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Die etwas andere Hochzeitsnacht

Heiraten ist hart: Nadine und Stephan haben für ihren Ehe-Wunschtermin 16 Stunden vor dem Standesamt campiert.

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Von Doreen Reinhard

Der Weg in die Ehe ist kein Spaziergang. Manchmal wird er zum Survival-Trip, für den man gute Ausrüstung braucht. Campingtisch, gepolsterte Stühle, Schlafsäcke, Kerzen, heißer Tee – Stephan Rau und Nadine Puhlmann haben es sich vor dem Standesamt auf der Goetheallee in Dresden so gut es geht gemütlich gemacht. Nichts und niemand wird sie von diesem Fußweg wegbringen, bis sie das Gewünschte ergattert haben: ihren Wunsch-Hochzeitstermin am 4. Oktober um 13 Uhr auf Schloss Albrechtsberg. Bei diesem Datum will das Paar keine Kompromisse machen, dafür nimmt es andere Strapazen in Kauf: immerhin 16 Stunden Camping auf dem Bürgersteig.

Und selbst die waren eigentlich schon knapp berechnet. Lange vorher hatten sich die beiden die Strategie für ihre etwas andere Hochzeitsnacht überlegt. Oberstes Ziel: „Wir wollen die Ersten sein.“ Man habe schließlich einiges gehört über Paare, die vor der Behörde regelmäßig anstehen, um die Sieger zu sein, wenn morgens acht Uhr die Türen geöffnet und in den Büros die begehrten Termine vergeben werden. Ein halbes Jahr im Voraus, so lautet die Regel. „Und da man das leider nicht elektronisch reservieren kann, sind wir eben hierhergekommen“, sagt Stephan Rau. Sie haben extra ein Wochenende geopfert und sich ins Auto gesetzt, weil die Gerüchte über den Konkurrenzkampf der Hochzeitspaare bis nach Hamburg gedrungen sind. Dort leben Stephan Rau und Nadine Puhlmann seit sieben Jahren glücklich und zufrieden. Geheiratet wird trotzdem in der alten Heimat, wo sie studiert haben und ein Teil der Familie wohnt. Seit 14 Jahren sind sie schon zusammen. Bei einem Urlaub in Irland hat er ihr 2012 schließlich einen Antrag gemacht. Nun wird es Ernst, sehr sogar, dem Zufall überlassen sie bei ihren Hochzeitsvorbereitungen jedenfalls nichts.

Am Sonntag Punkt 15.45 Uhr haben sich der Logistiker und die Sachbearbeiterin auf dem Blasewitzer Fußweg halbwegs häuslich niedergelassen. Inklusive selbst gepflücktem Blumenstrauß und einer Sektflasche auf dem Campingtisch, denn ein Quäntchen Romantik soll es auch beim Warten geben. „Eigentlich wollten wir schon mittags kommen“, sagt der 34-Jährige. „Es soll ja sogar ein paar Verrückte geben, die sich mit dem Wohnwagen hierher stellen und ausharren.“ Aber Glück gehabt: Noch ist keine Konkurrenz in Sicht. Nun muss nur noch die Zeit bis zum Morgengrauen vergehen. „Auf den Sonntagskrimi im Ersten müssen wir heute verzichten“, sagt sie. Dafür haben sie sich anderen Zeitvertreib mitgebracht, ein bisschen Arbeitslektüre, aber auch einen dicken Stapel Hochzeitsmagazine. Den Leerlauf vorm Standesamt wollen sie nutzen, um wieder ein paar Häkchen auf ihren endlosen To-do-Listen zu setzen. All die Dinge, die noch erledigt werden müssen: Einladungen schreiben, die Dekoration mit dem Floristen besprechen, Hochzeitstorte aussuchen, ganz zu schweigen vom Brautkleid, von dem die Trägerin bisher nur eine vage Ahnung hat. „Bis jetzt sind die Vorbereitungen Stress“, sagt sie. „Vor allem, weil wir alles aus der Ferne planen“, fügt er hinzu.

Zu ausgedehnten Besprechungen kommen sie allerdings nicht. Kaum zu glauben, was auf dem Fußweg der stillen Goetheallee alles passiert. Staunende Blicke bekommen sie in den nächsten Stunden viele ab, vor allem aus den Bussen der Stadtrundfahrt, deren Route am provisorischen Quartier des Duos vorbeiführt. Hinzu kommen die vielen Freunde und Verwandten, die den Kurzbesuch des Paares in Dresden für ein Wiedersehen nutzen. Auch sie beginnen die Begrüßung mit ungläubigem Kopfschütteln: „Seit wann wartet ihr hier? Ist nicht euer Ernst, oder?“ Doch, mit allem logistischen Drum und Dran. Das Abendessen kommt vom Kebab-Imbiss um die Ecke. Dringende Bedürfnisse erledigen sie in der nächsten Mc-Donald’s-Filiale. Und gegen die Kälte, die nach Einbruch der Dunkelheit in die Glieder kriecht, helfen erst die Schlafsäcke. Und irgendwann nichts mehr. Dafür wissen Stephan Rau und Nadine Puhlmann, als in den Wohnzimmern um sie herum, der Sonntagskrimi beginnt, dass sie wirklich die Ersten sind. Denn sie haben Veronika und Andi, die kurz vor 21 Uhr vor dem Standesamt erscheinen, auf Platz zwei verwiesen. Das Paar hatte es auf exakt den gleichen Hochzeitstermin und -ort abgesehen, nimmt den Verlust aber sportlich. Die Nacht verbringen sie gemeinsam auf dem Fußweg, freundschaftlich. Die anderen haben einen Tablet-PC dabei, auf dem man, als Dresden in den Schlaf sinkt, Komödien aus Hollywood schaut.

Stephan Rau und Nadine Puhlmann bleiben wach, die ganze Nacht. Denn auch die Konkurrenz schläft nicht. Um vier Uhr morgens reiht sich das dritte Paar in die Schlange ein. Als die ersten Standesbeamten 7.30 Uhr an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, ist diese bereits auf 20 Leute angewachsen. Die Exil-Dresdner können ihre Führung behaupten und sitzen nach 16 Stunden übernächtigt und nervös vor den Standesbeamten. Ihr Wunschtermin wird besiegelt und war all die Strapazen wert, sagen sie danach und küssen sich. Nun ist die größte Hürde geschafft, aber geschlafen wird noch lange nicht, denn Termine mit Gastronomen, Floristen und Bäckern warten. Ihr Hochzeitsmarathon geht ohne Pause in die nächste Runde.