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Der Rollstuhl ist kein Freibrief

Auch Schwerbehinderte können zu Freiheitsstrafen verurteilt werden. Das Görlitzer Gefängnis ist darauf eingestellt.

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© cirquedesprit - fotolia

Von Ralph Schermann

Das Urteil im Mordfall Konsulstraße ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichtes vom 22. Mai verworfen. Damit steht es jetzt endgültig fest: Karl Theodor Z., 58 Jahre alt, muss eine lebenslange Freiheitsstrafe absitzen.

Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt. Zum einen, weil der Mörder sein Opfer, eine 49 Jahre alte Nachbarin, mit ungewöhnlicher Brutalität getötet hatte. Zum anderen, weil es sich beim verurteilten Täter um einen Schwerbehinderten handelt: Karl Theodor Z. musste vor Jahren ein Bein amputiert werden. Schon beim Prozess kamen im Publikum Fragen auf: Kann man so Behinderte überhaupt in einem Gefängnis unterbringen?

Man kann. Schwerbehinderung ist kein Hinderungsgrund. So lange keine lebensbedrohliche Erkrankung und auch keine geistige Verwirrung vorliegt, sind auch körperbehinderte Straftäter haftfähig. Frank Hiekel, Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Görlitz, bringt das auf die einfache Formel: „Wen seine Behinderung nicht dabei stört, Straftaten zu begehen, den stört sie auch nicht bei der Strafverbüßung.“ Auch das sei nichts anderes als die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.

Dabei ist der Fall des einbeinigen Mörders durchaus keine Ausnahme. „Auch unsere Görlitzer Anstalt ist auf Menschen mit Handicap eingestellt, bei den Sanierungen wurde darauf geachtet, dass Hafträume auch mit dem Rollstuhl erreicht werden können“, bestätigt Frank Hiekel. In der JVA am Görlitzer Postplatz gibt es einen speziell behindertengerecht gestalteten Haftraum. Weil er die größte „Zelle“ des hiesigen Gefängnisses überhaupt ist, weckt er gelegentlich sogar bei anderen Gefangenen Neid. Doch die Größe dieses Raumes resultiert nicht nur aus der eingebauten Behindertentoilette, sondern auch aus der gleichzeitigen Unterbringung von drei Personen.Darunter können auch Nichtbehinderte sein, denn die Anstaltsleitung setzt bei diesem Raum auf das Fürsorgeprinzip untereinander, also auf Hilfe für Behinderte durch die jeweiligen Mitinsassen. Das können auch Arbeiten sein, die Mitgefangene einem Körperbehinderten abnehmen, etwa Geschirr spülen, Bad reinigen oder Wäsche tauschen. „All das funktioniert hier reibungslos“, sagt der Anstaltsleiter. Auch die Unterbringung von sehbehinderten oder gehörlosen Gefangenen ist keine Seltenheit und spielt sich in der Regel bei Gemeinschaftsunterbringung mit Unbehinderten schnell ein.

Für kleinere Hilfsmittel wird mit örtlichen Firmen zusammengearbeitet. „Benötigen Gefangene eine neue Brille, kommen sie mit Wachpersonal zu uns“, berichtet Annegret Kossin von der Görlitzer Fielmann-Niederlassung Berliner Straße. „Das machen wir dann zusätzlich zu den regulären Öffnungszeiten, weil die Betroffenen ja gefesselt kommen.“

Überhaupt achtet die JVA auf eine möglichst gleichwertige Teilnahme am täglichen Leben für die behinderten Gefangenen. „Die Kosten dafür und auch der Aufwand an Personal sind hoch“, erklärt Frank Hiekel. Gefangene wissen um ihre Rechte und die Leistungen, die der Anstaltsarzt ihnen ermöglichen muss. Ausländische Haft-insassen benötigen oft einen vereidigten Dolmetscher, um bei ärztlichen Untersuchungen übersetzen zu können. Eine angepasste spezielle Prothese hat die JVA Görlitz schon mal 6 500 Euro gekostet, denn Hilfsmittel für Gefangene zahlt nicht die Kranken-, sondern die Staatskasse. Das ist nicht nur bei Schwerbehinderten so. Wenn ärztlich verordnet, bekommen Gefangene eine spezielle Kost, und auch so mancher Gefangene mit Gebissproblemen fand aus der JVA Görlitz heraus schon zu guter zahnärztlicher Betreuung.

Letztlich sind es immer Ärzte, die über die Haftfähigkeit eines Verurteilten entscheiden. Ist dabei ein Schwerbehinderter nicht im allgemeinen Vollzug unterzubringen, steht als nächste Möglichkeit das Justizvollzugskrankenhaus Leipzig bereit, das sich auch um die aus den anderen sächsischen Anstalten überwiesenen schweren Krankheitsfälle kümmert. „Wir wissen natürlich, dass es für einen Menschen mit Behinderung nicht angenehm ist, im Gefängnis zu sitzen“, sagt Frank Hiekel. Doch „für Nichtbehinderte ist es das auch nicht. Und auch draußen stoßen behinderte Menschen immer mal auf Barrieren.“

Für den lebenslang verurteilten Karl Theodor Z. indes wird die Görlitzer JVA nicht mehr lange zuständig sein. Hier sitzen nur Untersuchungsgefangene sowie für wenige Jahre Verurteilte ein. Der einbeinige Mörder wird wahrscheinlich nach Bautzen verlegt. Auch dort aber ist die Justiz auf Schwerbehinderte eingestellt.