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Die Kinder vom Käferberg

Eine Tänzerin und ein Polizist aus Hänichen haben siebenmal Nachwuchs gekriegt. Schule, Arbeit, tausend Hobbys – wie schaffen die Pritzls das bloß?

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Jörg Stock

Hänichen. Sieben Kinder im Haus, und schon wieder ist eine Geburt im Gange bei Pritzls auf dem Hänichener Käferberg. Zwei Babys sind schon da, fünf sollen es werden. Cornelia Pritzl, Mutter der Familie, hat diesmal nichts auszustehen. Den Nachwuchs kriegt die Katze. Das Tier gehört einer Freundin. Die ist gerade verreist. Da sind die Pritzls als Geburtshelfer eingesprungen. Mit dem Neinsagen hat sie’s nicht so, sagt Cornelia. „Helfen ist doch schön.“

Ein Nein hätte jeder verstanden, der den Wochenplan der Pritzls studiert, angeheftet am Zettelbrett im Wohnzimmer. Waagerecht stehen die Wochentage, senkrecht die Kästchen mit den Aufgaben, genau wie in der Schule. Nur dass bei Pritzls auch unter Sonnabend und Sonntag Kästchen sind. Egal welcher Tag, welche Stunde – immer ist irgendwas los, muss irgendwer irgendwohin: Geige spielen, Flöte blasen, Karate trainieren, Fußballspielen oder Eiskunstlaufen. Wie kriegt man das hin? Conny lacht. „Wir kriegen das immer hin“, sagt sie. „Man muss wohl dafür gemacht sein.“

Dass sie dafür gemacht sind, sieben Kinder aufzuziehen, das wussten Cornelia, die Tänzerin an der Staatsoperette, und Mike, der Bundespolizist, nicht, als sie Mitte der 1990er im Tiefgeschoss ihres damaligen Wohnhauses einander trafen. Der Anlass: ein Einbruch. Das Radio aus Mikes Auto war geklaut worden. Cornelia fand das witzig: Ausgerechnet einem Polizisten wird der Wagen ausgeräumt. Mike fand es nicht ganz so witzig. Aber die Nachbarin fand er gut. 1999 kam das erste Kind: Robin.

Eigentlich hatten die beiden ganz klassisch an zwei Kinder gedacht. 2003 bekamen sie Emily und alles war gut. Doch bald erwachte in Conny erneut der Kinderwunsch. Sie sehnte sich nach dem Kleinkindstadium zurück, erzählt sie. So folgte auf Emily Luca, auf Luca folgte Mika, auf Mika folgte Leni, auf Leni Noah und auf Noah folgte im April dieses Jahres Hedi. Auf Hedi folge der Bundespräsident, bildlich, mit Autogramm und Urkunde und mit 500 Euro Startkapital. Joachim Gauck ist Hedis Ehrenpatenonkel. Conny findet die Würdigung schön. Und Hedi? Abwarten. „Vielleicht wird sie einmal stolz darauf sein.“

Conny Pritzl mag Gauck. „Ein netter Mann.“ Die Zeit, sich mit Politik zu befassen, fehlt ihr. „Wir haben mit unserer eigenen kleinen Welt vollauf zu tun.“ Zur Tagesschau ist sie noch beschäftigt, und wenn die Spätnachrichten kommen, ist sie schon eingeschlafen. Überhaupt ist der Fernseher der Pritzls kaum in Betrieb. In den seltenen Momenten, wo der Trubel abebbt, genießt man lieber die Ruhe.

Der Tag beginnt früh. Mike fährt schon halb sechs zum Dienst in die Polizeiinspektion nach Berggießhübel. Bevor die Kinder gegen sechs aufstehen, hat Conny die Brotdosen gefüllt und den ersten Kaffee getrunken. Gefrühstückt wird mehr oder weniger in Raten. Während Robin, der Älteste, zur Lehre nach Dresden fährt, machen sich Emily, Luca und Mika fertig für den Bus zur Schule. Wenn sich alle im Flur sortieren, sind das die stressigsten Momente des Morgens. Conny kontrolliert Gepäck und Anzugsordnung. Teenager wie Emily wollen schick sein. Die Mutter muss mitunter einschreiten, damit ihre Tochter nicht „schick erfriert“, wie sie sagt.

Noch etwas Vorschule für Leni und Noah, dann geht es für die beiden ab in den Kindergarten. Erst dann kann Conny ein wenig durchatmen. Aber nicht ausruhen. Seit sie nicht mehr an der Operette auftritt, ist Conny freischaffende Tanzlehrerin und obendrein Vereinschefin beim Tanzstudio Freital. Sie muss sich Choreografien ausdenken und Papierkram erledigen. Dafür bleiben ihr nur wenige Stunden. Schon am Mittag wird sie Leni von der Kita abholen und zum Eislauftraining fahren. Das macht sie jeden Tag. Mit fünf Jahren ist die Kleine praktisch eine Leistungssportlerin. Sie will es so, sagt Conny. Leni brennt fürs Eis.

Das wichtigste Instrument bei der Koordinierung der Großfamilie ist das Mobiltelefon. Beim Nachrichtendienst Whatsapp sind die Pritzls zusammengeschaltet und melden sich gegenseitig die jähen Wendungen im Tagesablauf – Hitzefrei in der Schule, ausgefallene Busse, Überstunden auf Arbeit. Dann wird jongliert. Oft helfen die großen Kinder dabei, dass nichts und niemand auf der Strecke bleibt. „Die Großen arbeiten automatisch mit“, sagt Mike. Als er einmal nach drei Monaten Dienst am Leipziger Flughafen wieder daheim anlangte, fühlte er sich ein wenig fehl am Platze, weil man alle seine Aufgaben verteilt hatte. „Ich war sehr schnell ersetzt worden.“

Vor allem auf Robin zählt die Familie, als Organisator und Aufpasser. „Er ist der beste Babysitter der Welt“, sagt seine Mutter. Alle hatten sich gefragt, ob es so bleiben würde, als Robin die Ausbildung zum Sozialassistenten begann, weit im Dresdner Norden, ob er ausziehen, sein eigenes Ding machen würde. Noch will er nicht. „Ich werd’ ja hier gebraucht“, sagt er jetzt, da er neben seinen Eltern auf der Couch sitzt. Conny macht sich nichts vor. Nächstes, spätestens übernächstes Jahr wird das anders aussehen. Sie hofft, dass Emily dann in Robins Rolle hineingewachsen ist.

Wie geht es nun weiter mit den Pritzls? Wird bald wieder ein neuer Name in den großen Wochenplan eingetragen? Conny glaubt das nicht. Sie fühlt sich komplett. Die Sehnsucht nach Babyjahren scheint gestillt. Es ist auch ein tolles Gefühl, große Kinder zu haben, findet sie, Kinder, die man nicht dauernd fragen muss, ob sie aufs Klo müssen oder ob sie ihre Wechselhose dabei haben, sondern die einen fragen, ob sie mal fünf Euro kriegen können. Jedes Alter hat seine Reize, sagt die Mutter. „Und die Sieben ist ja auch eine schöne Zahl.“