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Die beste Sachsenklinik der Welt

Die MDR-Serie „In aller Freundschaft“ feiert 20. Geburtstag – und die Fans stellen ganz sicher einen Rekord auf.

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© Ronald Bonß

Von Karin Großmann

Ein hörbares Aufatmen geht durch das Filmstudio. Beinahe hätte die blonde Bilderbuchschwedin den Arzt verführt, bei ihr zu bleiben und das Gesundheitswesen in einem thailändischen Dorf zu entwickeln. Doch nach kurzem Zögern entscheidet sich der Arzt anders: „Ich gehöre nach Leipzig.“ Doktor Roland Heilmann bleibt der Sachsenklinik erhalten. Aber womöglich deutet sich eine neue Liebe an, nachdem Heilmanns Ehefrau vor zwei Jahren bei einem Erdrutsch das Leben verlor. Das lässt der Film offen, der am Freitag in der ARD läuft und vorab schon mal im MDR-Studio gezeigt wurde.

Die Schauspieler Thomas Rühmann, Andrea Kathrin Loewig und Bernhard Bettermann (v.l.) kommen stilbewusst im Krankenwagen zum Fanfest.
Die Schauspieler Thomas Rühmann, Andrea Kathrin Loewig und Bernhard Bettermann (v.l.) kommen stilbewusst im Krankenwagen zum Fanfest. © Ronald Bonß
Fans lassen sich im Sekundentakt im Krankenbett fotografieren, und tapfer lächelnd wechselt sich die Klinikcrew als Kulisse ab.
Fans lassen sich im Sekundentakt im Krankenbett fotografieren, und tapfer lächelnd wechselt sich die Klinikcrew als Kulisse ab. © Ronald Bonß

Mit der Premiere dieses ausnahmsweise abendfüllende Unternehmen endete am Sonnabend in Leipzig das Fanfest zum 20-jährigen Jubiläum der Serie „In aller Freundschaft“. Die Zuschauer konnten sich um die Eintrittsbändchen fürs Handgelenk bewerben, 500 wurden ausgelost. „Wir hätten dreimal so viele vergeben können“, sagt Fernsehspielchefin Jana Brandt. Sie entscheidet maßgeblich mit, wie die Serie läuft, wie sich Filmfiguren entwickeln, wer gehen muss und wer kommt.

Die ersten Gäste stehen eine Stunde vor Beginn an der Glastür, die sich zur Media City öffnet und zugleich zum Haus B der Sachsenklinik. Ein Haus A besitzt die Klinik ebenso wenig wie einen echten Fahrstuhl, auch wenn die Filmärzte ständig einen benutzen. Die vierte Etage liegt im Erdgeschoss, und auch sonst sieht vieles nur so aus als ob. Hinter dem OP-Saal steht ein Rollregal mit Röntgenbildern. Die Aufnahmen aus der Leipziger Uniklinik lagern in Fächern mit der Aufschrift „Hand“ oder „Fuß“. Bitte nicht verwechseln.

Für diesen Blick hinter die Kulisse steht mancher gern Schlange. Eine ältere Frau trägt einen dicken Strauß mit blassrosa Rosen. Für jeden Schauspieler eine. Sie gibt sich als Zuschauerin der ersten Stunde zu erkennen, weiß also um all die verzwickten Familienkonstellationen und die tragischen Konflikte rund um das Personal. Doktor Roland Heilmann zum Beispiel hatte ja nicht nur den Tod seiner Ehefrau, seiner Tochter, seines Vaters und seines Vorgesetzten zu verkraften, sondern auch einen Flugzeugabsturz und die Erkrankung an Leukämie. Es kommt halt etliches zusammen in zwanzig Jahren.

„Schon nach den ersten zehn Jahren war mir der Erfolg etwas unheimlich“, sagt der Schauspieler Thomas Rühmann, der als Doktor Heilmann seit dem Beginn am 26. Oktober 1998 dabei ist. Den Chefposten besetzt er inzwischen zu Recht. Denn er kann Knie, Rücken, Bauch, Kopf, Herz und weiß im thailändischen Dorf auch gleich, was bei einer Geburt zu tun ist. Überhaupt sind die Ärzte vielseitig einsetzbar. Und sie lösen fast jedes medizinische Problem in einer Dreiviertelstunde. Dabei bleibt sogar noch Zeit für trostreiche Gespräche mit den Patienten.

Wirklichkeitsnähe kann es also nicht sein, was jeden Dienstag bis zu sechs Millionen Zuschauer zur ARD lockt und die Fans zum Fest. Sie kommen aus Halle und Riesa, aus Österreich und der Schweiz, aus dem Illertal und von der Förde. Familie Klapka zum Beispiel ist extra aus Stuttgart angereist. Die 26-jährige Tochter spricht genauso begeistert über die Serie wie ihre Mutter, die meint: „Es ist einfach nett, entspannend und sehr unterhaltsam.“ Der Vater nickt zustimmend. Der Leipziger Pensionswirt, sagt er, hat stolz darauf hingewiesen, dass dort bereits die Produzentin der Serie genächtigt hat. Es sollte in Leipzig viel mehr Gedenktafeln geben.

