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Die Amerikaner aus Blochwitz

Margitta Baldeweg reiste 1989 nach Amerika. Mit ihrem Mann bringt sie zwei deutsche Zeitungen heraus und spürt Schicksale auf. Das eigene führte sie jetzt wieder nach Blochwitz.

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Mit einem Koffer, acht Dollar in der Tasche und einem Besuchervisum flog die Blochwitzerin Margitta Baldeweg 1989 mit der Maueröffnung nach Amerika. Die gelernte Buchhändlerin arbeitete in Großenhain bei Buch & Kunst und wollte unbedingt die USA sehen. „Die Margitta ist mit ihren Büchern verheiratet, die hat mal keine Kinder“, hieß es in Blochwitz. Das Schicksal wollte es anders.

Margitta kaufte sich – kaum in Amerika angekommen – eine deutsche Zeitung und war ziemlich erbost über die vielen Rechtschreibfehler. Sie griff zum Telefon, rief die Zeitung an und fragte „Na, sagen Sie mal, haben Sie denn keinen Korrektoren?“ Der Mann am anderen Ende zögerte nicht: „Nein, aber ich suche einen.“ So kam Margitta Baldeweg zu ihrem ersten Job in Amerika und zu ihrem künftigen Mann. Denn der Zeitungsmacher am Telefon war niemand anderes als Jes Rau, geborener Zeitungsmacher und ein Mann mit dem unbedingten Willen, das gedruckte Wort auch selbst herauszubringen.

Jes Rau arbeitet zu BRD-Zeiten bei der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT als Auslandskorrespondent. Bereits in den 1980er Jahren schrieb er einen Artikel zum bevorstehenden Crash in Ostdeutschland und den gewaltigen Umbrüchen, die das mit sich bringen könnte. Der Text wurde nicht gedruckt – Jes Rau gefeuert. Schon damals schrieb Jes Rau seine Diplomarbeit als Ökonom in Tübingen unter dem Titel „Die Banken sind an allem Schuld“ – eine Erklärung der Finanzkrisen – die jetzt erst, so viele Jahre später, auf Deutsch erschienen ist. Hochaktuell wie nie. Für den Korrespondenten Jes Rau ging das Leben zunächst anders weiter. Er kaufte nach seinem Rauswurf die 177 Jahre alte deutsche Tageszeitung „New York Staatszeitung“, die kaum das bessere Niveau eines Vereinsblattes aufweisen konnte, und machte sich an die Arbeit, „eine eigene Zeitung herauszubringen“. Vor drei Jahren kam eine zweite Zeitung dazu – die „Kalifornische Staatszeitung“, ebenso ein Traditionsblatt aus Einwandererzeiten. Damit bringt das Ehepaar Rau & Baldeweg die beiden ältesten deutschen Zeitungen Amerikas heraus – von Küste zu Küste. Besonders Schicksale bewegen ihre Leser. Die 85-Jährige aus Ostpreußen, die von einer Welt erzählt, die es längst nicht mehr gibt. Die Lebensgeschichte eines Deutsch-Amerikaners, der zur Wehrmacht eingezogen wurde und in den Gulag kam. In der Schule erfahren die jungen Amerikaner nichts darüber, sagt Margitta Baldeweg.

Margitta Baldeweg, die heute bei New York wohnt, erzählt ihre Familiengeschichte ernst, aber entspannt. „Zeitungmachen geht nur mit maximaler Selbstausbeutung“, sagt sie. Sie liebäugelt noch mit einem Blatt in Kanada.

Turbulent gestaltete sich das Leben der Margitta Baldeweg auch in anderer Hinsicht. Zweimal zwei Zwillinge – jeweils ein Junge und ein Mädchen (17 und 20) hat sie auf die Welt gebracht. Drei ihrer Kinder hat sie auf den Kurztrip nach Europa mitgebracht. Sie waren in Dresden, Leipzig, Weimar und in Meißen. „Wir sind von Schloss Proschwitz aus auf einem Feldweg gelaufen und hatten plötzlich einen überragenden Blick auf die Burg – und wir waren allein, wundervoll!“, sagt Margitta Baldeweg. Die Kinder sollen ihre deutschen Wurzeln verstehen, Menschen treffen – auch ihre Oma in Blochwitz.

Diesmal gibt es allerdings keinen schönen Anlass dafür. Mutter Irma Baldeweg hat mit 88Jahren die Kündigung in „ihrem“ Haus bekommen, in dem sie geboren wurde. Vererbt wurde der Hof zunächst an die Söhne der Familie. Inzwischen gehört er aber einer anderen Familie. Für die Mutter wurde nie ein Wohnrecht eingetragen. Wie dieses Schicksal jetzt weitergeht, weiß Tochter Margitta Baldeweg noch nicht. Heute Morgen ist sie nach Amerika zurückgeflogen. Sie wird sich einen deutsch-amerikanischen Anwalt nehmen.B. Ulbricht