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Der Strukturbruch-Chronist

Mit der Gründung der Laubag heute vor 30 Jahren begann ein tiefgreifender Wandel in der Kohle-Industrie.

Von Mirko Kolodziej
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Der heute 85-jährige Friedhelm Schulz hat sich ganz intensiv mit der Geschichte des Lausitzer Braunkohlebergbaus beschäftigt. Ausgangspunkt war die Arbeit an einer Chronik über die Umbruchjahre 1989 bis 1994.
Der heute 85-jährige Friedhelm Schulz hat sich ganz intensiv mit der Geschichte des Lausitzer Braunkohlebergbaus beschäftigt. Ausgangspunkt war die Arbeit an einer Chronik über die Umbruchjahre 1989 bis 1994. © Foto: Mirko Kolodziej

Hoyerswerda. Durchaus sorgenvoll blickt der Hoyerswerdaer Friedhelm Schulz auf das absehbare Ende der Kohleverstromung in Deutschland. „Ich frage mich, ob das so geht“, sagt der 85-Jährige mit Bezug auf eine sichere Energieversorgung. Das Jahr 2038 wird aus seiner Sicht rasch erreicht sein. Schulz hat schlichtweg Zweifel, ob bis dahin der vieldiskutierte Strukturwandel geschafft sein wird. Vor drei Jahrzehnten steckte er mitten drin, als in der Lausitz das passierte, was heute rückblickend vielfach als ein Strukturbruch beschrieben wird.

Nicht ins Bergfreie gefallen

Friedhelm Schulz ist Journalist. Den politischen Umbruch des Herbstes 1989 erlebte er als Chefredakteur der Betriebszeitung „Das Kollektiv“ des Braunkohlenwerkes Glückauf Knappenrode, einem der Teilbetriebe des Braunkohlenkombinates Senftenberg. Nach dessen Umwandlung in die Lausitzer Braunkohle AG im Sommer vor exakt 30 Jahren, nämlich am 29. Juni 1990, wurde er stellvertretender Chef der Laubag-Öffentlichkeitsarbeit und Chefredakteur der Betriebszeitung „Laubag-Report“. 1991 war er unter jenen, denen aus Altersgründen gekündigt wurde.

Aber, sagt er, er habe gleichzeitig eine tolle Offerte erhalten. „Viele andere sind ins Bergfreie gefallen.“ Der Laubag-Vorstand bot ihm an, eine Dokumentation der Umbrüche zu erstellen. Es begann eine mehrjährige Arbeit. Ihr umfangreiches Ergebnis: 22 Mappen, zwei Ordner sowie eine Broschüre. „Neuordnung eines Reviers, 1989 – 1994, Wendemarken im Lausitzer Braunkohlenbergbau“, nannte er seine 1995 abgeschlossene Chronik der Ereignisse, die für viele Menschen traumatisch waren. „Darüber sind eine Reihe Leute verstorben, die es nicht verkraftet haben“, erinnert sich Friedhelm Schulz.

Vorruhe, ABM, Entlassungen

Denn im Wesentlichen bedeutete für die Kohlekumpel der teils durch den Markt bedingte, teils forcierte Rückgang der Rohkohleförderung in Verbindung mit neuen Strukturen ein Verlust Zehntausender Arbeitsplätze. Absehbar war das früh. Friedhelm Schulz zitiert in seiner Dokumentation eine Aussage von Laubag-Arbeitsdirektor Gerhard Höhn von Ende 1990: „Es ist unvermeidlich, die Belegschaft zu vermindern.“ Man kann bei Friedhelm Schulz nachlesen, in welchen Schritten das passierte. Zunächst wurden durch Rente oder persönliche Veränderung frei werdende Stellen nicht neu besetzt. Rasch gab es schon 1990 Vorruhestandsregelungen. Im Jahr darauf trat ein Rahmensozialplan in Kraft. 4.600 Frauen und Männer nutzten den sogenannten Altersübergang. Zudem wurden aus 4.000 weiteren Bergleuten Teilnehmer von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Sanierung und Rekultivierung. Zum Vergleich: Zusammengenommen sind das schon mehr Betroffene, als die Leag heute an Mitarbeitern hat. 1992 gründete die Laubag für Rekultivierung, Umweltsanierung und Landschaftsgestaltung die Gesellschaft BUL aus, die Ende 1993 rund 6.000 Beschäftigte hatte.

Das alles ereignete sich mit einer Laubag im staatlichen Besitz. Eigentümer war die noch von der DDR gegründete Treuhand. Im Zusammenhang mit der Fusion mit der Energiewerke Schwarze Pumpe AG Espag und der Privatisierung an ein Konsortium westdeutscher Stromversorger 1994 wurden weitere 4.000 Kündigungen vereinbart. Parallel entstand mit der abgespaltenen Lausitzer Bergbau-Verwaltungsgesellschaft LBV eine neue staatliche Firma für die Sanierung. 8.000 Laubag-Mitarbeiter wechselten zu jenem Unternehmen, das 1995 Bestandteil der LMBV wurde. Bei der Laubag blieben gerade einmal 12.000 Arbeitsplätze übrig – trotz Integration der Espag mit im Jahr 1992 auch noch einmal 6.500 Menschen – nur rund 20 Prozent der ursprünglichen BKK-Belegschaftszahl.

Friedhelm Schulz berichtet in seiner umfänglichen Chronik der Neuordnungs-Jahre jedoch nicht nur von den mit ihnen verbundenen Arbeitsplatz-Verlusten. Erinnert wird zum Beispiel auch daran, wie die Kumpel aus dem BKW Knappenrode 1990 unternehmerisch gern eigene Wege gegangen wären und es dann doch nicht dazu kam. Es geht um die Frauen, die einst gleichberechtigt ihren Mann standen und sich nun plötzlich bei knapper werdender Arbeit als lästige Konkurrenz durch so manchen Mann an den Rand gedrückt sahen. Beleuchtet wird auch die Rolle der Kölner Rheinbraun AG (heute RWE) von einer Zusammenarbeit schon ab dem Februar 1990 über die folgende Gründung der Beratungsgesellschaft LMBB unter Rheinbraun-Führung bis zur Übernahme einer Aktienmehrheit von 39,5 Prozent 1994.

Blick auf die fernere Historie

Insgesamt ist die Dokumentation in 32 thematische Kapitel gegliedert. „Die Arbeit daran machte mich auf die fernere Vergangenheit neugierig“, sagt Friedhelm Schulz. Er sei immer tiefer in die Historie eingedrungen. Ergebnis war ein im Jahr 2000 im Lusatia Verlag erschienenes Buch. Zumindest die erste Auflage von „Drei Jahrhunderte Lausitzer Braunkohlenbergbau“ reicht exakt bis ins Jahr 1998, also in jenes Jahr, in dem das heutige Leag-Kraftwerk in Schwarze Pumpe in Betrieb ging.Es soll zumindest nach dem heutigen Stand der Dinge nun eines der letzten sein, die mit dem Ende der großindustriellen Kohle-Nutzung vom Netz genommen werden.