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Deutsche Bahn vertreibt Obdachlose

Die Männer haben die Nächte in einem Eingang am Dresdner Hauptbahnhof verbracht. Nun verhindert das ein Gitter.

Von Juliane Richter
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Die beiden Obdachlosen Gedrus und Stanislaw (Mitte und rechts) haben zwei Monate in dem Eingang gelebt, den die Deutsche Bahn nun mit einem Gittertor versehen hat (hinten). Gert Scharf von der Heilsarmee findet das unmenschlich.
Die beiden Obdachlosen Gedrus und Stanislaw (Mitte und rechts) haben zwei Monate in dem Eingang gelebt, den die Deutsche Bahn nun mit einem Gittertor versehen hat (hinten). Gert Scharf von der Heilsarmee findet das unmenschlich. © Sven Ellger

Für Gert Scharf, Leutnant der Dresdner Heilsarmee, stellt sich nicht die Frage der Legalität. Denn legal hat die Deutsche Bahn definitiv gehandelt, als sie einen zurückgesetzten Eingang zu ihren Räumen an der Strehlener Straße vor einer Woche mit einem Gitter versehen hat. „Aber ist das menschlich?“, fragt Scharf mit Blick auf jene Obdachlosen, die bisher in dem windgeschützten Bereich unter den Gleisen übernachtet haben und dadurch nun vertrieben worden sind.

Scharf ist auch in diesem Winter mit seiner Kältestreife nachts in der Stadt unterwegs, um Obdachlose mit Tee, Suppen sowie Schlafsäcken zu versorgen und im besten Fall zu einem Nachtcafé zu bringen. Doch viele Obdachlose wollen genau das nicht und ziehen die Minusgrade der Notunterkunft vor. Viele sind gern unabhängig, haben lieber ihre Ruhe oder Angst um ihre Habseligkeiten in einer Unterkunft.

Die drei Männer haben sich vor gut zwei Monaten am Hauptbahnhof eingerichtet. Scharf bezeichnet das aufgeschlagene Lager in dem etwa drei mal drei Meter großen Bereich selbst als „eklig“, weil geruchsintensiv. Er hätte sich von der Deutschen Bahn dennoch etwas mehr Fingerspitzengefühl gewünscht, zum Beispiel indem sie noch einen Monat mit dem Gitter gewartet hätte, bis der Winter wirklich vorbei ist. Zumal die dahinterliegenden Räume offenbar nicht genutzt werden.

Das bestätigt die Pressestelle der Deutschen Bahn auf SZ-Anfrage. Aufgrund des baulichen Zustandes sei eine Nutzung oder Vermietung der Räume nicht möglich. Aber: Der Bereich davor werde als Zustiegsstelle für den Schienenersatzverkehr genutzt und sei durch Reisende stark frequentiert. Außerdem bemängelt die Deutsche Bahn die hygienischen Zustände sowie entstandenen Verunreinigungen und sieht die Gefahr, dass Nagetiere angelockt werden könnten. Insofern sei die Deutsche Bahn ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen.

Bei der Räumung geholfen haben Beamte der Bundespolizei, die für die Sicherheit in und am Bahnhof zuständig ist. Deren Sprecher Holger Uhlitzsch bestätigt, dass seine Kollegen mehrmals vor Ort die Obdachlosen kontrolliert haben. Bei den Männern handelt es sich demnach um einen Inder, einen Letten und einen Polen. Wiederholt seien seine Kollegen von Reisenden auf die Obdachlosen angesprochen worden. Die Bahn sei dann ihrem Hausrecht nachgekommen, die Bundespolizei habe Platzverweise erteilt. „Man muss einfach verstehen, dass sich dort niemand unbefugt aufhalten kann“, sagt er.

Die Frage nach der Menschlichkeit der Aktion möchte er nicht beantworten. Er weist aber darauf hin, dass die Aufenthaltsräume im Bahnhof bei Minusgraden – anders als sonst – auch die ganze Nacht hindurch für die Obdachlosen geöffnet werden. Das sei diesen Winter bereits vorgekommen. Eine Bahnhofsmission, wie es sie in den meisten deutschen Großstädten gibt, fehlt in Dresden seit Jahren. Gespräche über eine Neueröffnung sind zuletzt immer wieder gescheitert.

Dass die drei Obdachlosen ihres ungewöhnlichen Schlafplatzes verwiesen wurden, findet Uhlitzsch richtig. „Dafür gibt es ja Notunterkünfte“, sagt er. In eine solche wurden die drei Männer jedoch nicht gebracht. Ihnen sei auf einer Karte aber der Weg zum Nachtcafé in der Dreikönigskirche gezeigt worden. Ganz so weit haben es zumindest zwei von ihnen nicht geschafft. Stattdessen haben Gedrus und Stanislaw lediglich die Straßenseite gewechselt und sich im Park niedergelassen, direkt an der viel befahrenen Kreuzung von Strehlener und Fritz-Löffler-Straße. Vor allem der ältere Stanislaw, der gehbehindert ist und nur mit einer Krücke vorankommt, verbringt dort die Tage und Nächte. Den blauen Schlafsack bis über die Nase gezogen, liegt er auf der Bank, an der viele Passanten vorbeigehen. Dass sich die Situation damit lediglich verlagert hat, kommentiert Uhlitzsch von der Bundespolizei mit „Das mag sein, da können wir nichts mehr machen. Damit sind wir raus“. Die Deutsche Bahn reagiert auf den Vorwurf der Unmenschlichkeit pikiert. „Dieser Vorwurf entbehrt unter Berücksichtigung der vorgenannten Argumente jeder Grundlage“, heißt es.

Trotz einiger eisiger Wochen sind die Dresdner Obdachlosen bisher offenbar verhältnismäßig gut durch den Winter gekommen. Laut Gerd Grabowski vom Koordinierungskreis der Nachtcafés seien diese Notunterkünfte weniger stark besucht als in den beiden Vorjahren. Favoriten gebe es bei den stadtweit verteilten Kirchen nicht. Viele Besucher würden dort ein preiswertes Abendessen einnehmen und dann wieder gehen.