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Die neue Leichtigkeit

Die 19-jährige Filiz Osmanodja aus Dresden will bei der Team-EM im Schach mit einem ganz einfachen Rezept punkten.

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© Robert Michael

Von Alexander Hiller

Manchmal gibt es auch für Schach-Genies ganz einfache Lösungen. Für eine kleine Diät beispielsweise. Einfach aus dem Elternhaus ausziehen. Filiz Osmanodja kann darüber herzlich lachen.

Seit das Schach-Talent im Vorjahr von Dresden nach Berlin gezogen ist, um in der Hauptstadt Medizin zu studieren, sind ihre Gesichtszüge markanter, die Figur drahtiger geworden. „Naja, mein Bruder und ich“, sagt sie, „essen fast nur noch Brot. Das ist etwas traurig, aber in Berlin gibt es eben nicht das tolle Essen von meiner Mutter“. Obwohl Frau Osmanodja ihrer Tochter immer ein paar Tupperdosen mitgibt, wenn die 19-Jährige ihre Wochenendbesuche beendet. „Ich bewege mich auch etwas mehr“, sagt Filiz Osmanodja und meint in erster Linie ihren Weg zur Uni. Jeweils eine halbe Stunde sitzt sie dabei auf dem Rad.

Bilgin und Filiz Osmanodja, Geschwister-Paar einer bulgarischen Familie mit türkischen Wurzeln, wohnen nun in einer WG in Berlin-Wilmersdorf. „Ich mag Berlin als Stadt eigentlich nicht so. Dort ist es oft chaotisch. Dresden ist ruhig und schön.“ Und passt deshalb eher in die Welt der wohl talentiertesten weiblichen Schach-Hoffnung Deutschlands.

Die zweifache Jugend-Vizeweltmeisterin, die zum deutschen Aufgebot für die heute startende Team-EM der Frauen in Reykjavik gehört, lässt in ihrem Leben derzeit nicht viel Platz – außerhalb von Schach und Studium. Freiwillig. Freund? Nö. Partys, Alkohol? Oh Gott. „Medizin und Schach nehmen meine Zeit ein, ich gehe eigentlich nie auf Partys“, bestätigt sie. Damit ist sie bei Altersgenossen jedoch schnell außen vor – oder? Filiz Osmanodja zuckt mit den Schultern. „Ja, schon – aber was solls? Ich vermisse da nichts. Mein Bruder glaubt auch, dass ich etwas komisch bin. Er hält nicht viel von meinem Lebensstil“, erklärt sie lachend.

Bilgin hat offenbar Besseres zu tun. Oder anderes. Filiz Osmanodja ist für ihre Eltern, die als Dolmetscher arbeiten, eine lasterfreie und pflegeleichte Tochter. Das will mit 19 Jahren etwas heißen. „Meine Mama sagt immer: Es ist traurig, dass so ein junges Mädchen bei seinen Eltern hockt“. Filiz guckt dabei gar nicht so traurig.

An der Seite einer Starspielerin

Möglicherweise kann dieser so geerdet wirkende Teenager ein wichtiger Baustein für den Erfolg in Reykjavik werden. Filiz Osmanodja gehört zum fünfköpfigen Team um Starspielerin Elisabeth Pähtz, die seit Jahren beste und prominenteste deutsche Schach-Dame. „Sie ist die erfahrenste und professionellste von uns“, meint Osmanodja über die Nummer 31 der Weltrangliste.

Und die Ex-Dresdnerin Pähtz (30) hat eine ziemlich hohe Meinung von der jungen Sächsin. „Filiz hat einen guten Charakter, um erfolgreich zu sein. Sie spielt angstlos und mit vollem Risiko“, erklärte Pähtz.

Aber Osmanodja könnte der deutschen Nummer eins während der Team-EM womöglich ein bisschen auf den Wecker fallen. Im wahrsten Sinn des Wortes. Beide leben vor den jeweils 15 Uhr startenden Runden einen völlig unterschiedlichen Tagesrhythmus. „Elisabeth schläft gerne mal bis Mittag“, sagt Filiz und grinst. Sie hat sich angewöhnt, bereits 6.30 Uhr aufzustehen.

„Dann frühstücke ich, erledige Taktikaufgaben, oder ich lerne etwas fürs Studium“, erzählt sie. Und für aufkommende Langeweile – Osmanodja kennt sich offensichtlich genau – wollte sie auch ihre Altblockflöte einpacken. „So gegen 11.30 Uhr spiele ich dann gerne mal klassische Musik. Elisabeth schläft da meist noch. Eigentlich spiele ich auch Saxofon. Aber das konnte ich nicht mitnehmen.“ Und ihre Flöte hat sie daheim vergessen. Glück für Frau Pähtz.

Auf die begabte Brettspielerin, die seit dieser Saison für den hessischen Frauen-Erstligisten SF Friedberg, aber parallel für das zweite Männerteam des USV TU in der Oberliga startet, wartet in der isländischen Hauptstadt eine besondere Herausforderung. Nach Pähtz ist sie an Nummer zwei im deutschen Team gesetzt. „Unsere eigentlich zweitbeste Spielerin will nicht an Nummer zwei spielen, da sie dort schlechte Erfahrung gemacht hat“, sagt Osmanodja. Der Bundestrainer berief stattdessen sie auf diese Position, die ihr sportlich stärkere Gegnerinnen bescheren wird. „Ich habe mich sehr darüber gefreut. Je stärker die Gegner, desto besser. Das ist gutes Training“. sagt sie. Training? Filiz lächelt. „Wenn man das so betrachtet, ist es leichter, mit Niederlagen umzugehen.“ Nach einfachen Lösungen klingt das nicht.