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Der letzte Feldpostbrief

Wehrmachtssoldat Georg Dießner hinterließ eine erschütternde Beschreibung des Lebens an der Winterfront. Angehörige halten seine letzte Feldpost nun in Ehren.

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Von Andreas Herrmann

Löbau/Neugersdorf. Der Brief von der Front ist hoffnungslos. „Es war Wahnsinn, wie die jungen Menschen damals verheizt wurden, für eine menschenverachtende Idee“, sagt Klaus Güttler aus Löbau. Im Nachlass seiner Schwiegermutter fand er schon vor vielen Jahren die Feldpost eines Freundes der Familie, der hier die tragischen Verhältnisse an der Ostfront in Russland im Februar 1942 schildert. Den Brief bewahren die Güttlers bis heute auf. Er beschreibt das Schicksal eines jungen Lebens, denn wenige Monate nach den Zeilen fiel der Neugersdorfer Textilarbeiter im Juli 1942 in Wygonowskije bei Kursk. Sein Name: Georg Dießner.

Das erschütternde Dokument ist voller Realismus. Der 21-jährige Gefreite evangelisch-lutherischen Glaubens schildert hier das Weihnachtsfest 1942: „Nicht einmal zu Weihnachten hatten wir etwas Zeit. Keine Feier, keine Post, nicht einmal eine Kerze, rein gar nichts, was uns irgendwie an Weihnachten erinnert hätte. Ein Tag wie jeder andere, öd und grau und voller Gefahren“, so seine Zeilen. Ähnlich sei es auch zu Silvester und Neujahr gewesen. So wie Georg Dießner mögen viele Wehrmachtsangehörige Weihnachten erlebt haben, aber es sollte noch schlimmer kommen. „In den letzten Wochen haben wir Schweres durchgemacht. Starke Schneefälle, arge Verwehungen und vor allen Dingen die Kälte wechseln ständig einander ab. Bis zu 30 Grad Minus haben wir hier schon gehabt. Zwei erfrorene große Zehen und zwei erfrorene Finger sind das Ergebnis bei mir“, schreibt er weiter. Wenig ist auch von Heldenmut die Rede. „Mit der Post ist es auch ziemlich mies bestellt. Es ist eben jetzt im Winter mit dem Nachschub nicht so einfach für die Truppen, die hier vorn an der Front liegen“, heißt es. Auch an Urlaub sei vorläufig gar nicht zu denken. Man warte auf die Ablösung. Ein Heimaturlaub sollte Georg Dießner nicht mehr vergönnt sein und auch seine Verwandten hörten lange Zeit nichts mehr von ihm. Erst im April 1943 erreichte eine Nachricht von ihm die Familie. Es war die Sterbeurkunde, aus der hervorgeht, dass Georg Dießner schon seit über einem halben Jahr tot ist. Zynisch ist daran auch, dass diese Urkunde mit dem besonderen Hinweis „gebührenfrei“ ausgestellt wurde.

Klaus Güttler und seine Frau Margit halten den Brief in Ehren und sind beim Lesen immer wieder erschüttert. Das hat allerdings für sie auch einen aktuellen Grund. Ähnliche Sachen passieren doch heute wieder, zum Beispiel wenn man sich die Kämpfe in der Ukraine anschaut, sagt Margit Güttler. Klaus Güttler, der selbst NVA-Offizier bei der Truppenluftabwehr war, meint, dass seine Armee dafür gestanden habe, dass sich solche Schicksale wie das des Georg Dießner nicht wiederholen. Aber dieses Kapitel der deutschen Geschichte gehöre inzwischen ebenfalls der Vergangenheit an. Auch sein Vater sei im Zweiten Weltkrieg in Russland gewesen, wo er ein Bein verlor, aber zumindest mit Einschränkungen weiterleben konnte.

Wo Georg Dießner, der einmal in der Neugersdorfer Albertstraße lebte, seine letzte Ruhestätte gefunden hat, ist bisher nicht bekannt. In der Region um das russische Kursk gibt es deutsche Soldatengräber mit Tausenden von Gefallenen. Vielleicht liegt er dort, irgendwo zwischen den Namenlosen? Sein Brief aber hat die Nachwelt erreicht und ist Mahnung gegen Krieg und militärische Gewalt genug.