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Deutschlands ältester Jugendclub zeigt seine Schätze

Über 300 Jahre alt sind die Ausstellungsstücke, die jetzt in Bischofswerda gezeigt werden. Der erste Schritt zu einem Stadtmuseum?

Von Ingolf Reinsch
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Eberhard Lehnert zeigt das Prunkstück der neuen Ausstellung – den Großen Willkommen aus dem Jahr 1658. An den Fahnenstangen rechts neben ihm wurden historische Stocknägel befestigt.
Eberhard Lehnert zeigt das Prunkstück der neuen Ausstellung – den Großen Willkommen aus dem Jahr 1658. An den Fahnenstangen rechts neben ihm wurden historische Stocknägel befestigt. © Steffen Unger

Bischofswerda. Der Carl-Lohse-Galerie in Bischofswerda wird ein dritter Baustein hinzugefügt. Nachdem im „Bischofssitz“ zuerst die sanierten Räume für die Sonderausstellungen und danach die dem Namengeber gewidmete Dauererausstellung eröffnet wurden, kommt am 8. September eine Dauerausstellung über die vor gut 400 gegründete Bischofswerdaer Junggesellenfraternität hinzu. Die vom Museums- und Geschichtsverein gestaltete Exposition wurde in einer Nische der Galerie untergebracht. Dank dem neuen, behindertengerechten Zugang über die Straße Am Hof sieht jeder Besucher der Galerie zuerst diese Exponate, die, salopp gesagt, an Deutschlands ältesten Jugendclub erinnern.

Es sind nur wenige Quadratmeter. Doch die haben es in sich. In einer Vitrine wird ein Teil des Zinn- und Silberschatzes der Fraternität gezeigt. Blickfang ist der Große Willkommen aus dem Jahr 1658 – ein reich verzierter Pokal, der es bis ins Londoner Auktionshaus Sothebys schaffte und dort vor Jahren von der Stadt ersteigert wurde, um dieses Zeugnis der Stadtgeschichte den Bischofswerdaern zu erhalten. Knipst man das Licht in der Vitrine an, dreht sich der repräsentative Krug, so dass man ihn von allen Seiten betrachten kann.

Historischen Tisch gekauft

Der Große Willkommen war in früheren Ausstellungen bereits zu sehen, ebenso wie die schwere Strafkanne der Gemeinschaft, die der Delinquent nur mit seinen Zähnen anheben durfte. Erstmals öffentlich zu sehen ist dagegen der silberne Damen-Willkommen aus dem Jahr 1920 – eine Leigabe des Bischofswerdaers Jörg Weise, erläutert Eberhard Lehnert, der Vorsitzendes des Museums- und Geschichtsvereins. Neben dem Zinn- und Silberschatz werden unter anderem Fotos, Dokumente, Stocknägel präsentiert. Und Frack und Zylinder des Mitgliedes der Fraternität Johannes Schneider. Unterstützt durch die Stadt Bischofswerda und Sponsoren, kaufte der Verein die hochwertige Vitrine sowie als Dekoration einen historischen Tisch und einen Stuhl, um die Exponate angemessen präsentieren zu können.

Die im Jahr 1618 gegründete Bruderschaft (Fraternität – vom lateinischen Wort „frater“: Bruder abgeleitet) vereinte junge Handwerkergesellen der Stadt Bischofswerda. Es galten strenge Regeln für eine gottgefällige Lebensführung und Disziplin, denen mit Strafen Nachdruck verliehen wurde. Es war eine große Ehre, der Fraternität anzugehören. Sie bestand bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, mehr als 320 Jahre. Als die jungen Männer eingezogen wurden, ruhte die Vereinstätigkeit. Nach dem Krieg wollte man sie wieder aufleben lassen. Doch dazu kam es nicht. Die Junggesellenfraternität hätte unter dem Dach der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ihre Traditionen weiterführen können. Doch das wollte ihre Mitglieder, die die Vereinigung stets als unpolitisch ansahen, nicht.

