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Die ganze Geschichte der Familie Grünberger

Ein Großröhrsdorfer Pfarrer erforscht das Leben jüdischer Einwohner. Damit gibt so den Stolpersteinen ein Gesicht und eine Geschichte.

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© René Plaul

Von Norbert Littig

Großröhrsdorf. Die SZ veröffentlichte in der Vorwoche das Foto einer Rose in Kamenz auf dem Stolperstein zum Gedenken an Adolf Grünberger in Kamenz. Der Großröhrsdorfer Pfarrer Norbert Littig hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Stolpersteine wie der von Adolf Grünberger in Kamenz würden leider immer nur wenig Auskunft zum Leben der in der NS-Zeit Ermordeten geben, stellt er fest. Das wollte der Pfarrer und Autor ändern. Und forschte intensiv nach. Zu Adolf Grünberger schreibt er unter anderem:

Adolf Grünberger wurde am 17. August 1864 in Plania im Kreis Ratibor in Oberschlesien geboren. Wann er in die Oberlausitz kam, weiß man nicht. Beim Taufeintrag seines dritten Kindes in der Stadtkirche am 1. Januar 1897 steht noch bei der Konfessionsangabe des Vaters „mosaisch“, die Mutter Kamilla Hauptvogel „evangelisch“. Daran angeheftet ist ein Zettel mit folgender Notiz: „Adolf Grünberger ist am 26. Juli 1898 in der evangelischen Kirche zu Lohsa bei Hoyerswerda getauft und darauf mit seiner Ehefrau getraut worden, hat auch am selbigen Tage daselbst das heilige Abendmahl empfangen. Grünberger gehörte somit der evangelisch-lutherischen Konfession an. Auf Grund perduzierten Tauf- und Trauscheines des evangelischen Pfarramtes Lohsa vom 26. Juli 1898 bemerkt. „Es ist unklar, warum die Taufe in Lohsa stattfand“, lautete 2008 die Auskunft von Brigitte Rudolph aus Kamenz.

Der in Kamenz geachtete Kaufmann war einige Jahre im Schulvorstand der Lessing-Schule tätig. Der Christ Adolf Grünberger zählte aber in der NS-Zeit „rassisch“ als Jude. Sogenannte Mischehen bildeten für den jüdischen Partner eine zeitlang einen gewissen Schutz. Dieser fiel weg, als die Ehefrau am 13. März 1938 starb. Der fast 80jährige Adolf Grünberger wurde mit dem Transport V/10 vom 11. Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert. Kurz vor der Befreiung des Lagers kam er am 31. März 1945 um. Sein Sohn Werner Grünberger – er zählte in der NS-Zeit rassisch als „Halbjude“ – war nach dem Kriegsende kurze Zeit im Kamenzer Stadtrat im Bereich Handel und Versorgung tätig. Sein Sohn Rolf Grünberger, Jahrgang 1930, legte 1949 das Abitur an der Lessingschule ab. Schon während der Abiturstufe erlebte er mit seinem Freund Peter Eberle, wie in der Sowjetzone eine neue Diktatur etabliert wurde. Denunziation und Verunglimpfung so genannter Reaktionäre erinnerten viele an die überwundene NS-Zeit. Rolf Grünberger und sein Freund hatten das Glück, ein Studium an der Universität in Leipzig aufnehmen zu können. Doch hier merkten beide schockiert, dass keine demokratischen Wahlen sowie keine Meinungsfreiheit zugelassen wurden.

Enkel in der „Belter-Gruppe“ dabei

Um den Studenten Herbert Belter bildete sich eine Gruppe, die intern diskutierte und aus West-Berlin kritische Literatur einführte. Anfang Oktober 1950 wurden zehn Studenten, unter anderem Rolf Grünberger, verhaftet, ins KGB-Gefängnis in Dresden überführt und hier vom sowjetischen Militärtribunal mehrheitlich zu je 25 Jahren „Arbeits- und Besserungslager“ in der Sowjetunion verurteilt. Spezielle Eisenbahnwaggons brachten die Gefangenen zu dem berüchtigten Gulag Workuta, 100 Kilometer nördlich des Polarkreises. Hier sind von 1934 bis 1955 Hunderttausende von Gefangenen hindurch gegangen, Zehntausende blieben für immer in der dauergefrorenen Erde. Der Tod Stalins 1953 ermöglichte ihnen nach drei Jahren eine Rückkehr in die Heimat. Kaum dort angekommen, wollten Stasi-Beamte Rolf Grünberger sofort zur inoffiziellen Mitarbeit verpflichten, „schließlich habe er von seinen 25 Jahren erst drei abgesessen, 22 seien noch offen“. Dem konnte sich Rolf Grünberger nur durch Flucht nach West-Deutschland entziehen. 1994 wurden die Leipziger Studenten der Belter-Gruppe rehabilitiert, weil die Anschuldigungen nicht zutrafen und weil das Urteil auch formal nicht gerechtfertigt war, also schon damals gegen das sowjetische Strafrecht verstieß.

2007 erfuhr die Belter-Gruppe auch gesellschaftlich eine hohe Ehrung, indem ihr in Dresden durch den damalige Ministerpräsidenten Professor Dr. Milbradt das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde. So wurde durch zwei Diktaturen das Leben von Großvater und Enkel Grünberger zerstört. In einer Zeit, wo viele immer noch der DDR-Nostalgie huldigen, ist es vielleicht auch wichtig, dass ebenfalls die Opfernamen der sozialistischen Diktatur als bleibende Mahnung bewahrt werden.