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Drei Wochen Ungewissheit

Verzweifelt suchte ein Mann aus Nünchritz nach seiner vermissten Frau. Dass sie längst in einer Leipziger Klinik starb, erfuhr er erst aus einem Brief.

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Von Eric Weser und Jens Ostrowski

Er hat für sie gehofft, um sie gebangt. Drei Wochen lang suchte Karl-Heinz Rolle nach seiner Frau. Seitdem die 61-Jährige am 28. März die gemeinsame Wohnung in Nünchritz verlassen hatte, fehlte von ihr jede Spur. Der Ehemann meldete sie bei der Polizei als vermisst, die Ermittler lösten eine Fahndung aus.

Ende März starb Gabriele Rolle im Leipziger Uniklinikum. Wer vergaß, das mitzuteilen? Fotos: dpa, privat
Ende März starb Gabriele Rolle im Leipziger Uniklinikum. Wer vergaß, das mitzuteilen? Fotos: dpa, privat

Als Gabriele Rolle verschwindet, ist ihr Mann nicht zu Hause, sondern 600 Kilometer weit entfernt zu Besuch bei seinem Sohn Nils. „Wir haben täglich miteinander telefoniert“, sagt er. Ein letztes Mal am Vormittag des 27. März, dann bricht der Kontakt ab. Zwei Tage vergehen, bis Karl-Heinz Rolle unruhig wird. „Am 30. März haben wir entschieden, dass mein Schwiegervater in der Wohnung nachsehen soll“, sagt Rolle. Noch am gleichen Tag geht die Vermisstenanzeige raus. Später ziehen Familie und Polizei auch die Öffentlichkeit zurate. Seitdem ist bekannt, dass die 61-jährige Nünchritzerin Gabriele Rolle – 1,65 Meter groß, schlank, unterwegs in einem silbergrauen Mercedes mit Riesaer Kennzeichen – vermisst wird. Auf die Suchanzeige hin meldet sich niemand. Trotzdem gibt es für Familie Rolle am 16. April einen Hoffnungsschimmer. Von der Polizei erfahren sie, dass der Mercedes in Leipzig gefunden worden ist – wenn auch ohne Fahrerin. Ihr Mann kann den Wagen einen Tag später bei einem Abschleppdienst abholen.

Der 17. April, sagt Karl-Heinz Rolle, ist ein „tragischer Tag“. Zu Hause in Nünchritz findet er im Briefkasten ein Schreiben vom Ordnungsamt Leipzig. Es ist die Todesnachricht. Bereits am Tag ihres Verschwindens ist Gabriele bei einem Einkaufsbummel in Leipzig zusammengebrochen. Eine innere Blutung ließ ihr Herz aussetzen. Alle Reanimierungsversuche in der Notaufnahme waren vergebens.

Der Anlass des Briefes ist aber nicht etwa diese traurige Mitteilung. Die Stadt bittet vielmehr, Karl-Heinz Rolle möge den Nachlass der Verstorbenen abholen.

Die Familie versteht die Welt nicht mehr. „Wie kann es sein, dass wir erst nach drei Wochen vom Tod meiner Mutter erfahren? – und dann noch vom Leipziger Ordnungsamt, anstatt von der Klinik? Zumal sie ja alles dabei hatte: Schlüssel, Geldkarten, Ausweis“, sagt Sohn Nils Rolle. Das versteht auch Helena Reinhardt, Sprecherin der Uniklinik Leipzig, nicht so ganz: „Nachdem die Patientin trotz intensiver Reanimationsversuche in unserer Notaufnahme verstorben ist, wurde am selben Tag ein sogenannter Arztbrief verfasst und an den Ehemann Karl-Heinz Rolle per Post versendet.“ Gleichzeitig sei dem zuständigen Standesamt – in diesem Fall Leipzig als Sterbeort – der Totenschein übermittelt worden. Ob der dort angekommen ist, konnte die Stadt Leipzig auf Nachfrage gestern nicht mitteilen.

Bei Karl-Heinz Rolle jedenfalls ist kein Schreiben eingegangen. Darüber ist er wütend und fordert auch nachträglich noch sofortige Aufklärung des Sachverhalts vom Klinikum. „Sie können sich nicht vorstellen, was einem in diesen drei Wochen alles durch den Kopf gegangen ist. Welche Szenarien man sich ausmalt, was mit dem Partner geschehen sein könnte. Das war eine sagenhafte grausame Erfahrung. Ich möchte wissen, wer dafür verantwortlich ist.“ Doch davor hat er Wichtigeres zu tun. Er muss seine Ehefrau zu Grabe tragen.