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Der Herr der Kraftwerke geht

Wolfgang Beyer, der langjährige Leiter des Kraftwerkes Boxberg, genießt jetzt seinen Ruhestand im Zittauer Gebirge.

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Von Jost Schmidtchen

Er hat schon alles gesehen. Wolfgang Beyer aus Großschönau hat als Kraftwerkschef in Boxberg den Abriss des Altkraftwerks und den Bau des neuen Kühlturms begleitet. Er hat Minister und Präsidenten auf die Aussichtsplattform geführt, um ihnen die schöne Oberlausitz zu zeigen. Er hat Winterkämpfe mit seinen Kollegen durchgefochten und Braunkohlegegner an seinem Kraftwerk Boxberg beobachtet. Jetzt geht er und hinterlässt Fußspuren der Geschichte, die ein anderer kaum wird füllen können. Denn Wolfgang Beyer war vor allem Kraftwerker und Lausitzer in einer Person.

Nun also der letzte Arbeitstag. So richtig durchatmen wird der Leiter des Vattenfall-Kraftwerkes Boxberg noch nicht können. Die Gesamtverantwortung für so ein Werk war groß, und die damit verbundene Anspannung kann niemand von heute auf morgen ablegen. Hinter Wolfgang Beyer (62) liegt ein 40-jähriges Berufsleben, geprägt von den täglichen Anforderungen bei der Sicherstellung der Energieversorgung.

Die erste Station hieß Schaltingenieur bzw. Schichtleiter in der Abteilung Elektrobetrieb im Dreischichtsystem. Ab 1979 war Wolfgang Beyer als Betriebsingenieur verantwortlich für den Betrieb der starkstromtechnischen Anlagen des Werkes III mit den zwei neuen 500-MW-Blöcken. Nach einem Brand im Kraftwerk Boxberg im Januar 1987 wurden die damals zehn 500-MW-Blöcke der DDR in den Kraftwerken Hagenwerder, Boxberg und Jänschwalde mit Generatorleistungsschaltern zur Verhinderung ähnlicher Störungen nachgerüstet. Das waren Fabrikate aus der Schweiz. Wolfgang Beyer wurde in die Verhandlungskommission berufen. Seit Juni 1989 war Wolfgang Beyer als Bereichsleiter für die gesamte Elektrotechnik im Kraftwerk verantwortlich. Mit der politischen Wende 1989/90 kam es im Kraftwerk Hagenwerder zu einer ganz besonderen Art von Demokratie: Die Belegschaft der jeweiligen Bereiche entschied in einer Vertrauensabstimmung, welcher Chef auch künftig Chef sein sollte. Wolfgang Beyer blieb es. Mit der Bildung der Veag Vereinigte Energiewerke AG im Jahr 1991 wurden in den Kraftwerken neue Organisationsstrukturen nach dem Vorbild westdeutscher Energieversorgungsunternehmen eingeführt. Was dann folgte, endete 1997 schmerzlich mit der Stilllegung des Kraftwerkskomplexes. Das Kraftwerk hatte damals keine Perspektive mehr. Zuletzt wurde ein Teil der benötigten Braunkohle schon aus den entfernteren Tagebauen der Lausitz herangefahren – unökonomisch und aufwendig.

Doch Wolfgang Beyer konnte auch zukünftig der Lausitzer Braunkohleverstromung die Treue halten. Das neue Arbeitsleben begann im Kraftwerk Boxberg. Zunächst als Fachbereichsleiter Produktion. Hier hieß es, jetzt Bestehendes weiterzuentwickeln und Neues auf den Weg zu bringen. Die Werke I und II waren stillgelegt, die zwei 500-MW-Blöcke hatten eine aufwendige Modernisierung nach neuesten Standards der Umwelt- und Kraftwerks-technik hinter sich, der 900-MW-Block stand kurz vor der Inbetriebsetzung. Am 5. Oktober 2000 wurde mit dem Neubaublock Q der damals weltweit modernste Braunkohleblock offiziell in Betrieb genommen. 2003 wurde Wolfgang Beyer Leiter des Kraftwerkes Boxberg. Im Jahr darauf fiel die Entscheidung für einen neuen Kraftwerksblock. Den Neubaublock R hat er von der Konzeption und Planung bis zur Inbetriebnahme einschließlich der Nachoptimierung mit begleitet. Wolfgang Beyer ist davon überzeugt, dass Strom aus dem Boxberger Kraftwerk bis weit in die 2. Hälfte des 21. Jahrhunderts benötigt wird. Zukünftig übernimmt diese Herausforderung sein Nachfolger Thomas Hörtinger.

Und morgen? „Ausspannen, erst einmal durchatmen. Irgendwo werde ich ohne beruflichen Stress leben. Das geht von heute auf morgen nicht. Aber das Zittauer Gebirge ist schön und erholsam.“