Rund hundert Leute sind vor und hinter den Kulissen mit „IAF“ befasst, wie Kenner den Quotenhit nennen. Komparsen gehören dazu. Die Dunkelhaarige, die als Krankenschwester durch den Thailand-Film läuft, lässt jetzt alle fünfzehn Minuten eine neue Gruppe zur Studiotour durch die Tür. Etwas Fleischernes wabert auf dem Monitor im OP-Saal. Ein imponierender Hautberg liegt zwischen grünen Laken. „Das ist ein Kunstbauch“, erklärt die Studioführerin, doch was genau da wabert, weiß sie auch nicht. An einem Tisch lernt man bei diesem Fanfest, wie man einen ordentlich blutigen Schnitt macht und wieder vernäht. Das Interesse ist groß. Mit Kreuzstich kommt man nicht weit. Die Nadel sieht eher wie eine Schere aus. An einem anderen Tisch gibt es Wunden nach Wahl. Im Angebot sind Verbrennungen, Schürfwunden, Prellungen und ein gefährlicher Hundebiss. Die Maskenbildnerin baut eine schwarze Kruste um rote Hautfetzen auf Arm, Stirn oder Schlüsselbein. Bald laufen Dutzende Fans verwundet herum. Das wird abends in der Bahn für Aufsehen sorgen.

Andrea Bruschke aus Leipzig hat sich eine Sturzwunde aufpappen lassen und glücklicherweise bei der Tombola eine Operation gewonnen. Sie wird in einen dieser peinlichen Klinikkittel gesteckt. Dann wird sie ins Bett gelegt. Sie musste sogar etwas Text auswendig lernen. Der Assistenzarzt Hans-Peter Brenner liefert das Stichwort, die Kamera läuft, alles noch mal und noch mal. „Hach, ich war nicht gut“, seufzt der Schauspieler Michael Trischan theatralisch. Er hat sich in den Jahren vom Krankenpfleger hinaufgedient. In einer Schale auf dem Nachttisch liegen Wattetupfer mit blutigen Spuren.

460 Liter Kunstblut verzeichnet die Statistik, rund 13 280 OP-Masken und ungefähr 1 580 Krankheitsbilder. Das ist ja nicht wenig, doch ein wirklicher Rekord wird wohl an diesem Tag aufgestellt. Wenn jeder der 500 Fans jeden der 15 Schauspieler fotografiert und sich selbst mit jedem und dann das Ganze noch mal in Zweier- und Dreiergruppen – das sind wie viele Fotos? An solchen Aufgaben sind schon Generationen von Matheschülern verzweifelt. Die Schauspieler verzweifeln nicht. „Sagen Sie uns Ihr Zipperlein, und wir stellen die Diagnose“, ruft Annette Renneberg alias Doktor Weber ins Publikum. Es ist überraschend gemischt aus Alt und Jung. Jemand gewinnt einen blauen Untersuchungshandschuh, den die Schauspieler signierten.

Seit sie am frühen Vormittag stilsicher mit dem Krankenwagen vorgefahren sind, schreiben sie ihren Namen auf Autogrammkarten und lassen sich anfassen. Denn Anfassen ist das Eigentliche beim Fanfest. Wange an Wange mit wildfremden Menschen, das muss man mögen. Mit manchen wäre es ja vielleicht ganz hübsch, aber es ist nicht zum Raussuchen. „Ich hab mich mit der Kathrin!“, kreischt eine junge Frau und hält ihr Handy hoch. Die Kathrin ist Oberärztin Globisch, eine lebhafte Blondine mit lebhaften Partnerproblemen, gespielt von Andrea Kathrin Loewig. „In der Serie geht es mir wie vielen Frauen, die den einen Mr. Right suchen, ihn finden und vielleicht wieder verlieren“, sagt sie. In dieser Hinsicht ist „In aller Freundschaft“ doch dicht an der Wirklichkeit dran.

„Die Serie ist so erfolgreich, weil sie quer durch die Gesellschaft alle Schichten spiegelt“, sagt MDR-Intendantin Karola Wille. „Sie zeigt Land und Leute und vermittelt die Region bundesweit.“ Das soll nun fünf Jahre so weitergehen. Der Arztkittel ist ein gesamtdeutscher Erfolgsgarant. Aber selbst Straßenfeger wie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“, „Der Bergdoktor“, „Die Schwarzwaldklinik“ oder „Zahn um Zahn“ mit Alfred Struwe und Helga Piur können nicht mithalten mit den mehr als 800 Folgen der Sachsenklinik.

Kaum zu glauben, dass die Klinik nur zwei Patientenzimmer besitzt und ein einziges Büro. Alle Möbel stehen auf Rollen und lassen sich schnell umräumen, sodass die Ärzte oder der Chef oder die Verwaltungsdirektorin dort arbeiten können. Auf ihrem Schreibtisch liegen zwei ungeöffnete Briefe. Die Versuchung ist groß. Doch mit Sarah Marquardt legt sich im Film niemand gern an. Sie war lange das böse Biest und eiskalt bis zur Haarwurzel. Inzwischen darf sie verborgene Sehnsüchte zeigen. Im Thailand-Film kokettiert sie mit einem Uniformierten, der mit ihr nur zu gern ins Geschäft käme. Alexa Maria Surholt spielt das mit spöttischem Vergnügen. „Ich bin wohl jetzt im richtigen Alter für diese Holzwurst“, sagt sie. „Als mir mit 21 eine Alterskarriere prophezeit wurde, war ich freilich nicht begeistert.“ Sie bedauert, dass sie nicht das mathematische Talent der Verwaltungsdirektorin hat. „Ich würde eine Klinik in gut drei Tagen zugrunde richten.“

Das wird den Verantwortlichen beim MDR nicht passieren. Vielleicht werden sie ein neues Krankenhausbett anschaffen müssen, nachdem Hunderte Fans am Sonnabend samt Schuhen darin lagen, von den Lieblingsschauspielern umarmt. Alle kamen nach dem Thailand-Film vor die Leinwand und ließen sich feiern. Danach gab es wohl nur noch einen Wunsch: duschen.