Von Harald Daßler
Brigitte Birk kann es noch immer nicht fassen. Sie kämpft mit den Tränen, wenn sie an den Dienstagnachmittag vor einer Woche zurückdenkt. Als plötzlich eine Schlammlawine durch das Triebischtal schoss. Durch die Fenster konnten sie und ihre Kollegen gerade noch aus der Küche fliehen, berichtet sie. Eine Woche nach der Katastrophe zeigt die Köchin auf die leeren Räume.
Nur die weißen Fliesen erinnern daran, dass sich hier mal die Küche des Seniorenheims „J. J. Kaendler“ an der Ossietzkystraße 39 a befand. Einige wenige Zentimeter unter der Hochwassermarke von 2002 ist an den Wänden deutlich erkennbar, wie hoch die Brühe hier stand. Nicht nur, dass sie in Minutenschnelle die Wirtschaftsräume des Seniorenheims geflutet hatte – Schränke kamen ins Schwimmen und kippten um, so dass sich Geschirr und Besteck zum großen Teil selbstständig machten. Selbst ein Großteil von Brigitte Birks persönlichen Sachen aus ihrem Spind gingen in der braunen Brühe verloren. Die gesamte Einrichtung der Küche, aber auch Waschmaschinen und Mangel warten nun im Garten des Heims auf ihren Abtransport. Sie sind nur noch Müll.
Verglichen mit den Mengen, die das Heim fluteten, fällt der Tümpel im Garten fast gar nicht auf. Die bräunliche Färbung der Wasseroberfläche verrät, dass er ein Überbleibsel der Schlammlawine ist, die vor einer Woche von der Hohen Eifer herabstürzte. Dutzende Kubikmeter Schlamm kommen zusammen, den die Spezialpumpen seit vergangenem Freitag aus den überfluteten Wirtschaftsräumen bergen. Er wird in Containern gesammelt und entsorgt.
Die 250 000 bis 300 000 Euro Schaden, den die Lawine hier hinterließ, sind aber momentan nicht das größte Problem, vor dem Heimleiterin Regina Brattig steht. „Unsere 73 Bewohner sollen so wenig wie möglich Einschränkungen in ihrem Alltag erleben“, sagt sie. Ein sehr hoher Anspruch für die 49 Mitarbeiter in der privaten Pflegeeinrichtung, die seit einer Woche zum Beispiel ohne Aufzug auskommen muss. Auch Telekommunikation, ein gerade erst installiertes Notrufsystem und die Computertechnik hielten Wasser und Schlamm im Haus nicht stand.
Dass es keine 24 Stunden nach dem Unglück im Kaendler-Heim wieder Strom gab, hat Regina Brattig der Elektrofirma Nitzsche zu verdanken, die sofort zur Stelle war. Diese schnelle Hilfe habe ihr und ihrem Team Mut gemacht, sagt die Heimleiterin. Ebenso wie die Mitarbeiter zufassten, zum Teil Angehörige mitbrachten. Auch Angehörige der Bewohner kamen, um tatkräftig zu helfen. Stadträte wie Nico Riefling, Jörg Schlechte und Gewerbevereinschef Uwe Reichel sowie weitere über das soziale Netzwerk Facebook zusammengerufene Helfer und Pfadfinder waren am Feiertag im Heim, um die Wirtschaftsräume von der 30 Zentimeter starken Schlammschicht zu befreien.
Hilfe beim Schlammschippen, Putzen und Räumen bekommt das Heim seit Montag auch von der Stiftung Soziale Projekte. „Auf kurzem Wege“ habe sie das mit Sopro-Geschäftsführerin Christa Arlt vereinbaren können, sagt Heimleiterin Regina Brattig.
Die Versorgung der Heimbewohner läuft inzwischen über die beiden Teeküchen im Haus. Von 6 bis 20 Uhr. Und: „Mit Zimmerservice“, wie Brigitte Birk hinzufügt. Die Mitarbeiter gleichen damit nicht nur den derzeit fehlenden Speiseraum aus. Das bringt auch weitere Gelegenheiten für persönliche Worte mit den Bewohnern mit sich. Pfleger und Betreuer bemühen sich, die nicht einfache Situation im Heim zu erklären. Manchmal genügt ein Streicheln, um das Gefühl zu vermitteln, „dass wir das gemeinsam schaffen“, wie es Brigitte Birk ausdrückt. Während Frühstück und Abendbrot jetzt in den Teeküchen zubereitet werden, ist das Heim für das Mittagessen vorerst auf Caterer angewiesen.
„Ohne die persönlichen Hilfsangebote wüsste ich nicht, wie es hier weitergehen soll“, sagt die Heimleiterin. Auch im Namen der Heimbewohner ist sie allen sehr dankbar, die ohne viel Aufhebens plötzlich zur Stelle waren. Sicher werde auch in den nächsten Tagen die eine oder andere kräftige Hand gebraucht. Es gibt noch viel zu tun in der Ossietzkystraße 39 a.