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Lieber die Erfahrung mit Gott als eine Million Euro

Oliver Page hat bei Dynamo kaum gespielt. Trotzdem war das eine Jahr in Dresden prägend für sein weiteres Leben.

Von Sven Geisler
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Im Sommer 1991 kam Oliver Page aus Leverkusen zu Dynamo. Seit September arbeitet der studierte Theologe als Nachwuchsleiter in Oberhausen.
Im Sommer 1991 kam Oliver Page aus Leverkusen zu Dynamo. Seit September arbeitet der studierte Theologe als Nachwuchsleiter in Oberhausen. © H. Bahn

Es war ein ziemliches Gezerre, ehe sich die beiden Vereine einigten. Dabei gingt es nicht etwa um einen Stammspieler, sondern um einen 19 Jahre jungen Mann, der außer seinem Talent nicht allzu viel mitbringen konnte. Für Bayer Leverkusen hatte er sechsmal in der Bundesliga gespielt, gegen Bayern München ein Tor geschossen. Weil sein Wechsel zu Dynamo Dresden im Juni 1991 für Schlagzeilen sorgte, wurde von Oliver Page viel erwartet, möglicherweise zu viel. Schließlich war der Bundesliga-Neuling bereit, für ihn 400.000 Mark Ablöse zu bezahlen; damals eine stattliche Summe.

Page ging es vor allem um die Chance, in einer Mannschaft, die wahrscheinlich gegen den Abstieg kämpft, als großer und kräftiger Verteidiger öfter spielen zu können. Daraus wurde jedoch nichts. In seiner Statistik stehen genau drei Bundesliga-Einsätze, einer für 14 Minuten, zweimal wurde er kurz vor Schluss eingewechselt. „Wir haben alle drei Spiele gewonnen“, sagt Page heute und lacht darüber.

Damals war ihm dazu weniger zumute. „Eine Trainingseinheit war symptomatisch für das Jahr“, erzählt er. „Wir haben Eckbälle geübt. Ich war in der B-Mannschaft, wir haben verteidigt. Gefühlt habe ich jeden Ball rausgeköpft.“ Trainer Helmut Schulte habe ihn zur Seite genommen und gesagt: Oliver, du gehst mal raus! „Ich habe also das Training gestört, weil ich meine Aufgabe als Verteidiger ernst genommen habe. Das war schon eine skurrile Situation und schwierig, damit umzugehen.“

Hilfe findet er im Bibelkreis „Sportler ruft Sportler“, der sich nach der Wende auch in Dresden gefunden hat. Dort traf er Stefan Schulz, bis heute verbindet Page eine freundschaftliche Beziehung mit ihm. „Wir waren zwischen acht und zwölf Leuten, die sich regelmäßig getroffen und darüber gesprochen haben, wie es uns geht, was uns bedrückt“, sagt Schulz. „Wir haben in der Bibel gelesen, sie für uns interpretiert und gemeinsam gebetet.“ Schulz stammt aus Neubelgern, einem Sechs-Häuser-Ort zwischen Bautzen und Görlitz. Erst als er zur Schule ging, bekam er mit, „dass es Menschen gibt, die sonntags nicht in die Kirche gehen“.

Mit seiner Größe fiel er auf, kam als Ruderer an die Kinder- und Jugendsportschule nach Dresden, sein größter Erfolg war der Weltmeistertitel im Vierer mit Steuermann 1990 in Australien: Deutschland Ost vor Deutschland West. Obwohl er erst 24 war, beendete Schulz mit der Einheit seine Sportkarriere, wurde Bauingenieur und ist heute im Brückenbau tätig. Den Bibelkreis gab es noch bis 2003/04. Für den Profi-Fußballer Page war dieser Austausch wichtig, um in der neuen Umgebung Halt zu finden. Der Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen ist klassisch katholisch erzogen worden, hatte sich vorher aber nicht so intensiv mit dem Glauben beschäftigt.

