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Dresden statt Rio

Marvin Schwäbe hätte auch als Ringer Karriere machen können, doch jetzt steht er bei Dynamo im Tor.

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© Robert Michael

Von Sven Geisler

Dabei sein ist eben manchmal doch nicht alles. Marvin Schwäbe könnte bald in Rio sein, vielleicht sogar im Finale stehen – im legendären Maracanã. Immerhin gehörte der Torwart zum vorläufigen Aufgebot der deutschen Fußballauswahl und ehrlich gesagt: „Wollen würde jeder.“ Trotzdem verzichtete er auf Olympia, um erst einmal bei Dynamo in Dresden anzukommen. „Natürlich wäre es ein schönes Erlebnis gewesen“, meint der 21-Jährige, „aber mit dem Wechsel habe ich entschieden, lieber hierzubleiben.“

Schwäbe, ausgeliehen von 1899 Hoffenheim, war es wichtiger, bei seinem neuen Verein den Konkurrenzkampf um die Nummer eins für sich zu entscheiden. Das hat er geschafft, sich gegen Patrick Wiegers durchgesetzt – oder, was für ihn noch besser passt: durchgerungen. Denn Schwäbe ist, wie er selber sagt, auf der Matte aufgewachsen. Opa und Onkel waren Ringer, sein fünf Jahre älterer Bruder Kevin auch. „Wenn er Training hatte, bin ich als Steppke mit auf der Matte rumgetollt.“

Während Kevin 2011 deutscher Meister im Halbschwergewicht wurde und einige internationale Einsätze hatte, feierte Marvin seinen größten Erfolg als Mannschaftsmeister mit der Jugend des KSV Hösbach. Fußball, meint er, habe ihm ein bisschen mehr Spaß gemacht. Deshalb fiel es ihm nicht schwer, sich mit seinem Wechsel vom hessischen SC Hassia Dieburg in den Nachwuchs von Kickers Offenbach für eine Sportart zu entscheiden. Von seinen Erfahrungen beim Ringen profitiert er, denn: „Es geht nicht nur ums Raufen, um den Kraftakt, sondern den strategischen Angriff, den passenden Trick, die richtige Technik.“

Gutes Stichwort. Seine technischen Fähigkeiten geben schließlich den Ausschlag, dass er bei Dynamo den Vorzug erhält. Wie frech er mit dem Ball umgehen kann, ist in einem Internet-Video zu bestaunen. In einem U20-Länderspiel schiebt er dem heranstürmenden Polen die Kugel durch die Beine. Eine coole Aktion, über die auch Schwäbe lächelt, obwohl sie so nicht geplant war. „Es war in erster Linie eine schlechte Ballannahme von mir, plötzlich stand er vor mir, und ich habe ihm den Ball durch den Tunnel gesteckt.“

Geordneter Spielaufbau gefordert

Derart auf die Spitze treiben will der Torhüter das Mitspielen besser nicht noch mal. Es reicht, wenn er seine fußballerischen Qualitäten in einem sicheren Passspiel zeigt. Damit passt Schwäbe nämlich – wie sein Vorgänger Janis Blaswich, der nach Mönchengladbach zurück musste – ins Konzept von Uwe Neuhaus. Der Trainer setzt auf einen geordneten Spielaufbau von hinten raus. Jeder Ball, der zum Mitspieler kommt, muss nicht zurückerobert werden, stattdessen der Gegner mehr laufen.

Ein Torwart sollte längst mehr sein als ein Ballfänger mit starken Reflexen und guter Strafraumbeherrschung. Bei Eintracht Frankfurt, wo Schwäbe schon als Jugendlicher mit Altmeister Oka Nikolov und Supertalent Kevin Trapp trainiert hat, lag ein Schwerpunkt darin, die Kugel mit beiden Füßen zielsicher von A nach B zu bringen. In Hoffenheim wurde das für Schwäbe dann noch wichtiger. Mit den 1899ern wurde er 2014 deutscher Juniorenmeister, bei der U20-WM ein Jahr darauf in Neuseeland stand er für die deutsche Auswahl zwischen den Pfosten, zu der damals auch Dynamos Marvin Stefaniak gehörte.

Als Schwäbe zu den Profis aufrückte, musste er einen Umweg einschlagen, der ihn vorige Saison zum VfL Osnabrück führte. Dort bekam er die Spielpraxis, die ein Torwart braucht, um Sicherheit zu erlangen. Er hielt 16-mal zu null, wurde zum besten Torhüter der 3. Liga und Niedersachsens Fußballer des Jahres gewählt. Das Fachmagazin Kicker schlussfolgerte, Hoffenheim werde ihn zurückholen.

Die Option hätte es gegeben, allerdings erschien sie Schwäbe weniger lukrativ als das Angebot von Dynamo, was in diesem Fall tatsächlich keine finanziellen Gründe hatte. Er wollte lieber die Nummer eins in der zweiten Liga werden als Nummer zwei in der ersten Liga sein. „Das muss man natürlich abwägen“, sagt er, „aber für die Entwicklung als Torwart ist es nicht gut, auf der Bank zu sitzen.“ Und Stammkeeper Oliver Baumann in Hoffenheim zu verdrängen, erschien ihm illusorisch. „Es wäre schon sehr selbstbewusst, vielleicht sogar naiv zu sagen: Ich komme an ihm vorbei.“

Dagegen hat er in Dresden von vorn-
herein eine große Chance gesehen, auch wenn ihm niemand eine Einsatzgarantie gegeben habe. „Es geht um die Leistung, man muss dem Trainer zeigen, was man kann – und hoffen, dass es reicht.“ Für Schwäbe hat es gereicht, vor allem dank seiner Ballfertigkeit. Die Grundlagen dafür hat er von klein auf gelegt, und theoretisch könnte er am Montagabend im Spiel gegen Union Berlin sogar den verletzten Abwehrchef Giuliano Modica ersetzen.

Weil Schwäbe nämlich schon als kleiner Junge größer als andere war, wurde er zunächst als Verteidiger hinten reingestellt: An ihm kommt keiner vorbei. Allerdings war er „damals nicht so der Läufer“, wie er zugibt. So fügte es sich gut, dass mit dem Wechsel aufs Großfeld der Torwart zu klein erschien und er einspringen sollte. „Das hat zum Glück gut geklappt, von da an ging mein Weg stetig nach oben.“

Nächste Zwischenstation: Dynamo. Für eine Saison hat ihn Hoffenheim verborgt, aber die Zeit spiele für ihn keine Rolle, betont Schwäbe. „Ich denke nicht ans nächste Jahr, sondern ans nächste Spiel“, meint er. „Das hört sich blöd an, ist aber nun mal so.“ Deshalb ist er in Dresden schnell vom Hotel in eine Wohnung gezogen, hat Freundin Michelle – sie beginnt ein Fernstudium in Medien und Kommunikation – und die französische Bulldogge Miles nachgeholt und mit den Mitspielern die Stadt erkundet.

Und viel schöner kann es doch in Rio auch nicht sein, oder?