Die Irrungen und Wirrungen des Mike Mohring

Von Eike Kellermann
Vielleicht tröstet Mike Mohring, was Friedrich Merz beim Politischen Aschermittwoch der Thüringer CDU in Apolda sagt. Dass Mohring, der nächste Woche als Chef von Landespartei und Landtagsfraktion aufgibt, nur „auf Zeit verabschiedet“ sei. Mohrings Fans unter den 1.500 Besuchern flippen fast aus. Sie jubeln ihm zu, als sei er kein Gescheiterter, sondern „Minderheitspräsident für Thüringen“. So stand es auf seinen Wahlplakaten zur Landtagswahl im vorigen Herbst.
Ein hoher Anspruch. Und ein tiefer Fall. Die 21,7 Prozent sind seit der Wiedervereinigung das schlechteste Ergebnis der CDU, die 24 Jahre die Ministerpräsidenten in Thüringen stellte. Die Blaskapelle scheint beim Aschermittwoch gegen den Niedergang anzutrompeten. Mohring sagt über Merz, den Kandidaten für den CDU-Bundesvorsitz: „Nun stimmen wir ja nicht hier ab – da wär’s entschieden.“ Jubel im Saal, eine Kuhglocke wird geschlagen. So tickt das ländliche Thüringen.
Aber die bierselige Stimmung im Saal der örtlichen Brauerei ist nicht mehr repräsentativ. Die politische Wirklichkeit im Freistaat mit seinen 2,1 Millionen Einwohnern ist eine andere geworden. Die Linkspartei stellt seit 2014 mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten einer rot-rot-grünen Koalition. Sie bekam bei der Landtagswahl 31 Prozent. Die AfD unter Rechtsaußen Björn Höcke ist auf gut 23 Prozent gewachsen – zusammen die Mehrheit im Parlament. Das ist einzigartig in Deutschland.
Schlingerkurs nach rechts und links
Die anderen Parteien wurden von den Mühlsteinen rechts und links regelrecht zerrieben. Das gilt nicht nur für die CDU, sondern auch für SPD, Grüne und FDP. Insofern ist Mohrings Scheitern eine Folge der neuen politischen Realität in Ostdeutschland. Denn auch bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg machten die Parteien des Ministerpräsidenten und die AfD das Rennen unter sich aus. In Brandenburg fiel die CDU auf unter 16 Prozent. In Hamburg bekam sie voriges Wochenende nur noch 11 Prozent. Die letzte Volkspartei ist bundesweit im Niedergang.
Gegen solche Kräfte kommt auch ein Mike Mohring nicht an. Im Wahlkampf unterstützte ihn selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel. Seit ihrem Rückzug als CDU-Chefin vermeidet sie das eigentlich. Ihr Auftritt im Erfurter Landtag wurde als Festakt der CDU-Fraktion zum 29. Jahrestag der Wiedervereinigung verkauft. Mohring trägt an diesem Abend eine schwarz-rot-goldene Krawatte. Vor Jahren verteilte er Krawatten und Tücher in den Nationalfarben in seiner Fraktion. Das war die Zeit, als er sich als Konservativer zu profilieren suchte.

