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Die Paletten von Prokon

Nun steckt auch Sachsen mittendrin im Schlamassel um die Pleite des norddeutschen Windanlagenbetreibers. Von einem Holzbetrieb in Torgau hängt wesentlich ab, wie viel Geld die 75.000 Anleger wiedersehen werden.

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© Robert Michael

Von Ulrich Wolf

Der Geruchssinn feiert eine Ode an die Freude. Als stünde man nach einem Regenguss tief in einem Wald. Für Ohren und Augen hingegen spielt sich hier, am äußersten Stadtrand von Torgau, ein Drama ab. Riesige Maschinen machen aus dem, was mal Wald war, Kleinholz. Sie sägen, häckseln, fräsen. Sie verbrauchen 2 200 Festmeter Holz am Tag, das sind 70 Frachtcontainer.

Sägespäne sind zu haushohen Dünen zusammengeschoben, die Rindenmulch-Berge reichen für Zehntausende Kleingärten, meterhoch ragen Türme aus Paletten in den Himmel. Ein Lastwagen nach dem anderen, meist beladen mit Fichten- oder Kiefernstämmen, donnert auf das Betriebsgelände. Am Eingang wirbt ein Schild: „Holzbrikett, der neue Hit bei HIT.“

HIT, das ist die Holzindustrie Torgau OHG. 650 Mitarbeiter stark, 127 Millionen Euro Umsatz schwer. Geführt von zwei Männern, die es seit 1998 schafften, auf einem ehemaligen Militärgelände einen der führenden Palettenhersteller Europas zu etablieren. Mit dem Geld von Prokon. Exakter: mit dem Geld jener Anleger, die an den Aufstieg des Windanlagenbetreibers aus Itzehoe zum Ökoenergie-Riesen glaubten.

Ein Traum, der platzte. Prokon ist pleite, 75.000 Menschen bangen um eine halbe Milliarde Euro. Wie viel sie davon wiedersehen, das hängt wesentlich von HIT ab: Fast 300 Millionen Euro hat Prokon in den Betrieb gesteckt, als Darlehen. Mit Windkraft hat das wenig zu tun, wohl aber mit Gerüchten um Anlagebetrug, um illegale Kahlschläge in rumänischen Wäldern und um die chinesische Holzmafia.

Die zwei Geschäftsführer von HIT arbeiten in einer sanierten Baracke, die erst der Wehrmacht, dann den Sowjets als Empfangsgebäude diente. Heute lassen Lkw-Fahrer dort ihre Frachtpapiere quittieren.

Während der eine HIT-Chef, Günther Hilmer, zu einem Kundengespräch in München weilt, wartet der andere in Torgau in einem Besprechungsraum: Karlheinz Lippmann. Der 58-Jährige macht sein ganzes Berufsleben lang „schon in Holz“. Fast zwei Jahrzehnte arbeitete er als Förster in seiner Heimat in Südthüringen. Ein Mann, der den Umgang mit der Natur zu seinem Beruf machte – und der jetzt, im kargen Besprechungsraum, ziemlich verärgert ist. Zumindest über das ZDF.

Die Fernsehleute aus Mainz hatten ihn und seinen Kompagnon Hilmer in der Sendung „Frontal 21“ Anfang Mai heftig kritisiert: Die Reporter zeigten Bilder von kahl geschlagenen Wäldern in Rumänien, ein in die Jahre gekommenes Einfamilienhaus in Sibiu als angeblichen Geschäftssitz, ließen einen rumänischen Forstmann von illegalen Holztransporten erzählen. Die Autoren des ZDF-Beitrags sind überzeugt: Was HIT mit dem Geld der Prokon-Anleger in Rumänien betreibt, ist ein „gut organisiertes Verschleierungsgeschäft“.

„Quatsch“, sagt Lippmann. Er rührt so heftig im Kaffee, dass der überschwappt. Die Bilder vom kahl geschlagenen Wald stammten „definitiv nicht“ aus den rumänischen Forstgrundstücken der HIT. Das Haus im siebenbürgischen Sibiu gehöre dem Geschäftsführer vor Ort, „weil wir eine Adresse für unsere Anwälte und Notare brauchten“. Der Förster aus dem Fernsehbeitrag sei entlassen worden. „Wir hatten ihn beim illegalen Holzeinschlag erwischt und haben Strafanzeige gestellt.“ Die rumänischen Finanzbehörden hätten alle Geschäfte ohne Beanstandungen geprüft.

HIT, das ist Lippmanns Lebenswerk. Und das des 61-jährigen Hilmer. Der Thüringer und der Niedersachse gründeten nach der Wende in der Nähe von Neuhaus am Rennweg einen Forstbetrieb. Durch Geschäfte mit einem sächsischen Waldbesitzer stieß Hilmer auf das Gelände in Torgau und erwarb es vom Land Sachsen. Fortan floss Million für Million in den Standort. Das Geld kam zunächst von regionalen Banken, der Freistaat Sachsen bürgte. Ein Sägewerk entstand, die Palettenproduktion wurde modernisiert , und ein betriebseigenes Heizkraftwerk machte aus dem Verbrennen von Rinde Strom, vergütet nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz.

