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Der Heilige See der Slawen

Wo sich heute eine Ackerfläche befindet, verehrten die Daleminzier vor über 1000 Jahren ein heiliges Gewässer.

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Von Christian Kluge und Kerstin Pravemann

Heute muss man warten auf Regenfälle wie im Mai. Dann taucht er wieder auf, der heilige See „Glomuci“. Aber ob es dort jetzt noch Wunder gibt, das muss jeder für sich selbst herausfinden - und zwar schnell. Denn wenn er verdunstet ist, kündet nur noch eine tote Fläche auf den tiefer liegenden Feldern links und rechts der Straße von Lommatzsch nach Mehltheuer vom einstigen Hauptheiligtum des slawischen Volkes der Daleminzier. Die nannten sich vor über 1000 Jahren auch selbst „Glomuci“ und waren die Nachbarn der Sorben, deren Heimat heute nur noch die 70 Kilometer entfernte Oberlausitz ist. Damals aber reichte ihr Siedlungsgebiet bis weit in die Lommatzscher Pflege.

Einer, der damals über die wundersamen Vorkommnisse in der Lommatzscher Pflege berichtete, war Bischof Thietmar von Merseburg, der zwischen 975 und 1018 lebte. Er schrieb: „Glomuci ist eine Quelle, die nicht weiter als zwei Meilen von der Elbe entfernt ist. Sie speist einen See, der nach der Versicherung der Einheimischen und Bestätigung vieler Augenzeugen häufig wunderbare Erscheinungen hervorbringt.“ Bleibt anzumerken, dass eine Meile damals etwa 7,5 Kilometern entsprach. Nach alten Sagen sollen bei bevorstehenden ertragreichen Jahren auf der Wasseroberfläche Weizen, Hafer und Eicheln erschienen sein. Bei einem künftigen Krieg soll sich der See blutrot verfärbt haben.

Fährt man heute aus Lommatzsch Richtung Mehltheuer und hält 500 Meter hinter dem Ortsausgang von Scheerau rechts auf einem Feldweg an, dann sieht man die gesamte Senke vor sich, die der See damals - in guten Jahren - ausgefüllt hat. Heute wird sie von der Straße getrennt und ist mit Entwässerungsgräben bestückt. Aber schon in der Bronzezeit soll er für religiöse Riten verwendet worden sein.

Gefunden wurde bereits ein im See versenkter Schatz von Armreifen aus diesem Zeitraum. Grund für den ganzen Trubel: Der Glauben der sorbischen Stämme - die ja wie die Daleminzier zu den Slawen gehören - im Bereich des heutigen Sachsen war eher eine Naturreligion und fußte auf Naturgeistern. Das Wasser war ein heiliges Element und spielte dabei eine zentrale Rolle. Als Orakelsee war „Glomuci“ sogar noch gefragt, als ein paar hundert Jahre später durch die Christianisierung und das Erlöschen der sorbischen Sprache in der Lommatzscher Pflege die alten slawischen Riten und Bräuche verschwanden. Da hieß er dann eben „Baalscher See“ oder „Heiliger See“.

Trockengelegt wurde „Glomuci“ endgültig vor etwas über 200 Jahren. 1807 wurde mit dem Bau eines Abzugsgrabens begonnen. 30 Jahre später waren nur noch ein paar versumpfte Stellen mit Bäumen übrig. Und von 1875 bis 1877 wurde dann auch noch die Eisenbahnstrecke von Riesa nach Lommatzsch gebaut, die die Senke ein weiteres Mal durchschnitt. Inzwischen auch schon tot, wobei einem klar wird, wie schnell die Zeiten sich auch heute noch ändern. Dabei hat gerade das Zentrum der Lommatzscher Pflege ihren Namen am Ende von „Glomuci“ erhalten. Denn in der altsorbischen Sprache hieß es „Glomac“, im Neusorbischen durch den typischen Lautwechsel von G auf H „Hlomac“ - und heute Lommatzsch.

1000 Jahre sind eben eine lange Zeit. Aber der Boden ändert sich nicht, weshalb „Glomuci“ bei vielem Regen immer noch wiederbelebt wird. Grund: Dort gibt es einen Lößlehmboden. Bei ordentlichem Wasserstand soll der See damals sogar bis nach Dörschnitz gereicht haben, also mehrere 100 Meter im Durchmesser gehabt haben. Und der Burgwall vom benachbarten Paltzschen war auch nicht mehr weit weg. Den gibt es allerdings nicht mehr. 1976 wurde die Anlage eingeebnet, was damals als „schweres Vergehen gegen das nationale Kulturerbe der DDR“ bewertet wurde.

Nur sieben Kilometer entfernt steht immer noch eine Anlage, die zwar vor Kurzem wieder entdeckt, aber auch kaum noch zu sehen ist. Sie soll die Hauptburg der Daleminzier gewesen sein: Gana, gelegen zwischen Stauchitz und Hof am Flüsschen Jahna. Mit ihr fiel 929 auch die Freiheit ihrer Bevölkerung. König Heinrich I. zog schon 908 gegen die Daleminzier zu Felde. 21 Jahre später bezwang er sie, machte Gana platt, gliederte die Besiegten ein und gründete zur Sicherung des neu gewonnenen Gebietes die Burg Meißen. Wenigstens die ist noch da in der heutigen Zeit. Von den Daleminziern dagegen kündet nicht mehr so viel.