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Die letzte Zugfahrt

Ein Obercunnersdorfer war dabei, als letztmalig ein Personenzug die Strecke Oderwitz-Löbau befuhr. 

Von Romy Altmann-Kuehr
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Ein Zug fährt über's Obercunnersdorfer Viadukt - das gehörte früher zum Ortsbild, heute haben solche Motive historischen Wert.
Ein Zug fährt über's Obercunnersdorfer Viadukt - das gehörte früher zum Ortsbild, heute haben solche Motive historischen Wert. © privat

Still liegt der Bahnsteig am Obercunnersdorfer Bahnhof. Ein paar Schneeflocken sammeln sich auf den Gleisen. Der Bahnsteig hat schon lange keine Passanten mehr gesehen. Günther Kneschke kennt da noch ganz andere Zeiten. Der Obercunnersdorfer ist oft mit dem Zug zur Arbeit gefahren, als hier noch die Bahn verkehrte. Die Strecke führte von Löbau über Obercunnersdorf und Herrnhut nach Oderwitz und in umgekehrter Richtung. In Oderwitz gab es Anschluss an den Zug zwischen Dresden und Zittau. Das ist allerdings schon Jahrzehnte her. Inzwischen fahren seit mehr als 20 Jahren keine Personenzüge mehr auf dem Abschnitt.  "Ab 1974 bin ich oft mit dem Zug gefahren", erzählt der Obercunnersdorfer. "Meistens von Obercunnersdorf nach Löbau, manchmal auch in die andere Richtung nach Zittau." Kneschke war als Prüfer für die Finanzinspektion unterwegs. "In Obercunnersdorf stiegen auf der Strecke nach Löbau jeden Morgen um die 25, 30 Leute ein", erinnert er sich. Sie waren wie er berufstätig und nutzten den Zug für die Fahrtstrecke zur Arbeit. Im Winter seien es immer ein paar mehr Fahrgäste gewesen, als in den Sommermonaten. Denn im Sommer fuhren etliche mit dem Moped oder Motorrad zur Arbeit. Die meisten Passagiere stiegen in Löbau mit aus, aber auch die Haltestellen in Niedercunnersdorf und Großschweidnitz wurden genutzt. 90 Pfennige kostete die Fahrt von seinem Heimatort Obercunnersdorf nach Löbau damals, erinnert sich Günther Kneschke. Eine knappe halbe Stunde dauerte die Zugfahrt. Soweit Kneschke sich erinnern kann, fuhr der Zug im engen Takt, auch am späteren Abend noch. Auf der Buslinie, die ebenfalls über Obercunnersdorf nach Löbau fuhr, betrug der Fahrpreis 70 Pfennige. Beide Transportmittel wurden gut genutzt. Die Buslinie über Obercunnersdorf nach Löbau gibt es heute noch. 

Als der Zug zum letzten Mal auf der Obercunnersdorfer Strecke fuhr, war Günther Kneschke wieder dabei. Es war der 23. Mai 1998, als letztmalig ein Personenzug über das Viadukt und in den Obercunnersdorfer Bahnhof einrollte. Güterzüge waren noch ein paar Jahre länger auf der Strecke. "Sonst war auch ich zu dieser Zeit nach der Wende schon gewöhnlich mit dem Auto unterwegs", erzählt der Rentner, der damals noch berufstätig war. An diesem Tag habe er aber ganz bewusst den Zug gewählt. "Es war ja bekannt, dass dies der letzte Tag sein sollte, an dem hier Personenzüge fuhren." Er war an dem Tag der einzige, der in Obercunnersdorf in den Zug einstieg. Auf der Rückfahrt von Löbau war es beim Ausstieg nicht anders. Die meisten Leute würden heutzutage eben das Auto bevorzugen, weiß auch der Obercunnersdorfer. Und gibt zu, dass es ihm nicht anders geht. Es sei einfach bequemer und man selbst unabhängiger unterwegs. "Das Auto steht vor der Tür oder in der Garage, man muss nicht erst zur Bahnstation laufen oder sich nach Fahrtzeiten richten."

Dennoch: die Eisenbahn und der Bahnhof gehörten zum Dorfleben dazu und es sei schade, dass mit dem Ende der Bahnstrecke auch vieles im Umfeld wegfiel. Gerade für das Obercunnersdorfer Ortsbild habe die Eisenbahn eine besondere Bedeutung gehabt. Schließlich fuhr sie über das markante Viadukt. Bilder, auf denen ein Zug über die große Brücke rollt, sind eine Rarität geworden. Auch die Bahnhofsgaststätte profitierte vom Strom der Berufstätigen. Bei vielen war es damals gang und gebe, dass sie nach getaner Arbeit und dem Ausstieg am Wohnort noch auf ein Feierabend-Bier in der Bahnhofsgaststätte einkehrten und sich am Stammtisch einfanden. Das habe sich generell geändert und sei heute weniger üblich, stellt der Obercunnersdorfer Rentner fest. Auch dahingehend habe sich die Gesellschaft verändert. 

Der Obercunnersdorfer ist selbst bei einer Einwohnerversammlung in seinem Ort zu Gast gewesen, bei der die stillgelegte Bahnstrecke jetzt Thema war. Die Gemeinde Kottmar hatte in drei Ortsteilen dazu eingeladen. Die Ideen des Vereins Pro Bahn wurden vorgestellt, der die Bahnstrecke wieder beleben will. Auch der Landkreis präsentierte noch einmal seine Pläne zu einem Radweg, der auf der ehemaligen Bahntrasse entstehen könnte. Die Meinungen der Einwohner zu beiden Ideen sind gespalten. Beide Varianten finden Befürworter und Gegner, wurde in den Versammlungen deutlich. 

Günther Kneschke meint, die Bemühungen der Bahn-Initiative seien hoch anzurechnen. Jedoch kann er sich nicht vorstellen, dass eine Bahnstrecke wirtschaftlich betrieben werden könnte. "Die Rahmenbedingungen haben sich ja in den letzten 20 Jahren seit der Einstellung der Bahnlinie noch verschlechtert. Heute leben noch weniger Menschen, also noch weniger potenzielle Bahnkunden in der Region." In einem Radweg sieht er hingegen einen weiteren Baustein für die touristische Entwicklung der Region. Immerhin führe die 15 Kilometer lange Trasse durch eine landschaftlich reizvolle Gegend mit schönen Ausblicken, zum Beispiel auf den Kottmar, den Löbauer Berg und den Schafberg, die Cunewalder Berge. Sie führt durchs Windmühlendorf Oderwitz, durch Ober- und Niedercunnersdorf mit den vielen Umgebindehäusern. 

In jedem Fall, so Kneschke, sei es wünschenswert, wenn im Fall der stillgelegten Bahnstrecke bald eine Entscheidung getroffen würde. Das schlimmste wäre, wenn sich die unterschiedlichen Vorstellungen gegenseitig ausbremsen würden.