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Die Geburtsstätte des Schönauer Karnevals

Die SZ schaut hinter alte Mauern und erzählt Geschichten, die sich dort verstecken. Heute: Der Gasthof „Sonne“.

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Von Steffen Schreiber

Wenn Werner Wünsche in seinen Fotoalben blättert, huscht ihm immer wieder ein verschmitztes Lächeln über die Lippen. Es scheint, als sei es in den alten Zeiten lustig hergegangen in Schönau-Berzdorf. Auf alle Fälle im Dorfgasthof „Sonne“. Hier verbrachte der heute 79-Jährige viele Stunden seines Lebens. Doch nicht Essen und das Feierabendbier zogen Werner Wünsche über Jahrzehnte in den Gasthof auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war die Kunst, die den rüstigen Rentner vor fast sechzig Jahren das erste Mal in den Saal des Gasthofes lockte.

Werner Wünsche als Faschingsprinz mit der Funkengarde während des Karnevals. Der fand bis 1990 jährlich im Schönau-Berzdorfer Gasthof „Sonne“ statt. Foto: privat
Werner Wünsche als Faschingsprinz mit der Funkengarde während des Karnevals. Der fand bis 1990 jährlich im Schönau-Berzdorfer Gasthof „Sonne“ statt. Foto: privat

„Während es im Zweiten Weltkrieg eher ruhig im Gasthof zuging, trafen sich nach 1945 wieder verschiedene Gemeindevereine in der Sonne“, erinnert sich Wünsche. So hielten etwa der Schützen- und der Militärverein ihre Bälle im Saal des Gasthauses ab. Wünsche selbst gründete zu dieser Zeit zusammen mit Freunden eine Laienspielgruppe. „Wir waren immer um die 15 bis 20 Leute und haben pro Jahr ein bis zwei Stücke gespielt.“

1951 entstand aus der Laienspielgruppe der Kulturbund. „Mit unseren Einnahmen aus den Vorstellungen unterstützten wir verschiedene Kulturprojekte, wie etwa den Bau der Freilichtbühne auf dem Hutberg“, erzählt Wünsche weiter. So wurde die „Sonne“ nach und nach zum kulturellen Zentrum des Ortes. „Wir spielten meist volkstümliche Stücke aus der Region. Aber auch Gerhart Hauptmanns ‚Die Versunkene Glocke‘ kam zur Aufführung.“

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war der Gasthof an der Dorfhauptstraße Treffpunkt für Theaterliebhaber, wie die Schönau-Berzdorfer Ortschronistin Gisela Rose weiß. „Das waren schon damals ortsansässige Laiendarsteller.“ Auch ihr eigener Großvater war dabei. „Mein Opa hat mir immer davon erzählt, wie er einmal eine Zigeunerin gespielt hat“, erinnert sich Gisela Rose. Wie alt die „Sonne“ genau ist, kann selbst die Ortschronistin nicht sagen. „Unsere ersten Aufzeichnungen stammen aus dem Jahr 1876.“ Damals kaufte Karl Gottlieb Reichel das Haus vom Vorbesitzer Adolf Marsch. „Schon zu dieser Zeit wurde die ‚Sonne‘ als Gasthaus betrieben und der Saal für verschiedeneVeranstaltungen genutzt“, sagt Rose.

Das änderte sich auch in DDR-Zeiten nicht. Zwar wurde der damalige Besitzer Gerhard Horter zwangsenteignet. „Er betrieb das Haus als Konsumgaststätte weiter“, so Gisela Rose. Etwa zur selben Zeit hielt das bunte Treiben des Karnevals Einzug in den Ort, wie Werner Wünsche berichtet. „Wir veranstalteten 1959 unseren ersten Maskenball, der ein voller Erfolg wurde.“ Im Laufe der folgenden Jahre wuchs die Veranstaltung immer weiter. Soweit, dass selbst das Parkett unter dem Ansturm der bis zu 300 Feiernden ächzte. „Wenn richtig Stimmung war, schwankte der ganze Saal und einer der kleineren Männer musste unter das Parkett kriechen, um die Keile wieder festzuschlagen.“

1975 kam zum Maskenball ein Programm hinzu. „Unser Fasching war damals schon in der ganzen Region bekannt und Leute strömten von überall her zu unserem Fest.“ Doch mit der Wiedervereinigung kam erst einmal das Aus für die Narren. Denn die Konsumgaststätte ging Anfang der 90er Jahre wieder an die Alteigentümer zurück. Die verkauften das Haus jedoch bald wieder an einen Chemnitzer Investor, wie sich der Schönau-Berzdorfer Bürgermeister Christian Hänel erinnert. „Der Herr hatte zwar erst große Pläne, ging aber leider kurze Zeit später pleite.“

Bei der darauffolgenden Zwangsversteigerung bekam die Schönau-Berzdorferin Jutta Leyen den Zuschlag. Sie wiederum gab das Haus an ihren Sohn und die Schwiegertochter weiter. In deren Besitz befindet sich das Haus bis heute und steht nach wie vor leer. Für Werner Wünsche eine Tragödie. „Die ‚Sonne‘ war immer das Herz unseres Dorfes. Hier traf man sich, spielte Karten und trank ein Bierchen zusammen.“ Zwar existiert mit dem „Weißen Rößl“ noch eine zweite Gaststätte. „Dort gehen meines Wissens aber nicht mehr viele der Älteren hin“, so Wünsche.

Zumindest der Schönau-Berzdorfer Karneval hat überlebt. „Nach der Schließung der ‚Sonne‘ zogen wir mit unserem Fest nach Dittersbach“, erzählt Wünsche. Dem Erfolg tat der Umzug keinen Abbruch. „Wir haben jedes Jahr um die 2 000 Besucher.“ Heute engagieren sich sein Sohn und die Schwiegertochter im Faschingsverein. Von seiner Zeit als Faschingsprinz hat Werner Wünsche nur noch die Weste übrig. „Zwar hat mein Sohn auch ein Prinzenkostüm. Aber leider ist mir der Hut zu groß.“ Doch dem Junggebliebenen bleiben immer noch die Erinnerungen. So sieht er beim Blick durch sein Fenster manchmal den leeren Gasthof wieder im bunten Licht der Faschingszeit erstrahlen und spürt, wie der Boden unter seinen Füßen wackelt.