Vortag aufsaugt. Langsam steuert der Coswiger seinen Lkw durch die engen Reihen, vorbei an den festlich geschmückten Holzhütten, gerade auf die einzige erleuchtete Bude in der Mitte des Marktes zu. Torsten Sell wird dort schon erwartet. „Mensch, haste heute mal ausgeschlafen?“, ruft der Mann aus dem Stand und lacht. Der Coswiger grinst, rückt die Plane an der Laderampe nach oben und zieht einen langen Schlauch hervor. „Wie viel?“, fragt er und schraubt das Ende am Auslass des Edelstahltankes auf der Ladefläche fest und reicht den Füllstutzen über den Tresen. „Mach voll!“

Seit dem Sommer steckt der Chef der Kelterei Sell im Fruchtglühwein-Geschäft. Wenn die ersten Äpfel, Birnen und Kirschen reif sind, wird der Most gemacht. Die Früchte werden gepresst und mit Weinhefe versetzt. Dann gärt das Gemisch über Wochen langsam vor sich hin. Der herbe Wein wird gewürzt und mit Zucker versetzt. Torsten Sell braut die Getränke nach einem streng geheimen Familienrezept. Sein Vater Werner hat die Rezeptur entwickelt. „Was drin ist, bleibt auch geheim“, sagt der Coswiger. Nur so viel verrät er: Nelken und Zimt gehören dazu. Und nur Produkte aus der Region kommen in den Punsch.

Nach zehn Minuten schraubt Torsten Sell die Leitung wieder zu. 300 Liter Fruchtglühwein sind durch den Schlauch in einen großen Stahlbottich unter dem Tresen gelaufen. Drei Badewannen könnte man damit füllen – oder 1 500 Tassen. Obendrauf kommen noch ein paar Kanister Apfel-Zimt-Punsch. Die beiden Männer verabschieden sich mit einem derben Spruch. „So ist das hier“, sagt Torsten Sell, „wir alle kennen uns gut, das ist herzlich gemeint, wie in der Familie.“ Weiter geht‘s zum nächsten Kunden.

Unter den Fruchtglühweinlieferanten auf dem Striezelmarkt gehört Torsten Sell zu den Männern der ersten Stunde. Seit 24 Jahren beliefert er die Dresdner Verkäufer. „In den 1990ern hatten wir neun Kunden, da mussten wir mit vier Leuten und zwei Lieferwagen fahren“, erinnert er sich.

Heute sind es in Dresden nur noch fünf. Die beliefert der Coswiger zusammen mit seiner Lebensgefährtin. Zwei andere Keltereien buhlen neben dem Coswiger um die Händler auf dem Striezelmarkt. Besser sieht es dagegen in anderen sächsischen Städten aus. Denn nicht nur in Dresden ist das Gebräu aus Coswig beliebt. Auch auf den Weihnachtsmärkten in Chemnitz, Meißen oder Großenhain wird der wärmende Fruchtwein gern getrunken. „Es reicht, um auch im Winter genug Arbeit zu haben“, sagt Torsten Sell. Der Fruchtglühweinverkauf ist für den 44-Jährigen nur ein Nebengeschäft. „Unser Geld verdienen wir im Sommer mit der Lohnmosterei“, sagt er. Der Chef und die vierköpfige Belegschaft überbrücken so nur den Winter.

Immer mehr Lieferanten drängeln sich inzwischen auf dem Striezelmarkt. Brötchen und Bratwürste werden gebracht. Auch der Nachschub an Wollmützen und erzgebirgischer Holzkunst muss vor den ersten Gästen in den Hütten verstaut werden. Die Männer hinter den Steuern fuchteln mit ihren Händen, versuchen von der Fahrerkabine aus wild gestikulierend den Verkehr zu lenken. Auch Torsten Sell. „Hier braucht man Nerven“, sagt er. Und Durchsetzungsvermögen. Unbeirrt manövriert er den Lkw durch die Reihen, stoppt, rückt die Plane nach oben und beginnt Kanister abzuladen und Tanks zu befüllen.

Nach eineinhalb Stunden hat es der Coswiger geschafft. Er schaut erleichtert drein. 1 500 Liter haben ihm die Händler heute abgenommen. Ein durchschnittlicher Wert. Kein Wunder, bei den milden Temperaturen.Torsten Sell ist jedoch Optimist. Die Nächte werden kühler, Fröste stellen sich ein. Fallen die Temperaturen, wird auch mehr Glühwein getrunken. Und was nicht über die Theken geht, füllt der Coswiger in Flaschen ab. „Den gibt‘s dann bei uns im Hofladen das ganze Jahr über zu kaufen.“

Der Werkverkauf in der Kelterei Sell, Steinbacher Weg 115, in Coswig, findet immer mittwochs von 14 bis 18 Uhr statt.