Von David Berndt
Johannes Killer musste schon zweimal hinschauen. Denn im ersten Moment konnte der 28-Jährige nicht glauben, was er beim Blick aus dem dritten Stock des Hülsse-Baus sah – oder besser nicht sah. Sein Fahrrad, einfach weg. Gestohlen. Auf dem Campus der TU Dresden. Am helllichten Tag. „Mein Rad ist das Wertvollste, was ich habe“, sagt Killer. „Ich bin damit jeden Tag unterwegs.“ Rund 8.000 Menschen arbeiten und 37.000 studieren hier. Ein Großteil von ihnen ist mit dem Rad unterwegs. Laut der Dresdner Polizei ist der Campus neben Krankenhäusern oder Bahnhöfen einer der Schwerpunkte des Fahrraddiebstahls. 2013 wurden über 5.500 Fahrräder in Dresden gestohlen. Das sind rund 1.500 mehr als noch im Vorjahr. Zehn Prozent der Fälle konnte die Polizei 2013 aufklären.
Am 22. April wollte Johannes Killer in die Uni, um an seiner Master-Arbeit zu arbeiten. „Ich vermute, der oder die Diebe haben den Eingang gezielt ausgespäht“, sagt Killer. Er kam kurz vor Vorlesungsbeginn am Hülsse-Bau in der Helmholtzstraße an. Diebe hätten theoretisch 90 Minuten Zeit. Doch so lange hat es gar nicht gedauert. Als Johannes Killer beim Gang auf die Toilette aus dem Fenster schaut, war sein Rad bereits weg. „Von meinem 60-Euro-Schloss hätte ich etwas mehr erwartet, aber offenbar war es für die Diebe relativ leicht.“
Mehr erwartet hätte Johannes Killer auch von der Dresdner Polizei. Doch von der ist er enttäuscht. „Alles hat so lange gedauert. Unter meiner Kontaktnummer oder auf dem Revier habe ich niemanden erreicht.“ Natürlich hatte Johannes Killer Anzeige erstattet. Bei seinem ersten Anruf sagte ihm die Polizei, dass er sich ruhig Zeit lassen kann. Daraufhin hat er die Anzeige online erstattet, weil das angeblich schneller geht. Sein Fahrrad hat er aber letztlich auf eigene Faust gefunden.
Dabei hatte er allerdings Hilfe. Nach dem Diebstahl verteilt Johannes Killer Aushänge an der Uni. Mit einem Bild und verschiedenen Angaben seines Fahrrads. Es ist ein Mountainbike. Nichts Besonderes sagt Killer, aber noch relativ neu. Den entscheidenden Hinweis bekommt er daraufhin von Thorsten van Lil, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter am Institut für Strömungsmechanik. Denn ihm und seinem Kollegen David Pusch ist dasselbe passiert – Lil im Sommer 2013 und Pusch vor knapp zwei Monaten. Beide Räder hat Thorsten van Lil auf der tschechischen Internetseite www.bazos.cz wiedergefunden – angeboten zum Verkauf. Beide haben, wie Johannes Killer, Anzeige bei der Polizei erstattet, mit ihrem Wissen um die Internetseite.
Die Dresdner Polizei hatte jeweils mitgeteilt, Amtshilfe bei den tschechischen Kollegen anzufordern. Im Fall von Thorsten van Lil wurden die Ermittlungen ein halbes Jahr nach dem Diebstahl eingestellt, „weil der Täter bisher nicht ermittelt werden konnte“, heißt es in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Dresden. Im Fall von David Pusch laufen die Ermittlungen noch. Dass es so schwer ist, den oder die Täter zu ermitteln, können sie nicht nachvollziehen. Die Verkäufer ihrer Fahrräder hatten mehrere Angebote gleichzeitig online. Die Räder waren vor demselben Hintergrund fotografiert. Zudem gab es immer dieselben Angaben für die Kontaktaufnahme: Name, Telefonnummer, Ort.
Auf Anfrage der SZ sagt Polizeisprecher Thomas Geithner: „Uns sind bisher vier Fälle bekannt, bei denen es Hinweise auf die genannte Internetplattform gibt.“ Laut Geithner wurde oder wird in allen Fällen mit der tschechischen Polizei kooperiert. In einem Fall handelte es sich nicht um das gestohlene Fahrrad, wie der Abgleich der Rahmennummer ergab. Im zweiten Fall war das Angebot nicht mehr online. Fall Nummer Drei wird noch bearbeitet und im Vierten hat der Betroffene sein Rad wieder.
Ob es sich dabei um Johannes Killer handelt, ist unklar. Sein Fahrrad wurde zwar von der tschechischen Polizei sichergestellt, steht aber noch dort zur Abholung bereit. Der 28-Jährige hat sich jedenfalls nicht auf die Dresdner Polizei verlassen, sondern selbst die Initiative ergriffen. „Ich habe einfach die tschechische Freundin meines Cousins um Hilfe gebeten“, sagt er. Sie hat für ihn ein Schreiben an die tschechische Polizei übersetzt. Zusammen mit der Anzeige bei der Dresdner Polizei haben sie das zu ihrem Opa nach Tschechien geschickt, der ganz in der Nähe des Verkäufers wohnt.
Stellvertretend für Johannes Killer hat er Anzeige bei der örtlichen Polizei erstattet. Die Beamten haben sein Fahrrad unter Vortäuschung von Kaufinteresse sichergestellt. „Ich habe einen Anruf von einer tschechischen Polizistin bekommen und kann mir das Fahrrad nun abholen“, sagt Johannes Killer.
Als der Student jetzt bei der Dresdner Polizei gefragt hat, ob sein Rad auf Dienstebene von Tschechien nach Deutschland geschickt werden könne, hatten die Beamten nur eine Frage: Warum Johannes Killer zusätzlich zur Anzeige in Dresden auch noch eine in Tschechien gestellt hat. Schließlich sei das doch gar nicht notwendig.