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Der Spuk ist nicht vorbei

Das Ostritzer Neonazi-Treffen war nicht nur ein Import von außen. Die rechte Szene ist im Kreis Görlitz fest verankert.

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© Rafael Sampedro

Von Frank Seibel und Christian Köhler

Landkreis. Es ist noch einmal gut gegangen. Rund 1 200 Neonazis waren da, und nun sind sie eben wieder weg. Dieses Gefühl stellte sich nach dem vorletzten Aprilwochenende in Ostritz ein. Erleichterung über ein alles in allem friedliches Wochenende mit positiven Medienberichten über den Bürgerprotest gegen Rechtsextremismus.

Doch „weg“ sind die Rechtsextremen keineswegs, warnt das Kulturbüro Sachsen, das von Dresden aus seit vielen Jahren die Entwicklung der Zivilgesellschaft beobachtet – und die radikalen Gruppen, die der Demokratie gefährlich werden könnten. Markus Kemper ist als „mobiler Berater“ in Ostsachsen unterwegs und warnt davor, die Rechtsextremen von Ostritz nur als Import aus anderen Regionen zu betrachten. „Im Landkreis Görlitz halten sich rechtsextreme Strukturen seit mehr als zwanzig Jahren hartnäckig“, sagt Kemper. Das Kulturbüro Sachsen und der Verein „Augen auf“ aus Löbau zählen derzeit sieben Orte allein im Landkreis Görlitz, an denen regelmäßig Veranstaltungen der rechten Szene stattfinden.

Zu den Orten und Organisationen mit besonders langer Tradition zählt Markus Kemper den „Nationalen Jugendblock“ (NJB) in Zittau. Der habe kürzlich sein 25-jähriges Bestehen mit einem rechtsextremen Konzert in seinen Vereinsräumen gefeiert. Auf immerhin 20 Jahre bringen es die „Schlesischen Jungs“ aus Niesky. „Die rechtsextreme Szene kann im Kreis Görlitz auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen“, sagt Kemper. Quitzdorf, Jänkendorf, aber auch Görlitz sind weitere Orte, an denen sich die rechte Szene heimisch fühlt. In Niesky haben sich nach Erkenntnissen des Kulturbüros die „Schlesischen Jungs“ gerade in einem neuen Haus eingemietet.

Auch in Weißwasser ist seit Jahren die rechte Szene aktiv. Eher im Untergrund und als – wie das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) erklärt – „im subkulturell geprägten Milieu“ ansässig. Die ehemalige Gaststätte „Japanereck“ in Weißwassers Südstadt ist zwischen Juni 2015 und Mitte 2017 regelmäßig für Neonazi-Konzerte genutzt worden. Die „Brigade 8“ hatte dort nahezu monatlich zu rechten Musikveranstaltungen geladen. Bei den Veranstaltern handelt es „sich um eine subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierung mit neonationalsozialistischen Bezügen, die in ihrer hierarchischen Struktur und in ihrem Auftreten mit einheitlichen Lederkutten Rockergruppierungen ähneln“, heißt es vonseiten des Verfassungsschutzes.

Anfang Mai 2017 jedoch habe sich, so Martin Döring, die Gruppierung aufgespalten. Während die „Brigade 8“ nach Mücka auf ein privates Grundstück zog, zog der andere Teil – sie nennen sich „Kollektiv Oberlausitz“– ins Haus am Sachsendamm gegenüber. Dem „Kollektiv Oberlausitz“ werden bislang, so das LfV, Einzelpersonen zugerechnet, die sich bisher an regionalen sowie überregionalen Veranstaltungen wie etwa an Demonstrationen, Gedenk- oder Musikveranstaltungen beteiligten. Musiker aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen traten erst im November des vergangenen Jahres vor etwa 150 Personen auf, berichtet die sächsische Staatsregierung auf Anfrage der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linke) und Valentin Lippmann (Bündnis 90/Grüne). Nachdem das Treffobjekt der „Brigade 8“ in Weißwasser nicht mehr genutzt werden konnte – die Stadt hat es gekauft und will es abreißen – trifft sich die Gruppe seit Oktober 2017 in einem neuen Objekt in Mücka. An der Eröffnungsveranstaltung nahmen etwa 120 Personen teil, so Verfassungsschützer Döring. Die „Brigade 8“ führt seither regelmäßig Veranstaltungen durch, auch mit Auftritten von rechtsextremistischen Bands und Liedermachern.

