SZ +
Merken

Die alte Konserve ist zu

Camper haben sie geliebt, NVA-Soldaten haben sie gehasst – die kleinen Wurstdosen aus Weinböhla. Zu Preisen um eine DDR-Mark herum waren in den handlichen Blechbüchsen Leberwurst, Schmalzfleisch, Rotwurst, Hühnerfleisch im eigenen Saft und vieles mehr zu haben.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Torsten Oelsner

Camper haben sie geliebt, NVA-Soldaten haben sie gehasst – die kleinen Wurstdosen aus Weinböhla. Zu Preisen um eine DDR-Mark herum waren in den handlichen Blechbüchsen Leberwurst, Schmalzfleisch, Rotwurst, Hühnerfleisch im eigenen Saft und vieles mehr zu haben. Seit knapp zwei Wochen wird die Produktionsstätte der Dosen, die EKF Konservenfabrik Weinböhla, abgerissen. Geschlossen wurde der Betrieb im Frühjahr vergangenen Jahres. Die Gemeinde Weinböhla will auf dem Gelände eine Zweifeldhalle errichten. Im Schutzanzug und mit Atemmaske entsorgten Mitarbeiter einer Dresdner Firma jetzt die Wellasbestplatten auf der Fahrradremise und einer Halle. Die ehemalige Arbeitsstätte von über hundert Weinböhlaern und Menschen aus der Umgebung, bietet derzeit den Anblick unzähliger DDR-Betriebe vorher. Kinder haben die Fenster eingeschmissen. Ein paar alte Gulaschdosen, die noch herum lagen, wurden an die Wand geklatscht. In einer Produktionshalle haben sich schon Interssenten für die relativ neuen Granitplatten gefunden. Säuberlich wurden ganze Flecken herausgemeiselt. Im Heizraum liegen stapelweise alte Personalunterlagen, Lohnscheine und Vorschlagslisten für die Wahl eines Betriebstates. In einem Kämmerlein über der Abfüllhalle finden sich noch gefüllte Dosen aus DDR-Zeiten. „Hasenrücken – mit Knochen“ und „delikat“ steht auf der Dose. Verfallen ist sie bereits 1987. Daneben liegen sogar noch ein paar jener Exemplare, die wohl jeder DDR-Bürger zumindest kannte. Was der Camper gern mit auf Reisen nahm, dämpfte bei manchem Soldaten unter dem Reizwort Komplekte augenblicklich den Apettit. Denn die Döschen aus Weinböhla hatte das Militär millionenfach als Notration eingelagert. Waren die Verfallsdaten heran, gab es bei er aktiven Truppe den berühmten Komplektetag.

An solche alten Geschichten erinnert sich auch Hans-Werner Scharf. Der Weinböhlaer begann am 17. September 1969 nach einer Kochlehre als Ungelernter im damaligen VEB Fleischverarbeitungsbetrieb Meißen, Betriebsteil Weinböhla. Hier arbeitete er sich bis zum Meister und Produktionsleiter hoch. „Ich habe 31 Jahre in dem Betrieb gearbeitet, jetzt bin ich 56 Jahre alt und arbeitslos“, sagt er. Zu DDR-Zeiten, als die Armee fast die gesamte Produktion abnahm, wurde hier in zwei Schichten gearbeitet. „Unsere Produkte hatten eine gute Qualität“, sagt Scharf. „Bei uns kam noch richtig Fleisch rein in die Dose“. Das musste auch so sein, erklärt der Fachmann, weil sich bei den hohen Temperarturen, mit denen die Wurst haltbar gemacht wurde, sonst Fett und Wasser abgesetzt hätten. Erst nach der Wende habe man gesehen, dass im Westen mehr Schwarten und vor allem Wasser zugesetzt wurde. Aber dafür gab es die Bindemittel, damit es nicht auffiel. Vorbei. Es hat alles nichts genutzt. Dabei sah es Mitte der Neunziger einmal ganz gut aus. Der Betrieb hattesich auf den Export nach Rußland eingestellt. Von ehemals über 100 Beschäftigten arbeiteten jetzt noch zwei Dutzend und füllten Schmorfleisch in Dosen mit der Aufschrift „Russkaja tuschenka“. Darunter stand klein: „mui pobedim“ – wir siegen. Verloren hatten auch die Weinböhlaer als der Rubel im Sommer 1998 einbrach und Russland gerade so an der Zahlungsunfähigkeit entlangschrammte. Das Exportgeschäft war passé. „Danach haben wir uns in den engen deutschen Markt regelrecht reingedrängelt“, erzählt Scharf. Davon künden auch noch die zahlreichen Etiketten, die jetzt, teilweise noch in Folie verpackt, auf einem Müllcontainer im Hof liegen. Auftragsproduktion für Hamburger Betriebe oder große Ketten. Die wenigsten, die etwa den Fleischtopf der Firma S&B aus Lehrte kauften, werden gewusst haben, dass er ganz in ihrer Nähe abgefüllt wurde. Die Russlandkrise konnten die Weinböhlaer noch verdauen, obwohl auch da Leute betriebsbedingt gehen mussten. Doch der BSE-Skandal gab dem Betrieb den Rest. „Wir hatten uns ja auch so ein bisschen auf Rindfleisch spezialisiert“, sagt Scharf. In seinem Betrieb sei kein verseuchtes Fleisch verarbeitet worden. Aber da Rindfleisch allgemein unter Generalverdacht stand, griff auch niemand mehr nach Rindsrouladen in pikanter Soße nach Hausfrauenart aus Weinböhla. Am 31. 2001, einem Mittwoch, ging Hans-Werner Scharf das letzte Mal in den Betrieb. Mit ihm die übrigen zehn Mitarbeiter. Dann war endgültig Schluss.