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Die Geschichte hinter dem Olympiasieg

Eiskunstlauftrainer Alexander König gelang es, dass Aljona Savchenko und Bruno Massot füreinander liefen. Davon handelt auch sein neues Kinderbuch.

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© dpa/Matthias Balk

Von Michaela Widder

Zwei Strichmännchen sitzen auf einem Tandem. Aljona und Bruno heißen die beiden, sie radeln einen Anstieg hinauf, kurz vor dem höchsten Punkt steht eine brennende Flamme, die das olympische Feuer symbolisieren soll. Und ganz oben auf dem Berg hängen die fünf Ringe. Wenn die beiden dort ankommen, haben sie den Olymp erklommen, sich ihren Traum vom Gold bei den Winterspielen erfüllt.

Aljona Savchenko und Bruno Massot zauberten in Südkorea.
Aljona Savchenko und Bruno Massot zauberten in Südkorea. © action press
Ein Bild, das auf dem Weg zu Olympia viel veränderte.
Ein Bild, das auf dem Weg zu Olympia viel veränderte. © privat

Als Alexander König dieses Bild zeichnete, hatte die vergangene Saison gerade erst begonnen. Es war einer dieser Tage, an denen andere Trainer schon verzweifelt wären. „Es gab mal wieder im Training eine Situation, in der sie sich gegenseitig Vorwürfe gemacht haben. Aber das sind Dinge, die funktionieren einfach nicht“, erzählt der 51-Jährige aus seiner Arbeit mit dem besten Eiskunstlaufpaar der Welt. Aljona Savchenko, die gebürtige Ukrainerin, sozialisiert mit einer eisernen Disziplin. Dazu Bruno Massot, der es mit seiner französischen Art gern etwas locker angehen ließ. Welten prallten aufeinander. Mittendrin König, der Mittler, ein Ruhepol.

In der Nacht nach diesem Training wurde er wach, und plötzlich fiel ihm dieses Bild ein: Er müsse beide auf ein Tandem setzen, um ihnen deutlich zu machen, wenn einer strauchelt, strauchelt auch der andere. „Einen Fehler muss der andere ausmerzen und darf nicht etwa die Schwäche ausnutzen. Die Botschaft ist, nur gemeinsam kommt ihr in Tritt.“

Die Botschaft für seine „Kinder“

Seine Botschaft schwarz auf weiß brannte sich ein in den Köpfen seiner „Kinder“, wie er seine Eiskunstläufer liebevoll nannte. Es war der Knackpunkt auf dem Weg nach Pyeongchang, glaubt König. Es folgte ein Winter wie im Rausch mit dem Triplesieg aus Grand-Prix-Finale, Olympia und Weltmeisterschaft. Selbst ein grober Fehler von Massot im Kurzprogramm bei den Spielen konnte das Team nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen. Einen Tag später liefen sie die Kür füreinander, verschmolzen ineinander. Es war ein denkwürdiger Auftritt. Der Trainer spürt noch Monate später ein „tiefes Zufriedenheitsgefühl“. Ihm ist bewusst, „so etwas werde ich nicht noch einmal erleben“.

Mitte Mai hatten die Olympiasieger in München ihren Abschied auf Raten verkündet. Offiziell war die Rede von einer Pause, doch es ist kein Geheimnis, dass sie mit lukrativen Showauftritten ihre Karriere ausklingen lassen.

An diesem Sonntag gibt es das erste Wiedersehen seit der Pressekonferenz im Mai – sogar auf dem Eis. Das erfolgreiche Trio will sein Wissen weitergeben und hat mit Savchenkos früherem Eispartner Robin Szolkowy einen viertägigen Workshop in Berlin organisiert. „Wir wollen allen deutschen Teams zur Seite stehen und ihnen die letzten Tipps für die neue Saison geben“, erklärt König.

