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Der Vater des Kraft-Bikes

Mit seinem Hybrid-Rad Marke Eigenbau ist Martin Weidner im Verkehr unterwegs – im Gepäck die ersehnte Zulassung.

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© André Wirsig

Von Nadja Laske

Saft gibt‘s in jedem Biergarten. Das beruhigt Martin Weidner. Denn wenn er ihm ausgeht, hat der Ausflügler seine liebe Not, nach Hause zu kommen. Auch in Restaurants finden sich Zapfstellen – der Wirt muss nur einverstanden sein.

Abschlagen kann kaum ein Gastronom dem jungen Mann die Bitte. Der braucht dann und wann ein wenig Strom, um sein Gefährt wieder zum Leben zu erwecken. Schon das allein bringt ihm Sympathien ein und vor allem männliches Interesse am motorisierten Zweirad. Das ist kein E-Bike, eher ein Moped mit Pedalen, ein Hybrid-Krad Marke Eigenbau: Soweit Martin Weidner von der Dekra weiß, das erste und einzige mit TÜV und Nummernkennzeichen in Sachsen. Nur die Abgasuntersuchung konnte sich der 41-Jährige sparen.

Denn sein „Raptor“, wie er ihn nennt, fährt rein mit elektrischer Energie und Muskelkraft. Dass er mit ihm nun nicht nur auf Feldwegen Staub aufwirbeln, sondern ganz legal über Straßen fahren darf, macht ihn stolz und war ein hartes Stück Arbeit. Die begann der Techniker vor gut vier Jahren. Schon weit davor hat er in seiner Freizeit getüftelt und geschraubt, ein handelsübliches Mountainbike auf
1,8 Pferdestärken getrimmt und ihm 50 Stundenkilometer abgerungen. Mit diesem Hobby ist Martin Weidner nicht allein. Auf der ganzen Welt friemeln Bastler an Maschinen und freuen sich, wenn Motoren aufheulen und Bewegung erzeugen. Weidner trifft die Szene im Internet, tauscht sich mit ihr aus, holt sich gelegentlich Rat bei Gleichgesinnten. Die größte Schraubergemeinde werkelt in Amerika.

Zu leise für Wildschwein-Ohren

„Ich habe das Rad nicht neu erfunden“, sagt er. Das Kraftrad auch nicht. Trotzdem ist seins einmalig, vor allem wegen der offiziellen Zulassung. Für die war ein handflächenbreiter Aktenordner unerlässlich. Dessen Inhalt hatte sich über die Jahre angesammelt, zahlreiche Skizzen auf rosa Millimeterpapier darin, Schaltkreise, Baupläne, Fotos, Rechnungen. „Ich glaube an die Schraube“, steht auf einem Schild in Martin Weidners Werkstatt. Seinen Glauben hat er bis ins kleinste Detail dokumentiert. Bis zur letzten Unterlegscheibe liegt jede Rechnung vor, 78 Einzelteile sind verbaut. Daher weiß der Entwickler: Allein das Material für sein Hybrid-Rad schlägt mit rund 20 000 Euro zu Buche. Von den Arbeitsstunden ganz abgesehen.

„Für das Geld hätte ich mir vier, fünf fertige Produkte kaufen und damit herumfahren können“, sagt Martin Weidner. Unnötig zu erwähnen, dass es ihm darum nie ging. Technik und Maschinen gehören zu seinem Leben. „Schon als Junge habe ich mit Modellbaukästen viel angefangen.“ Als Techniker arbeitet er im Koenig & Bauer AG, Planeta Werk Radebeul. Für seinen Arbeitgeber war er neun Jahre in Spanien tätig, betreute vor Ort die Kunden, installierte neue Druckmaschinen und eilte zum Auftraggeber, wenn Wartungen und Reparaturen nötig wurden. Eine schöne Zeit, sagt Martin Weidner, aber auch eine kraftzehrende. Um von der Arbeit abzuschalten, hegte und pflegte er in der Freizeit sein Mountainbike oder rollte damit durch einen benachbarten Naturpark. Die Ruhe in Wald und Flur genießt er bis heute und fühlt sich selbst gestört, wenn Verkehrslärm die Stille im Grünen zerstört. „Ich brauche keinen Geländewagen, wie sie immer häufiger auf den Straßen herumkurven.“ Etwas schneller und bequemer als mit dem Fahrrad wollte er unterwegs sein und dabei weder seine Ohren noch die anderer Leute belasten. In Gedanken konstruierte er ein neues Energie-Bike, dessen Kraft und Motorenlärm in keinem gewohnten Verhältnis steht – selbst auf die Gefahr hin, dass er auf Waldpfaden plötzlich einem Wildschwein gegenüber steht, das ihn schlicht nicht kommen hören hat.

Mit seinen Eltern war Martin Weidner als Kind von München nach Sachsen gezogen. Dorthin ging er nach seiner Zeit in Spanien zurück, als ihm etwas mehr Raum fürs Leben zu haben wichtiger wurde. Wichtiger, als für ein höheres Einkommen fast rund um die Uhr im Einsatz zu sein. So hatte er endlich Gelegenheit, über eine stabile Lösung für den Rahmen seines künftigen fahrbaren Untersatzes nachzudenken, zu sägen und zu schweißen, verschiedene Motoren und Regler auszuprobieren und nach passenden Reifen nebst Felgen zu suchen. An unzählige Versuche erinnert sich Martin Weidner. Auch daran, dass das eine oder andere teuer erworbene Bauteil unter seinen Händen kaputt ging und mühselig wieder in Gang gebracht werden musste.

Tanken an der Saftbar

Das Ergebnis war sein sportlich-stylisches, nahezu geräuschlos fahrendes Kraft-Fahrrad mit sieben PS und einer Reichweite von rund 80 Kilometern. Dafür gilt übrigens Helmpflicht. Für alle Fälle hat Weidner immer einen Rucksack dabei. Darin verstaut er einen metallenen Kasten, so lang wie ein Schuhkarton, aber nur halb so flach. Der Transformator ist nötig, um die Batterie zu laden. „Das geht an jeder normalen Steckdose und dauert nur rund eine Stunde“, sagt Martin Weidner. Die perfekte Zeit, um während eines Ausfluges bei Freunden oder in einem Lokal Pause zu machen und auch der Maschine neue Lebensgeister einzuhauchen.

Den Akku nicht bis zum letzten Joule aufzubrauchen, ist dennoch angeraten, schließlich wiegt das Bike 68 Kilogramm. Es tretend fortzubewegen funktioniert, macht nur wenig Laune. Vorausschauendes Fahren gilt deshalb nicht allein bezogen auf den Straßenverkehr, sondern auch in Sachen Energiehaushalt. Nebenbei ein bisschen in die Pedale zu steigen, kann nicht schaden. Trotzdem hat es Martin Weidner jüngst nur knapp bis zum nächsten Biergarten geschafft. Aber auch dort traf er auf einen freundlichen Wirt, der ihm bereitwillig die nötige Menge Saft spendierte.