2009 aber drohte das Ende. Einer der großen Kreditgeber, die Landesbank Sachsen, war untergegangen, andere Finanzhäuser zögerten, die Geldreserven schmolzen dahin, die Wirtschaftskrise tat ein Übriges. Bei 27 Banken und Leasingfirmen stand HIT in der Kreide, die Überschuldung drohte. Da kam Prokon.

Gegründet und angeführt von einem charismatischen Typen, der 1993 auf einem Acker in der Dithmarscher Geest seine ersten zwei Windkraftanlagen errichtete: Carsten Rodbertus. Seine Firma PROjekte und KONzepte, kurz: Prokon, spezialisierte sich auf Windparks. Rodbertus wetterte gegen Banken und umgab sich mit dem Image des ökologischen Visionärs. Der Mann mit dem Pferdeschwanz wurde zum Robin Hood der Energiebranche. Er zog alle Register der Werbung. Prokon schaltete sogar Spots kurz vor der Tagesschau. Vom Niedrigzins geplagte Deutsche sollten ihm letztendlich 1,5 Milliarden Euro zur Finanzierung von Windparks anvertrauen.

Darunter sind auch das Ehepaar Marlene und Gerhard Müller aus dem vogtländischen Plauen und Karl-Heinz Kunzendorf aus Friedersdorf im Landkreis Görlitz. Das Trio hockt in einer rustikal-böhmischen Kneipe in Freiberg auf einer Eckbank und erzählt über den Verein „Freunde von Prokon“. Mit Rodbertus haben die drei gebrochen. Zu enttäuscht sind sie von offensichtlich manipulierten Bilanzen. Aber an seine Idee von der ressourcenschonenden Energiegewinnung glauben sie noch immer. „Unser Verein“, sagt die 67-jährige Marlene Müller, „ist der derzeit am schnellsten wachsende in Deutschland.“ Zu einem Informationsabend des Vereins nahe der Autobahn vier in Siebenlehn kamen unlängst fast 150 Anleger aus Sachsen.

„Dass unsere Geldanlagen wirklich gefährdet sind, das haben wir erst im Januar wirklich begriffen“, sagt der 60 Jahre alte Karl-Heinz Kunzendorf. Damals bat Rodbertus seine Anleger, ihre Verträge nicht mehr zu kündigen, weil das der Prokon zu viel Liquidität entzöge. Doch zu wenige folgten dem Appell, große Medien hatten bereits begonnen, das Geschäftsmodell der Prokon kritisch zu hinterfragen.

Kunzendorf und das Ehepaar Müller aber ließen ihre Verträge weiterlaufen. „Wir wollen verhindern, dass Prokon zerschlagen wird. Dafür verzichten wir auch auf Rendite“, sagt Marlene Müller. HIT in Torgau kennen sie. „Da waren wir im Sommer 2012“, erinnert sich Kunzendorf. „Auf Einladung von Prokon.“ Es habe ein Mittagessen gegeben, eine Werksbesichtigung und Vorträge. „Wir dachten immer, HIT gehört der Prokon.“ Das haben viele gemutmaßt. Obwohl Prokon-Chef Rodbertus die Übernahme anstrebte, ist das nie geschehen. Lippmann begründet das mit einem „formal-juristisch viel zu hohen Aufwand“.

Der Firmenboss beginnt, beim Reden mit einem Kugelschreiber auf ein leeres Blatt zu kritzeln. Beim Thema Rodbertus hält er inne. Gemeinsam mit dem Prokon-Gründer und seinem Partner Hilmer ist Lippmann im Handelsregister immer noch als Geschäftsführer einer Thüringer Forstfirma eingetragen. „Ach die“, sagt er, „damit war mal die Gründung einer Gemeinschaftsfirma mit dem ukrainischen Staatsforst angedacht.“ Dazu sei es aber nie gekommen, die Firma werde nun gelöscht. Das Verhältnis zu Rodbertus sei menschlich immer noch sehr gut. „Er hat uns schließlich gerettet damals.“

Man habe sich zufällig kennengelernt, sagt Lippmann. „Prokon suchte nach Standorten für Windparks in Wäldern und untersuchte dabei auch unsere Flächen in Ostdeutschland.“ Rodbertus sei von HIT fasziniert gewesen, vor allem vom Heizkraftwerk auf Rohrindenbasis. Prokon zahlte 2010 sämtliche HIT-Schulden, gewährte dafür ein Darlehen. „Das war zwar mit einem hohen Zinssatz verbunden, aber ich hätte mich damals zur Rettung der Firma auch mit dem Teufel verbündet“, sagt Lippmann. Zumal das Darlehen bis Ende 2014 zins- und tilgungsfrei gestellt worden sei. Diese Aussage verwirrt, denn im Geschäftsbericht der Prokon für das Jahr 2012 heißt es, HIT habe an die Norddeutschen Zinserträge von 16 Millionen Euro gezahlt.

