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Die Russen fühlen sich wie eine verschmähte Geliebte

Lothar de Maizière über das deutsch-russische Verhältnis und Auswege aus der Ukraine-Krise

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© dpa

Herr de Maizière, die Tagung des deutsch-russischen Diskussionsforums „Petersburger Dialog“ findet in der kommenden Woche in bewegten Zeiten statt.

Es sollte in Leipzig eigentlich deutsch-russische Regierungskonsultationen geben. Wir wollten da wie immer parallel tagen. Der Termin wurde aber wegen der Krim-Krise abgesagt. Da haben wir gesagt, dass die zivilgesellschaftlichen Kontakte gerade dann von besonderer Wichtigkeit sind, wenn die Politiker nicht miteinander reden wollen.

Es ist ja nicht so, dass die Regierungen nicht miteinander reden würden. Angela Merkel telefoniert wahrscheinlich deutlich häufiger mit Wladimir Putin als in anderen Zeiten. Ist es richtig, dass man auf ein öffentliches, offizielles Treffen verzichtet?

Angela Merkel ist in die Brüsseler Disziplin eingebunden. Die Regierungschefs haben beschlossen, dass es derzeit keine offiziellen Treffen auf Regierungsebene geben soll. Man kann streiten, ob das klug ist. Ich persönlich bin der Meinung, dass man gerade in Krisenzeiten miteinander reden sollte. Ich bin allerdings als Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs nicht dazu da, den Regierenden Ratschläge zu geben.

Man will eben demonstrieren, dass man grundsätzlich anderer Meinung ist …

Ja, und das ist man tatsächlich. Ich war in der vergangenen Woche in Moskau. Und die Russen sind in ganz deutlicher Mehrheit der Meinung: Mit der Krim haben wir uns nur das genommen, was uns zusteht. Da gibt es auch gar kein Unrechtsbewusstsein.

Trägt Europa eine Mitverantwortung für die Krise?

Ja, ich glaube, dass die Krise nicht unwesentlich durch Europa mit herbeigeführt worden ist. Ich halte es für einen ganz schweren Fehler, dass EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso gefordert hat, die Ukraine müsse sich zwischen der EU und Russland entscheiden. Die Ukraine ist viel zu eng mit Russland verflochten. Da kann es nur ein Sowohl-als-auch geben.

Aber ist es nicht am Ende eine Entscheidung der Ukraine und ihrer Bürger, ob und mit wem sie ein Bündnis eingehen wollen? Das können Russland und die EU doch nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg entscheiden.

Das stimmt. Aber der EU muss auch an einem vernünftigen russisch-ukrainischen Verhältnis gelegen sein. Und sie muss die engen wirtschaftlichen Beziehungen berücksichtigen. Ohne die Triebwerksproduktion in Saporischschja bräche die Hälfte der russischen Flugzeugindustrie zusammen. Und wenn wir heute den Russen sagen, ihr dürft die rote Linie nicht überschreiten, indem ihr auch noch die Ost-Ukraine annektiert, dann antworten meine Gesprächspartner in Moskau, die andere rote Linie ist für uns die Nato in der Ukraine. Vielleicht ist die gegenseitige Anerkennung dieser roten Linien ja auch der Verständigungspunkt in diesem Konflikt.

In Umfragen und aus vielen Leserbriefen wird deutlich, dass viele Deutsche Russland und Putins Politik ein erstaunlich großes Verständnis entgegenbringen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Der franco-iberische und der angelsächsische Kulturraum hatten nie eine große Nähe zum slawischen Kulturraum. Deutschland hatte immer eine Brückenfunktion zwischen diesen Kulturräumen. Das Deutsche Reich hatte ja auch eine Ausdehnung bis weit in den slawischen Kulturraum hinein. Deutschland hat Russland kulturell und geistig geprägt. Die Petersburger Akademie wurde von Leibniz mitgegründet. Es gibt viele solcher Beispiele aus der Zeit Peters des Großen und danach.

Und das setzt sich in die Gegenwart fort.

Ja. Es hat 20 Jahre erfolgreiche Versuche gegeben, die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zu verbessern – nicht zuletzt durch den Petersburger Dialog. Und die deutsche Wirtschaft hat sich stärker als die der anderen EU-Länder und der USA mit Investitionen in Russland engagiert. Es gibt eine Form der gegenseitigen Bewunderung. Deswegen fühlen sich die Russen jetzt auch wie eine verschmähte Geliebte. Auf deutscher Seite gibt es Schuldgefühle wegen des Krieges. Und in der DDR waren die Beziehungen zu Russland wohl oder übel sehr eng. Viele Tausend DDR-Bürger haben in der Sowjetunion studiert. Da gibt es Verbindungen, die über die staatlichen Verbindungen hinausgingen. Das darf man nicht leichtfertig infrage stellen.

Kommt Angela Merkel als Repräsentantin dieser zwiespältigen Nähe eine besondere Rolle zu?

Ja. Nicht nur, weil sie perfekt Russisch spricht. Sie ist von Barack Obama auch in diese Rolle gedrängt oder geschoben worden. Und sie sollte keine Angst haben, jetzt zu sehr als Ossi zu erscheinen, weil sie angeblich eine zu große Russlandnähe zeigt. In dieser schwierigen Situation kann ihr eigentlich nur Wladimir Putin helfen.

Ausgerechnet?

Ja, indem er nicht das tut, was alle befürchten.

Was wäre dafür denn die Voraussetzung?

Die Russen haben Verhandlungen mit der gegenwärtigen ukrainischen Übergangsregierung abgelehnt. Sie verlangen zumindest eine Rückkehr zu den Festlegungen vom 21. Februar – das heißt beispielsweise: Entwaffnung der Leute, die sich jetzt plötzlich „Nationalgarde“ nennen, Rückkehr zur Verfassung von 2004, Ausschluss von Parteien, die erkennbaren faschistischen Hintergrund haben. Auf den Boden dieser Vereinbarungen müsste sich auch die deutsche Politik stellen.

Aber kann das mit Wladimir Putin funktionieren?

Die Ostverträge sind von Willy Brandt, Walter Scheel und Egon Bahr mit Leonid Breschnew ausgehandelt worden. Sie haben die Geschichte des 20. Jahrhunderts positiv beeinflusst. Man muss eben reden mit dem, der da ist. In der Politik kann man sich seine Gesprächspartner nicht aussuchen.

Das Gespräch führte Sven Siebert.