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Die Stärken der Jugend

Bei „Komm auf Tour“ finden Schüler heraus, welche Berufe ihnen besonders liegen. Aber auch Lehrer lernen etwas dazu.

Von Gunnar Klehm
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Milema und Annelie müssen an der Station „Sturmfreie Bude“ herausfinden, warum keine Musik aus den Boxen kommt, und das Problem gemeinsam lösen.
Milema und Annelie müssen an der Station „Sturmfreie Bude“ herausfinden, warum keine Musik aus den Boxen kommt, und das Problem gemeinsam lösen. © Karl-Ludwig Oberthür

Gerade haben die Achtklässler noch rumgealbert und gekichert. Wie bekommt man bloß diesen Blumenkasten wieder an die Balkonbrüstung? Welches Kabel muss in welche Buchse der Musikanlage? Wie schraubt man einen neuen Siphon an einen Spültisch? Es sind kleine Aufgaben des Alltags, die gemeistert werden wollen. Dabei legen die einen mehr, die anderen weniger Geschick an den Tag. Jetzt wird es stiller. Der „Love-Channel“ geht auf Sendung, die Teenager reden sehr ernsthaft über Liebe. Die erwachsenen „Reisebegleiter“ greifen kaum ein.

Etwa 70 Schüler des Weißeritzgymnasiums und des Glück-Auf-Gymnasiums am Standort Altenberg begeben sich auf eine kleine Reise zu sich selbst. Dazu ist auf der Freifläche des Freitaler Freizeitzentrums Hains drei Tage lang ein Parcours mit fünf Stationen aufgebaut. Hier sollen die Heranwachsenden ihre Stärken erkennen, etwas fürs Leben lernen und für den beruflichen Weg. „Komm auf Tour“ heißt die Veranstaltung und bietet nicht nur Schülern Orientierung, sondern auch Lehrern und Unternehmern – wenn sie denn wollen.

Finanziert wird das zur Hälfte von der Arbeitsagentur, zudem beteiligen sich unter anderem der Landkreis, die Stadt Freital, eine Handvoll Sponsoren und zahlreiche soziale Institutionen und Vereine.

Teenager erkennen Stärken

Milema möchte Schauspielerin werden, wie sie sagt. Nun ist die Achtklässlerin gespannt, ob dieser Berufswunsch überhaupt zu ihren Stärken passt. An Station 1, dem Labyrinth, ist Teamwork gefragt. Ein „Lahmer“ muss einen „Blinden“ führen. Wie sucht man sich Orientierungspunkte? „Das muss alles gelernt werden, sich Partner zu suchen und zu vertrauen“, sagt Manuel Oswald von der Kommunikationsagentur Sinus, die den Parcours entwickelt hat und damit durch Deutschland zieht. Die „Reisebegleiter“ der Schüler im Parcours haben im normalen Alltag unterschiedliche Berufe. „Es sind Sozialarbeiter dabei, Mitarbeiter von Beratungsstellen, Handwerker und Personaler“, sagt Manuela Sprechert, Leiterin der Wirtschaftsförderung im Landratsamt. Die Reisebegleiter beobachten und kleben den Jugendlichen jede Menge Punkte auf die Kleidung, je nachdem, welche Stärke sie in der Interaktion erleben.

An Station 2, der „Sturmfreien Bude“, muss Milema mit ihrer Freundin Annelie eine Musikanlage wieder in Gang bringen. Es ist die Nachstellung einer verwüsteten Wohnung, die nach einer wilden Party in Ordnung gebracht werden muss. Gemeinsam lösen sie alle Probleme. An Station 3 wird im „Zeittunnel“ in die Zukunft gereist, wenn man sich schon für einen Beruf entschieden hat. Wer diese Entscheidung trifft, ist den Jugendlichen klar: „Wir selbst!“. Doch welche Konsequenzen hat die Entscheidung? Kann man in der Zukunft eine Finca und einen Ferrari haben, wenn man als Krankenpfleger arbeitet? Der geschlossene Raum in einer großen Röhre sorgt für eine intime Gesprächsatmosphäre. Plötzlich spielt auch Plan B eine Rolle, wenn es mit dem Traumjob doch nichts wird. An Station 4 geht es auf die Bühne. In Gruppen sollen die Jungen und Mädchen improvisieren, zum Thema „Der große Moment“. Wird es einer für Milema? Sie macht ihre Sache gut. Die Theaterpädagogin hebt auch mutige Aktionen der Nebendarsteller hervor. Fast unbemerkt bekommen die Schüler ihre Stärken-Aufkleber wie individuelle Stempel aufgedrückt.