Lippmann hört wieder auf zu kritzeln, schiebt das Blatt Papier zur Seite. „Wir müssen die Zinsen erwirtschaften“, sagt er. „Die werden aber auf das Darlehen umgebucht, um die Liquidität zu schonen.“ Oder anders: Die 16 Millionen Euro fließen nicht wirklich, sondern erhöhen nur die Darlehensforderung der Prokon, die das aber als Ertrag ausweist. Der damalige Wirtschaftsprüfer schrieb, man sei „nach Ausschöpfung aller angemessenen Möglichkeiten“ nicht in der Lage gewesen, die Bilanz zu testieren. Der inzwischen eingesetzte Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin bezeichnete das Rechnungswesen bei Prokon als „ausgesprochen mangelhaft“.

Das scheint Lippmann nicht gewusst zu haben, er zeigt sich überrascht, wechselt schnell das Thema. Er blättert in einer Fachzeitschrift und weist auf einen Artikel hin, in dem über neue Produktionsstandards berichtet wird. „Alle Paletten müssen wärmebehandelt werden, um sie vor Insekten zu schützen“, sagt der Ex-Förster. „Das hat wieder neue Technik bedeutet, und auch das hätten wir ohne Prokon nicht geschafft.“ Ein größeres Heizwerk entsteht, ein computergesteuertes Sägewerk, eine neue Versandhalle. Letztendlich fließen 290 Millionen Euro vom Geld der Anleger nach Torgau. In offiziellen Dokumenten der Prokon ist von einer „idealen Ergänzung“ die Rede, von einer „festen Kooperation“.

Über HIT expandiert Prokon nach Rumänien. In einem vierseitigen Firmenporträt, das an den rumänischen Ministerpräsidenten Victor Ponta gerichtet ist, präsentiert sich Prokon fälschlicherweise als Gesellschafter der HIT. Es heißt, HIT plane den Kauf von bis zu 100 000 Hektar Wald „zum Aufbau eines modernen Palettenherstellungsbetriebs“. Ein Grundstück sei bereits gefunden, man möchte es kaufen. Insgesamt wolle man bis zu 600 Millionen Euro in Rumänien investieren. Das Papier trägt die Unterschrift von HIT-Geschäftsführer Hilmer. Datum und Anschrift fehlen jedoch, der Text auf der zweiten Seite ragt in den Firmenbriefkopf hinein. Während manche Anlegeranwälte in dem Schreiben einen Beleg für Kapitalanlagebetrug sehen, spricht Lippmann von einer Fälschung. HIT habe mit seinen Waldkäufen in Rumänien so manchen windigen Grundstücksvermittler angelockt, sagt er. Die hätten vor allem Provisionen gewollt, und da habe man den einen oder anderen abblitzen lassen. „Aus dieser Ecke kommt das Schreiben“, sagt Lippmann.

75 Millionen Euro flossen von Prokon über HIT in das osteuropäische Land. Die Torgauer sind inzwischen Eigentümer von mehr als 18 000 Hektar Wald in den Karpaten sowie an der Grenze zu Moldawien. „Tolle Wälder“, schwärmt Karlheinz Lippmann. Prokon-Berichten zufolge diente der Kauf der unabhängigen Versorgung von HIT. Im Prinzip sieht auch Lippmann das so, betont aber, der Transport von Rumänien nach Nordsachsen sei in der Regel zu teuer. Bislang habe man lediglich 2011 einige Güterzüge nach Torgau rollen lassen. Das Holz aus Rumänien werde vielmehr direkt vor Ort verkauft.

Am Ende des Tages steht Lippmann vor einem seiner Paletten-Türme. Gabelstapler surren, Radlader mit gartenhausgroßen Schaufeln wühlen sich in die Sägespänedünen und Rohrindenberge. Alles gehört Prokon. Der gesamte Betrieb dient dem 300-Millionen-Darlehen als Sicherheit. Prokon-Insolvenzverwalter Penzlin hat bereits angekündigt, alles verkaufen zu wollen, was nicht mit Windkraft zu tun hat. Ob sich ein Investor für Torgau findet, steht in den Sternen. Ebenso, ob ein neuer Eigentümer mit 600 Leuten weitermachen wird.

Lippmann weiß das. Er beteuert, man arbeite sehr gut mit Penzlin zusammen und sei in die Investorensuche eingebunden. „Wir werden das Problem zum Wohle der Region lösen“, sagt Lippmann. In diesem Moment klingt er wie ein Politiker.

Dann erzählt er lieber wieder von seinem Lebenswerk. Wird sogar ein wenig philosophisch. Jeder sei doch Konsument, sagt er. Und viele, sehr viele Waren würden auf Paletten angeliefert. „Das ist doch kaum einem bewusst, dass das ganze Leben aus Paletten besteht.“