Ein junge CDU-Frau spricht, Mohring selbst, dann die Kanzlerin. Alles sehr staatstragend. Solche Inszenierungen liebt die CDU. Selbst seit Beginn ihrer Oppositionszeit gibt sie sich als „Thüringen-Partei“, etwa bei pompösen Empfängen auf der Erfurter Messe. Die Linksregierung unter Ramelow gilt ihr als Betriebsunfall, der vom natürlichen Lauf der Geschichte schon rückgängig gemacht werde. Dann wird Mohring – genau – „Ministerpräsident für Thüringen“. Sein Lebenstraum.
Bis zur Landtagswahl am 27. Oktober konnte er, obwohl die Umfragen nichts Gutes verhießen, noch davon träumen. Mit den 21,7 Prozent aber wurde er aktionistisch. Der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski sagt: „Der Schlingerkurs des Parteivorsitzenden nach links und rechts nach der Landtagswahl (...), hat zu einem massiven Glaubwürdigkeitsverlust geführt, der sich in den jüngsten Umfragen widerspiegelt.“ Die Partei ist auf 12 Prozent abgesackt.
Mohring bot sich der Linken als Partner an. Er ließ aber auch eine Debatte über eine Annäherung an die AfD laufen. Er unterstützte die Idee des früheren CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus für eine „Projektregierung“ von Linker und CDU. Er kritisierte den Beschluss der Bundes-CDU, wonach es keine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD geben darf. Doch als Unterhändler der CDU einen Kompromiss mit Rot-Rot-Grün vereinbarten, der eine begrenzte Zusammenarbeit bis zu vorgezogenen Neuwahlen im Frühjahr 2021 vorsah, kritisierte Mohring auch das. Wahlziel sei die Ablösung von Rot-Rot-Grün gewesen.
Ein „Trickser und Spieler“?
„Man kommt doch bei den Wendungen gar nicht mehr mit“, stöhnt ein CDU-Fraktionär. Was bei Mohring die von ihm beschworene „staatspolitische Verantwortung“ ist, und was reiner Machtwille, lässt sich kaum unterscheiden. Mohring sei ein „Trickser und Spieler“, sagt selbst ein wohlmeinender CDU-Parlamentarier.
Als „Mike Murks Mohring“ ließ ihn die Bild-Zeitung fallen. Der scheinbare Widerspruch – eine Linke - CDU-Regierung wollen, aber eine Duldung von Rot-Rot-Grün ablehnen – ist keiner für einen Machtpolitiker wie Mohring. Im ersten Fall wäre die CDU an der Macht, im zweiten nicht. Für diese Sicht bedarf es einer gewissen inneren Wendigkeit. Ein Thüringer AfD-Mann bemerkte einmal: Mohring habe wohl eine Wirbelsäule. Rückgrat habe er nicht.
Der Niedergang der Thüringer CDU begann freilich nicht erst jetzt. Er sei eine Folge des „Erbkriegs seit 2009“, sagt ein Parlamentarier. Der damalige Ministerpräsident Althaus, der bei einem Skiunfall den Tod einer Frau verursacht hatte, ging politisch wie körperlich angeschlagen in die Landtagswahl. Die CDU stürzte von 43 auf 31 Prozent. Danach entriss ihm Christine Lieberknecht innerparteilich die Macht und wurde in einer Koalition mit der SPD Ministerpräsidentin. Der von Althaus zum Fraktionschef gemachte und wohl als Nachfolger erkorene Mike Mohring ging leer aus. Der Erbkrieg begann.

In den Jahren der schwarz-roten Koalition galt Mohring als die eigentliche Opposition. Er warf Lieberknecht Knüppel zwischen die Beine und sorgte für eine Entfremdung von Koalitionspartner SPD. Die Sozialdemokraten wechselten nach der Landtagswahl 2014, bei der die CDU sogar leicht auf 33,5 Prozent zulegte, zu Rot-Rot-Grün unter Ramelow. Vielleicht hatte es Mohring genau darauf angelegt. Denn nun konnte er Lieberknecht die Macht in seiner CDU entreißen.
6. Februar 2020, Krisensitzung der CDU. Am Tag zuvor war im Landtag der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und der ein falsches Spiel treibenden AfD überraschend zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Eine Protestwelle rollt wegen des „Dammbruchs von Erfurt“ durchs Land. Ramelow und andere Linken-Politiker rücken das Ereignis in die Nähe von Hitlers Machtergreifung, Kemmerich tritt nach wenigen Tagen zurück, eine reguläre Landesregierung gibt es seitdem nicht.
Zuerst redet die vom Medien-Tsunami verstörte, von Berlin sich unverstanden fühlende CDU-Landesspitze stundenlang mit Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Als AKK nicht mehr auf sofortigen Neuwahlen besteht und nach Mitternacht geht, beginnt das Scherbengericht über Mohring. Vorgeworfen wird ihm etwa, die Forderung der CDU-Bundeschefin, sich bei der Kemmerich-Wahl zu enthalten, nicht an die Fraktion weitergeleitet zu haben. Mohring soll gefleht haben, bis Mai Fraktionschef bleiben zu dürfen, um noch eine Tagung der Unions-Fraktionsvorsitzenden zu leiten. Das wird ihm zugestanden. Der 48-Jährige verlässt, es ist nachts halb drei, den Sitzungsraum durch eine Hintertür. Ein paar Fotografen rennen ihm nach. Vor denen versteckt er sich in der Tiefgarage.
Zum schnellen Rückzug gezwungen
Am nächsten Tag ist er in Berlin und lässt plötzlich wieder offen, ob er den Fraktionsvorsitz abgibt. „Jetzt ist die Grenze endgültig überschritten“, explodiert ein Fraktionsmitglied. Nun zwingt ihn die Fraktion zum schnellen Rückzug. An den Verhandlungen mit Rot-Rot-Grün zur Beilegung der Regierungskrise ist er schon nicht mehr beteiligt. Nächsten Montag wird die Fraktionsspitze neu gewählt. Nachdem immer mehr CDU-Kreisverbände seinen Rücktritt forderten, gibt er an diesem Tag auch den Landesvorsitz auf.
Beim politischen Aschermittwoch in Apolda vor einem Jahr war Mohring hager, seine Stimme brüchig – gezeichnet von einer Chemotherapie. Der Krebs machte ihn bundesweit bekannt. Seine Offenheit beim Umgang mit der Krankheit brachte ihm viel Zuspruch ein. Den Kampf gegen den Krebs hat er nach eigener Aussage gewonnen. Den Kampf, Ministerpräsident zu werden, nicht.