Nach dem leistungssportlichen Abgang von Savchenko, die insgesamt sechs WM-Titel und drei Olympiamedaillen gewann, klafft eine Riesenlücke. Die Wiederholung eines deutschen Olympiasieges ist auf Jahre utopisch. Trotzdem liegt König die Zukunft des Eislaufens weiter am Herzen. Er will ein Paarlaufzentrum in Berlin aufbauen. In seiner Heimatstadt, in die er nach zehn Jahren in Oberstdorf im Mai zurückgekehrt war, stehen sieben Eishallen. Nirgendwo anders in Deutschland fangen jedes Jahr so viele Kinder mit dem Kringeldrehen an. Sein Konzept ist längst geschrieben. Doch bisher startet das Projekt zäh, weil auch die Finanzierung seiner Honorarstelle erst im neuen Jahr beginnt.

Dann schließt sich ein Kreis. Im Berliner Wellblechpalast in Hohenschönhausen begann König einst mit dem Eiskunstlauf. Als Kind erlebte er übermäßig strenge Trainer und schwor sich: „So werde ich nie. Das hat mich unheimlich gestört. Darauf habe ich verachtend reagiert.“ Als 18-Jähriger wechselte er zum Paarlauf. Zusammen mit Peggy Schwarz gewann er 1988 EM-Bronze. Ein Jahr später wurden sie WM-Vierte. Jeweils Platz sieben gelang ihnen bei den Winterspielen 1988, 1992 und 1994.

Aljonas Anfrage – ein Witz?

Nach der Karriere studierte der gebürtige Eilenburger an der Trainerakademie in Köln, stand in Stuttgart, Chemnitz und Berlin an der Bande, bevor es ihn 2008 nach Oberstdorf zog. Im Allgäu gründete der Familienvater eine Eiskunstlaufschule. Einen großen Namen als Trainer machte sich König erst durch die Zusammenarbeit mit Savchenko und Massot. Auch nach dem Rücktritt von Szolkowy 2014 wollte die mittlerweile 30-Jährige ihren Kindheitstraum vom Olympiagold nicht aufgeben. Dafür verließ sie Chemnitz, fand im Franzosen einen neuen Partner und in König einen neuen Trainer. Als sie anrief und nachfragte, dachte König, das sei ein Witz. Der Nachwuchscoach sollte eine fünfmalige Weltmeisterin trainieren?

Wie schwer sich die neue Paarung gestalten würde, merkten alle, als der erste Zauber wie beim Verliebtsein vorbei war. Savchenko war längst eine der Besten in ihrem Sport, Massot ein No-Name auf dem Eis. Was für ihn eine harte Trainingseinheit war, fühlte sich für sie wie ein Aufwärmprogramm an. Unterschiedliche Sprachen und Mentalitäten verstärkten die Spannungen. „Es ist wichtig, dass man die Unterschiede wahrnimmt und nicht schlechtredet, sondern etwas Positives daraus macht“, erklärte König gebetsmühlenartig.

Von einem Mentalcoach wollten sich seine Sportler aber partout nicht helfen lassen. Also nahm König die Sache selbst in die Hand, bearbeitete sie mit einem befreundeten Psychologen und vermittelte seine Erkenntnisse an die beiden. Der Trainer, der auch eine Ausbildung als Mediator begann, trug Entscheidungen der Gruppe mit, selbst wenn er anderer Meinung war. „Entscheidend ist, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen“, meint er. Und: „Die Läufer müssen sich frei fühlen, dürfen keine Ängste haben.“

Savchenko blühte unter der neuen Betreuung auf. „Herr König ist unser Sonnenschein“, meinte sie oft. Am gemeinsamen Erfolg rechnet die 34-Jährige ihrem Trainer einen Anteil von „mindestens 75 Prozent“ zu. König denkt nicht in Zahlen, sondern in Bildern und Geschichten.

Zwei Kinderbücher – „Sommereis“ und „Einbeinfrei“ – hat er schon geschrieben. Die vergangenen Jahre haben den Berliner neu inspiriert. Die Rohfassung für sein drittes Werk ist fertig. Die Geschichte erzählt von Aljona und Bruno und ihrem Tandem. Es kann nur ein Märchen geworden sein.