Die neue Ausstellung kann nur einen Bruchteil des Erbes der Fraternität zeigen. Mit Ausnahme des Großen Willkommens sollen Exponate deshalb immer wieder ausgetauscht werden, sagt Eberhard Lehnert. Zwei Senioren der Fraternität, Johann Hantsch und Friedrich August Löwenhang, ist es zu danken, dass viele Stücke erhalten geblieben sind. Sie brachten den Zinnschatz, Bücher und andere Unterlagen am Kriegsende 1945 in Sicherheit.

Die jungen Gesellen trugen diese Anstecker. Jürgen Engemann stellt dieses Exponat zur Verfügung.
Die jungen Gesellen trugen diese Anstecker. Jürgen Engemann stellt dieses Exponat zur Verfügung. © Steffen Unger

Für die 44 Mitglieder des Museums- und Geschichtsvereins, die sich seit Anfang der 90er Jahre für ein neues Stadtmuseum in Bischofswerda stark machen, ist die neue Dauerausstellung ein wichtiger erster Schritt. Er sei darüber sehr froh, sagt Eberhard Lehnert. Er sagt aber auch, dass er und andere Vereinsmitglieder sich mehr Ausstellungsfläche gewünscht hätten. Der Verein besitzt einen reichen Fundus, darunter die Nachlässe der Künstler Paul Kegel und Jens Hackel sowie Holzschnitte von Hellmuth Muntschick. Auch das und noch viel mehr würde man gern ausstellen. Schon 1992 hatte der Architekt Rudolf Franck Pläne für ein Stadtmuseum vorgelegt. Einstweilen behilft sich der Verein mit der Gestaltung der Schaufenster des ehemaligen „Traum-Palais“ an der Kirchstraße, um einen Teil des Museumsgutes zu zeigen.

Der Bischofssitz, in dem nie ein Bischof residierte, gehört einer Erbengemeinschaft. Die Stadt ist seit den frühen 90er Jahren Mieter. Zum Jahresende 2020 läuft der Mietvertrag für die Galerie und die Bibliothek aus. Wird die Stadt ihn verlängern? Oberbürgermeister Holm Große (parteilos) sieht diese Frage im Zusammenhang mit einer anderen Entwicklung. Gegenüber der SZ sagte er: „Wichtig für die Erhaltung des Kulturhauses sind zuallererst die Sicherung durch die Untere Denkmalschutzbehörde und die Akquisition von Fördermitteln für dessen Entwicklung. An beidem arbeiten wir mit Hochdruck.

Im Zuge der nachfolgenden Findung eines Partners für ein Modell der Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP) und der Verhandlungen mit diesem werden dann die künftigen städtischen Nutzungen für den Verwaltungsteil festgelegt. Dies bedarf der Diskussion der Gebäudekonzeption und einer Beschlussfassung im Stadtrat.“ Die Galerie soll mit Blick auf diese Zeitschiene der Entwicklung des Kulturhauses nach dem 31. Dezember 2020 zunächst im Bischofssitz bleiben, dazu stehe die Stadtverwaltung mit der Erbengemeinschaft Thünker im Gespräch. Eine endgültige Entscheidung werde – in Abhängigkeit von den konkreten räumlichen Möglichkeiten im Kulturhaus und mit Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit und damit verbundenen Kosten für den städtischen Haushalt – „so zügig wie möglich im Kontext mit dem ÖPP-Modell für das Kulturhaus durch den Stadtrat getroffen“, sagte Oberbürgermeister Holm Große.

Die Ausstellung wird am 8. September 13 Uhr feierlich eröffnet. Der Männerchor Großdrebnitz singt dazu Handwerkerlieder aus der Zeit der Junggesellen.

Der Damen-Willkommen, eine Leihgabe von Jörg Weise, wird erstmals öffentlich gezeigt.
Der Damen-Willkommen, eine Leihgabe von Jörg Weise, wird erstmals öffentlich gezeigt. © Steffen Unger