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„Die Frauen sind hart im Nehmen“

Kletterlegende Bernd Arnold macht die Gleichberechtigung am Fels zum Thema beim Hohnsteiner Bergsommerabend.

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© Helmut Schulze

Von Jochen Mayer

Niemand traut sich heute ernsthaft zu sagen: „Die Frau ist der Untergang des Bergsteigers.“ In den 50er-Jahren hörte Bernd Arnold als Kind solche Sprüche, als er mit den Großen um die Felsen zog. „Das war kein Spaß, was die Alten da von sich gaben“, sagt der Hohnsteiner, „auch wenn sie ihre Witze zu diesem Thema machten.“ Die galten für manche als Sündenböcke, wenn die Familie ihr Recht verlangte und Zeit, die dann zum Klettern fehlte.

Frauen hatten mal schweren Zugang zur Felsenwelt.
Frauen hatten mal schweren Zugang zur Felsenwelt. © Archiv Schulze

Die einstige Männer-Domäne wandelte sich, wie Kletterlegende Arnold selbst erlebte. Heute sagt er: „Ich habe den Fehler gemacht, früher lieber mit meinen Kletterfreunden eine Seilschaft zu bilden und meine Frau Christine dafür ins zweite Glied zu stellen.“ Wie sie einst diese Degradierung aufgenommen hat? „Sie war nicht begeistert davon“, murmelt Arnold und fügt hinzu: „Im Nachhinein ärgere ich mich jetzt, aber das war damals so.“ Heute fühlt es sich so an, als ob er seine Frau für die Freunde geopfert hätte.

Der Erstbegeher von fast 1 000 neuen Kletterrouten im Elbsandstein wirkt warmherzig, als er sagt: „Man wird mit der Zeit klüger. Bei unserer Tochter Heike war das alles ganz anders. Sie konnte uns schon mit 14 Jahren tatsächlich etwas vorklettern. Solche Erfahrungen haben auch andere gemacht. Die Zeiten ändern sich.“

Was früher Ausnahme war, ist nun in Sachsen selbstverständlich. Klettern wandelte sich zum Familiensport, wie Arnold im Elbsandstein täglich sieht. „Das wertet eine Sportart auf, weil sich alle einbezogen fühlen.“ Und doch beobachtet er noch Macho-Verhalten, selbst wenn das nicht sofort zu erkennen ist: „Mich stört einfach, wenn Frauen in der Kletterhalle von männlichen Helden bevormundet werden.“

Wie Frauen die Kletterwelt eroberten, das beschäftigt den kommenden Hohnsteiner Bergsommer (7. bis 9. Juli). Seit 1990 organisiert Bernd Arnold dieses Angebot. Das wandelte sich vom sportlichen Kletterertreff zum kulturellen Termin. „Sport und Kultur sollte man sowieso nicht trennen“, sagt der Hohnsteiner und knurrt noch hinzu: „Die Kultur kommt beim Sport sowieso meistens zu kurz weg.“

Passion mit vielen Facetten

Die Bergsommer-Jahrgänge bekamen zuletzt ihre Titel. Voriges Jahr waren Seilschaften das Thema, „Daran lag mir viel, weil es beim Klettern gar nicht ohne die geht“, sagt der Org-Chef, der sich selbst einen Kopf um die vielen Facetten seiner Passion macht. „Du kommst von einem Aspekt zum anderen. Das war dann so umfangreich, dass es mit einer Veranstaltung nicht getan war.“ Was mehr Beachtung verdient hätte, war die Frau in der Seilschaft. Das ist nun sein Thema.

Dafür hat Bergsport-Historiker Joachim Schindler wieder Material gesichtet. Er fand schon um 1900 mehrere Frauen, die in den Felsen aktiv waren, selbst wenn sich noch nicht mit Gewissheit sagen lässt, wann die erste sächsische Frau Mitglied in einem Kletterverein wurde. Nach 1900 mehren sich aber die Belege von Frauen im Elbsandstein. Mit Sidi Anseln ist 1905 erstmals eine Frau an einer Erstbegehung in der Sächsischen Schweiz beteiligt. Martha Pötzsch aus Pirna kletterte 1913 als erste Frau eine 7er-Schwierigkeit im Nachstieg.

Doch der Weg zur Gleichberechtigung ist lang. Noch 1962 gibt das Sportverlag-Lehrbuch „Der Sächsische Bergsteiger“ Einblicke in den Alltag: „Manche Seilschaften sind der Meinung, dass sie nicht mit Mädchen zusammen an den Fels gehen können. Früher gab es sogar Kletterklubs, die im Statut festgelegt hatten, dass Mädchen nichts in den Bergen zu suchen hätten.“ Und es wird auch gleich nach einer Erklärung gesucht: „Wahrscheinlich liegt die Ursache zu solchen Auffassungen einfach darin, dass es jenen Bergkameraden schwerfällt, sich in Gegenwart von Mädchen anständig zu benehmen.“

Dass das nicht nur ein deutsches Problem war, kann die Schweizer Autorin Karin Steinbach bestätigen, die am Sonnabend beim Bergsommer auftritt. Das Alpenland war besonders konservativ. Erst seit 1980 soll es möglich sein, dass Frauen in der Schweiz in Kletterklubs aufgenommen werden. „Das kann man sich nicht mehr vorstellen“, sagt Arnold und sucht nach den neuen Zahlen: Von den bundesweit 250 000 Kletterern sind inzwischen 40 Prozent Frauen. Die höchsten Zuwachsraten haben die unter 24-Jährigen. „Die wachsen ganz anders auf“, meint der 70-Jährige.

Zwei Frauen auf Arnolds Spuren

Was Frauen inzwischen beim Klettern leisten, davon berichtet Stargast Mayan Smith-Gobat. Die Neuseeländerin tritt ebenfalls am Sonnabend auf. Sie war mit der sächsischen Extremkletterin Ines Pappert in Patagonien buchstäblich auf Arnolds Spuren. Sie stiegen seine Erstbegehung „Riders on the Storm“ am größten der drei Paine-Türme 1 300 Meter in der Vertikalen nach.

„Die Frauen sind hart im Nehmen, sie haben das Können, es hat mich nicht gewundert, dass sie das geschafft haben“, sagt Arnold. „Und ich kann mich sehr für sie freuen. Die Unterschiede sind nicht mehr so gravierend.“ Er fragt sich sogar manchmal, ob die Frau besser als der Mann beim Klettern ist? „Sie ist eleganter unterwegs, weil sie vom Körperbau nicht so ein starker Mann ist“, meint er augenzwinkernd, „mit Bewegungsreichtum und Technik können Frauen den Männern was vormachen.“

www.bergsport-arnold.de