Der „Fall“ Ostritz, wo der hessische Unternehmer Hans-Peter Fischer sein „Hotel Neißeblick“ an Rechtsextremisten vermietet, ist also kein Einzelphänomen. So war das Schild und Schwert-Festival zu Adolf Hitlers Geburtstag am 20. April zwar ein Höhepunkt für die rechtsextreme Szene in Sachsen, aber weder der Anfang, noch das Ende für braune Strukturen im Landkreis Görlitz. Allein Hotelbesitzer Fischer hat schon zwei weitere Veranstaltungen für dieses Jahr angekündigt, bei denen er sein Gelände an der Neiße an NPD-Funktionäre oder Sympathisanten der rechtsextremen Partei vermietet.

Das Verbot der NPD ist im vorigen Jahr am Bundesverfassungsgericht gescheitert. Zwar sei die rechtsextreme Partei durchaus gegen die bundesdeutsche Verfassung, erkannte das oberste deutsche Gericht. Aber sie sei zu klein und schwach, um ernsthaft gefährlich zu sein – nur deshalb sei es unverhältnismäßig, die NPD zu verbieten. Allerdings, und darauf verweist das LfV, seien viele ehemalige NPD-Mitlgieder inzwischen der ebenfalls rechtsextremistischen Partei „Der Dritte Weg“ beigetreten. 2016 gehörten ihr in Sachsen etwa 60 Mitglieder an – Tendenz weiter steigend. Die Partei bezeichnet sich selbst als „national“, „revolutionär“ und „sozialistisch“ – nimmt so immer wieder Bezug auf den Nationalsozialismus. Ziel der von ihr durchgeführten „Parteivorstellungen“ – etwa im Juni 2016 in der Lausitz – ist der flächendeckende Aufbau neuer „Stützpunkte“ in Sachsen.

Um die Position der Neonazis weiter zu stärken, dazu dienen nach Überzeugung Veranstaltungen wie das Ostritzer Festival. Sie sollen Geld bringen und die Moral stärken. Innerhalb der rechten Szene tobt laut den Verfassungsschützern „ein regelrechter Wettkampf darum, wer der radikalere Neonationalsozialist im deutschen Rechtsextremismus ist“. Vor diesem Hintergrund sei auch die Auswahl der Redner in Ostritz zu verstehen, so das LfV Michael Regener etwa – früherer Frontsänger der 2003 als kriminelle Vereinigung eingestuften rechtsextremistischen Band Landser. Andere Organisatoren, Redner, Bandmitglieder und Liedermacher weisen ebenfalls Bezüge zu wegen ihrer Gewaltbereitschaft verbotenen Organisationen auf. Dabei handelt es sich nicht nur um das früher äußerst gewaltbereite, im Jahre 2000 verbotene „Blood & Honour-Netzwerk“, sondern auch um ehemalige Mitglieder des 2012 in Nordrhein-Westfalen verbotenen Nationalen Widerstandes Dortmund.

Wie viele Besucher des Festes aus der Oberlausitz kamen, lässt sich bislang schwer sagen. Beobachter der rechten Szene sind noch dabei, Bilder der Veranstaltung auszuwerten, auf denen Besucher, aber auch aktiv Beteiligte zu sehen sind. So ist noch offen, ob tatsächlich Händler und Handwerker aus Ostritz beim Schild- und Schwert-Festival mitgemacht haben. Das hatte Veranstalter Thorsten Heise – Bundes-Vize der NPD – auf der Internetseite für sein Fest verkündet. Der Ostritzer Bäckermeister Jörg Geißler trat diesem Eindruck auf einer Bürgerversammlung im April offen entgegen: „Wir sind garantiert nicht dabei“, betonte er, und ein ebenfalls anwesender Handwerkskollege bekräftigte das.

Offensichtlich ist aber aus Sicht von Beobachtern wie Markus Kemper, dass auch bekennende Neonazis Geld verdienen müssen. Dazu dienen auch wirtschaftliche Nischen, zu denen Kemper ausdrücklich Tattoo-Studios zählt. Denn Tätowierungen spielen in der rechten Szene, die plakativ Symbole und Bekenntnisse zur Schau stellt, eine wichtige Rolle.

Auch Sicherheitsdienste und die Sportbranche seien als Arbeitgeber oder Geschäftsmodell bei Rechtsextremen beliebt. Oft wird eine Verbindung vehement bestritten. Ein Beispiel ist die Bautzener Modemarke „Yakuza“. T-Shirts und ein Auto mit diesem Schriftzug waren im Umfeld des Ostritzer Neonazi-Treffens zu sehen. Aber die Betreiber distanzieren sich offiziell von der Szene und widersprechen Vorwürfen von Antifa-Organisationen.