Der Glaube hilft bei Tiefschlägen

In Leverkusen hatte er zum ersten Mal etwas von der Initiative „Sportler ruft Sportler“ gehört, der Brasilianer Jorginho und der heutige Bayer-Cheftrainer Heiko Herrlich sind hingegangen. Page war ab und zu dabei, „aber noch nicht so auf dem Weg“, wie er sagt. Erst in Dresden schließt er sich der Gruppe an. „In dieser Zeit habe ich für mich verstanden, wer Jesus Christus ist, dass man eine Beziehung zu ihm haben kann.“ Es war ihm trotzdem nicht egal, wie enttäuschend es sportlich für ihn lief, aber er konnte besser damit umgehen. „Was drumherum passiert, kann einen dann nicht mehr runterziehen, weil man weiß: Gott hat einen Plan für dich.“

Schulz bestärkt ihn darin. „Das kann man niemandem einimpfen, auch nicht seinen Kindern anerziehen“, erklärt er. „Der Glaube ist etwas, was man wollen muss.“ Für Page kam in Dresden noch etwas hinzu, was ihn verstört hat. Er wurde gewarnt, bestimmte Orte zu betreten – wegen seiner Hautfarbe. „Mir wurde gesagt, ich müsse abends schon aufpassen, solle besser nicht in die Disko gehen“, erzählt der heute 47-Jährige. Rassistische Anfeindungen gab es vereinzelt.

Als Dynamo zu Hause gegen Wattenscheid spielte, saß er auf der Bank und hörte, wie ein Großteil der Zuschauer Affenlaute nachmachte. Die galten nicht ihm, sondern Samy Sané, was es nicht besser macht. Der Senegalese, Vater von Nationalspieler Leroy Sané, stürmte für Wattenscheid. „Ich glaube, dass mich Schulte damals als Reaktion auf die verunglimpfenden Geräusche eingewechselt hat. Von da an war Ruhe“, meint Page.

Er hat Dresden nach einem Jahr verlassen, möchte die Station dennoch nicht missen. „Ich habe keine negativen Emotionen, im Gegenteil. In dieser Zeit habe ich zu meinem Glauben gefunden, das ist unbezahlbar. Wenn mich jemand fragt, ob ich tauschen will, eine Million Euro gegen diese Erfahrung mit Gott, würde ich antworten: Behalte die Million! Mein Glaube ist das Fundament für mein Leben.“ Der Fußball spielt darin nach wie vor eine wichtige Rolle, obwohl er seine Karriere früh abgebrochen hat, um erst in England und dann in Deutschland Theologie zu studieren. Er war als Prediger tätig, hat den Christlichen Sportverein Stuttgart mit aufgebaut.

Vor allem war er als Entwicklungshelfer in Sachen Fußball unterwegs, hat in Kenia eine Fußballschule für Waisen und benachteiligte Kinder entwickelt. „Dort habe ich nur einmal nach dem Training gefragt, was es jetzt zu Hause Leckeres zu essen gibt. In den Augen habe ich gesehen, dass es nichts geben wird“, erzählt Page. Er ist verheiratet, Vater von drei Mädchen und zwei Jungen im Alter von drei bis 13 Jahren. „Heimat ist für mich, wo die Familie ist.“ Deshalb waren die Kinder bei seinen Stationen in Ägypten und Kenia dabei. Darüber hinaus betreute er im Auftrag des Olympischen Sportbundes, des Fußballverbandes sowie des Auswärtigen Amtes mehrere Projekte in Afrika und Asien.

Talente fördern als neue Passion

Jetzt sind sie in Herdorf im Westerwald zu Hause. Page hat nach dem Studium in einer Gemeinde gearbeitet, aber: „Die Türen, die sich öffneten, führten immer zum Sport. Dort ist offenbar mein Platz.“ Seit September ist er sportlicher Leiter im Nachwuchsleistungszentrum in Oberhausen. Talente zu fördern, war schon auf seinen vorherigen Stationen – unter anderem drei Jahre beim 1. FC Köln – seine Passion.

Auch in der Arbeit setzt er auf die christliche Ethik, seinen Nächsten zu lieben, betont Page. In Konflikt mit dem Leistungsprinzip gerate er dabei nicht. „Die Herausforderung ist, den Spielern den Unterschied zu vermitteln: Wir mögen sie als Mensch unabhängig von ihrer Leistung, müssen aber ihre Leistung bewerten.“ Er selbst kennt es, wenn man das Gefühl hat, man kann machen, was man will – es wird nicht anerkannt. Er hat im Glauben seinen Weg gefunden, auch wenn sich seine Hoffnungen bei Dynamo einst nicht erfüllt haben. „Ohne diese Erfahrung wäre mein Leben nicht so stabil“, sagt Oliver Page.