Klappe zu. Dann sitzen die Schüler abgeschirmt im „Zeittunnel“.
Klappe zu. Dann sitzen die Schüler abgeschirmt im „Zeittunnel“. © Karl-Ludwig Oberthür

Zur Auswertung an Station 5 kommen alle in einem Kreis zusammen und nehmen ihre Aufkleber ab. Als sie sie auf einen Karton drücken, sehen sie, welche Stärken überwiegen und in welchen Berufen sie besonders nützlich sind. Bei einer Schauspielerin sollten die Aufkleber fürs Gestalten und Kreativsein nicht fehlen. Milema freut sich, dass sie drei davon bekommen hat. Fürs Helfen und Unterstützen bekam sie aber noch einen Aufkleber mehr. Vielleicht wird das ja Plan B, wenn es mit der Schauspielkarriere doch nichts werden sollte.

Lehrer bekommen Orientierung

Lehrerin Ina Thielemann hat von den Aktionen ihrer Schüler zwar nicht viel mitbekommen, ist aber trotzdem begeistert von der Veranstaltung. Für die Lehrer oder anderen Interessierten gab es parallel zum Parcours Gespräche mit Mitarbeitern von Beratungsstellen aus der Lebensplanung und Berufsorientierung. „Die möchte ich unbedingt mal an unsere Schule holen. Davon müssen noch viel mehr Kollegen erfahren“, sagt Thielemann. Das sei für jeden hilfreich, der Kindern und Jugendlichen Orientierung geben will. In jeder Region gibt es dabei andere Schwerpunkte. Da können die Schulen vorab Wünsche äußern. „Deshalb ging bei uns der Lehrer-Service hauptsächlich um die Themen Mobbing, Transsexualität, Drogen und Demokratieförderung“, sagt Sprechert.

Für jede gezeigte Stärke sammeln die Teenager spezielle Aufkleber.
Für jede gezeigte Stärke sammeln die Teenager spezielle Aufkleber. © Karl-Ludwig Oberthür

Unternehmen geben Hilfestellung

Auch Ingo Haase hat sich als „Reisebegleiter“ gemeldet. „Es ist schon toll, zu erleben, wie die Jugendlichen mitziehen und welche Gedanken sie sich machen“, sagt der Inhaber eines Freitaler Malereibetriebs. Er will die Chance nutzen, auf die Vorzüge des Handwerks hinzuweisen. „Wir müssen ja etwas tun, damit der Nachwuchs bei der Stange bleibt“, sagt er. Anderen Unternehmern könne er nur raten, aktiv zu sein und sich an solchen Projekten zu beteiligen.

Nachhaltige Zusammenarbeit

Die Möglichkeiten dazu gibt es. „Im kommenden Jahr ist geplant, den Parcours im Pirnaer Raum anzubieten. Das wird vermutlich im ersten Quartal der Fall sein. Die Nachfrage der Schulen war ja enorm“, sagt Sprechert. Sinus entwickelt das Angebot immer weiter und hält inzwischen vier Parcours im Angebot, die deutschlandweit gefragt sind. In Freital ging es aber auch darum, eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Beratungsstellen, Schulen und Wirtschaft im Landkreis zu initiieren.

Sieben Stärken

Meine Zahlen: Wer gern mit Zahlen und Geld umgeht, für den könnte es beruflich passen mit: verkaufen, kaufen, beraten; Handwerk, Technik, verwalten, schreiben, PC, essen, trinken;

Meine Hände: Wer gern mit Kraft und Geschick arbeitet: Handwerk, Technik, zeichnen, gestalten, essen, trinken, anbauen, züchten, ernten;

Meine Dienste: Wer gern Menschen hilft und unterstützt, wäre für diese beruflichen Tätigkeiten geeignet: pflegen, betreuen, helfen, essen, trinken;

Meine Ordnung: Wer gern organisiert und Ordnung macht, ist hier gut aufgehoben: verwalten, schreiben, PC;

Mein tierisch grüner Daumen: Wer gern mit Pflanzen und Tieren umgeht und sich in der Natur wohlfühlt, sollte diese beruflichen Tätigkeiten wählen: anbauen, züchten, ernten;

Meine Fantasie: Wer Spaß am Gestalten und Kreativsein hat, sollte sich hier orientieren: zeichnen, gestalten, essen, trinken, anbauen, züchten, ernten;

Mein Reden: Wer gern redet, aber auch zuhört und berät, sollte: verkaufen, kaufen, beraten, pflegen, betreuen, helfen, verwalten, schreiben, PC;

Quelle: Sinus – Büro für Kommunikation

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