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Döbelnerin häkelt Höfgener Fährhaus ein

Brigitte Müller hat als Fährfrau Ausflügler über die Mulde gebracht. Jetzt hat sie Stake gegen Wolle getauscht.

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Von Jens Hoyer

Die Döbelnerin Brigitte Müller ist 40 Kilometer stromab eine lokale Berühmtheit. Sie hat mehr als 30 Jahre lang als Fährfrau in Höfgen bei Grimma die Ausflügler über die Mulde geschippert. An absoluten Spitzenzeiten wie zu Pfingsten bis zu 1000 am Tag, 20 000 im Jahr, erzählt sie. Maximal 25, 30 Leute passten auf den Kahn, der durch Muskelkraft und die Strömung angetrieben zwischen den Ufern der Mulde pendelte. Eine schwere Arbeit, vom Morgen bis zum Abend.

© picture-alliance/ ZB

Bis zum Jahr 2000 hatte sie im Fährhaus gewohnt, vor zehn Jahren ist die Fährfrau schließlich nach Döbeln gezogen – ihre Tochter wohnt hier. Von Höfgen kann die 75-Jährige trotzdem nicht lassen. Nachts um 3 Uhr sei ihr eine Idee gekommen: „Ich umhäkle das Fährhaus.“ Sie hatte das Bild eines umhäkelten Panzers in der Zeitung gesehen. Der Eigentümer fand die Idee auch gut und gab einen Teil der Wolle dazu. „Meine Kinder haben mich für verrückt erklärt. Aber ich brauche so was“, meint sie lachend. Und sie lacht wirklich gern.

Was die ehemalige Fährfrau sich da zugemutet hat, lässt sich in Kilogramm ausdrücken. Etwa einen Zentner Wolle hat sie zu 100 000 Maschen verhäkelt. Und das in Rekordzeit. Am 15. März vorigen Jahres hat sie begonnen, kurz vor Weihnachten war sie fertig. „Ich habe Tag und Nacht gehäkelt, zu Hause und auch in meinem Garten in Neugreußnig“, sagt sie.

In ihrer Wohnung auf dem Leipziger Berg hängen ein paar großformatige bunte Eulen an der Wand. Auf einem gehäkelten Netz, das das Fährhaus von vier Seiten umhüllen wird, ist ein Rettungsring zu sehen – natürlich auch gehäckelt. Masche um Masche hat sie Fische und Anker, einen großen Blumenstrauß, auch einen Eisbrecher und ein Segelschiff entstehen lassen. Und weil sie schon mal am Arbeiten war, hat sie gleich mit 70 Topflappen in Eulenform weitergemacht, die sie an ihrer alten Wirkungsstätte in Höfgen verkaufen will. Am 6. Juni ist der große Tag, den sie das „Eulenfest“ nennt. Dann verschwindet das Fährhaus für drei oder vier Monate hinter acht Meter langen Strickarbeiten – nur das Dach schaut noch heraus.

Seit 1968 war das Höfgener Fährhaus ihr Lebensmittelpunkt. Damals beendete sie ihre unglückliche Ehe schlagartig. Sie verließ mit sechs Kindern und den Habseligkeiten auf einem Handwagen ihren Ehemann, erzählt sie. Sie zog im Fährhaus bei Josef Müller ein. Eine große Familie im kleinen Haus. Ein Leben ohne viel Komfort, ein Bad gab es nicht. „Wir mussten das Wasser an der Pumpe holen.“

20 Jahre lang schipperten die beiden im Nebenerwerb die Leute abwechselnd über den Fluss, bis Josef Müller 1988 starb. Sie lebten vom Fluss und auch mit dem Fluss. Bei Hochwasser kam die Mulde öfter mal an die Schwelle. 1974 stand sie einen Meter hoch im Haus. Die Familie zog drei Tage aus, die Tiere hatten sie auf dem Oberboden untergebracht. „Die Gänse freuten sich, als wir zurückkamen“, erzählt Brigitte Müller. Tiere hatte sie immer. Gänse und Puten, Hühner, Ziegen, Schweine.

Mit ihrer Arbeit als Fährfrau war Brigitte Müller schon zu DDR-Zeiten bekannt geworden. Der Filmemacher Karl Faber drehte 1982 den Film „In der Strömung“ über ihr Leben am Fluss. Ein nachdenklicher und trauriger Film, wie sie findet. Der Fotograf Helfried Strauß habe sie „entdeckt“. Immer wieder war der spätere Professor für Fotografie von Leipzig nach Höfgen gekommen. Anfang der 90er Jahre ist ein Buch aus den Bildern entstanden – es erzählt Geschichten aus dem alltäglichen Leben der Fährleute. Das war hart, aber schön, meint die Fährfrau. Sie erinnert sich, wie die Leute auf der anderen Seite standen und „Fährfrau hol’ über“ riefen. Sie erinnert sich an freundliche und unfreundliche Passagiere und dass sie ihnen etwas bieten musste, um ein paar Mark Trinkgeld zusätzlich zu verdienen – denn mit einem Preis von 20 Pfennigen für Erwachsene und zehn für Kinder war nicht viel Staat zu machen. Brigitte Müller erzählt gern Geschichten. Wie sie ins Wasser sprang, um ihre Lämmer zu retten, die vor Hunden in die Mulde geflüchtet waren. Die Passagiere mussten so lange im Kahn ausharren. Brigitte Müller hatte auch das erste Fährmannstreffen organisiert. In diesem Jahr ist es das 26. und mittlerweile eine gesamtdeutsche Angelegenheit. „Da kommen bis zu 100 Fährleute hin.“