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Dynamos Pechvogel

Krankenbesuch bei Marco Hartmann: Er will weiter so spielen wie bisher – auch auf die Gefahr hin, dass es wieder wehtut.

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© Robert Michael

Von Sven Geisler

Still oder Sprudel? Das Wasser holt Marco Hartmann selbst aus der Küche. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, empfindet der Fußball-Profi von Dynamo Dresden als riesige Erleichterung. Noch vor ein paar Tagen musste er sich bedienen lassen, konnte sich nur auf Krücken bewegen. „So einen dicken Fuß hatte ich noch nie“, meint er. Im Heimspiel gegen Preußen Münster hatte er sich das linke Sprunggelenk lädiert: doppelter Außenbandriss.

Beim Krankenbesuch sitzt der 26-Jährige im Weltmeister-T-Shirt auf der Couch, legt den Fuß hoch und bettet ihn weich auf einer Decke. Schonung ist angesagt, besonders in den ersten Tagen war die Langeweile kaum zu ertragen. „Es gibt zwar ein paar Hundert Fernsehsender, aber da kommt doch nur Pfeffer.“ Bis die Schwellung vollständig abgeklungen ist, beschränkt sich sein Aktionsradius auf Magnetresonanz-Therapie, Lymphdrainage und Stabilisationsübungen. Als höchste Belastung gestattet ihm Physiotherapeut Tobias Lange eine halbe Stunde auf dem Handergometer – aber nur im regenerativen Puls.

Für einen wie Hartmann, der auf dem Platz bis zum Umfallen rackert, ist diese Ruhe keine Erholung. „Ich kenne das ja leider, verfalle nicht in eine Riesentrauer und rede erst einmal fünf Tage mit niemandem“, sagt er. Seit der Mittelfeldspieler vorigen Sommer aus Halle nach Dresden kam, kann man beinahe auf seine nächste Verletzung wetten; jedenfalls ist er immer wieder ausgefallen, wenn er gerade mit starken Leistungen Hoffnungen geweckt hatte. So auch diesmal. „Natürlich fragt man: Warum denn immer ich?“

„Ja, genau da muss ich so hingehen“

Die Antwort sucht er nicht bei einem höheren Wesen, sondern führt es auf seine Spielweise zurück. „Ich führe viele Zweikämpfe, oft mit hohem Risiko. Deshalb erwischt es mich vielleicht häufiger.“ So wie in dem folgenschweren Duell mit dem Münsteraner Marcus Piossek, als er mit einem langen Schritt den Fuß vor den Ball stellt und umknickt. Im Mittelfeld bei einer 3:0-Führung; manche halten seinen vollen Einsatz in dieser Situation für übertrieben, gar unnötig. Hartmann sieht das völlig anders. „Ja, genau da muss ich so hingehen, denn wenn ich das nicht mache, kann ich mir nächstes Jahr einen Verein in der Regional- oder Oberliga suchen.“

Der Gymnasiallehrer für Mathe und Sport kennt seine Stärken, mit denen er sich in der Mannschaft wie bei den Fans großen Respekt verdient hat. Sie skandieren beim Pokaltriumph gegen Schalke mehrmals seinen Namen, obwohl er wie sie zum Zuschauen gezwungen ist. „Ich weiß nicht, ob der Pullover ein bisschen zu dünn war, jedenfalls habe ich die ganze Zeit gezittert“, erzählt Hartmann, der sich über die Sympathiebekundungen „riesig gefreut“ hat. Dass Denis Erdmann sein Trikot mit auf den Rasen trägt und ihn die Kollegen hinterher hochwerfen, macht den langen Blonden stolz. „Als ich mich bei Denis bedanken wollte, war ich so bewegt, dass mir die Sprache weggeblieben ist.“

Als „Eckpfeiler“ bezeichnet ihn Stefan Böger, und der Trainer betont: „Nicht nur aufgrund seiner Fähigkeiten auf dem Platz, sondern als Persönlichkeit innerhalb unserer Mannschaft.“ Hartmann hofft, so schnell wie möglich etwas zurückgeben zu können. An den Kalender hat er schon mal geguckt. „Ich weiß, wann wir gegen Halle spielen.“ Das wäre in einem Monat, wahrscheinlich zu früh. Es gibt keinen Zeitplan für sein Comeback. „Ich weiß, dass ich kein halbes Jahr ausfalle, aber auch nicht nächste Woche schon ins Training einsteigen kann. Das ist die Tendenz.“ Wenn die Mannschaft trainiert, absolviert er die Reha im Stadion, genießt den Kontakt und die gute Laune in der Kabine.

Die ihm zugedachte Rolle als Führungsspieler will er auch mit dickem Fuß wahrnehmen. „Wenn wir es schaffen, diese positive Grundstimmung zu halten, macht Fußball Spaß und fällt Vieles leichter“, sagt Hartmann, und er erinnert: „Vorige Saison erlebten wir genau das Gegenteil, steckten fest in der negativen Grundstimmung.“ Die Vergangenheit hat er abgehakt. „Ich frage nicht mehr, was hätte sein können.“ An die Zukunft denkt er noch nicht, obwohl sein Vertrag nach dieser Saison ausläuft. „Ich fühle mich superwohl in Dresden. Mehr muss ich dazu nicht sagen, oder?“

Ein Problem gäbe es dabei: Seine Freundin Julia schreibt gerade ihre Abschlussarbeit. Ihr Referendariat als künftige Gymnasiallehrerin für Deutsch und Biologie würde sie gern dort machen, wo er ist. „Was ich auch gut finde.“ Aber in Sachsen müsste sie sich schon jetzt bewerben, bis Anfang Dezember ihr Zeugnis einreichen. „Bis dahin hat sie noch keins“, sagt Marco. Weil sie in Halle/Sachsen-Anhalt studiert, bekommt sie es erst im Februar. Also würde sie, wenn er hierbleibt, ein Jahr in der Luft hängen. Verrückte Bildungswelt.

Für Hartmann aber geht es zuerst darum, fit zu werden und dann endlich gesund zu bleiben. Seinen Spielstil will er dafür auf keinen Fall ändern. „Wann ist der Moment, in dem ein Zweikampf sinnlos ist? Das kann ich nicht unterscheiden, will ich auch nicht.“ Also hält er seine Knochen rein, wann immer er die Chance sieht, den Ball zu erobern. „Ich hatte in meiner Karriere lange Phasen, in denen ich mit der gleichen Art zu spielen gut durchgekommen bin. Dass mir jetzt in kurzer Zeit so viel passiert ist, schiebe ich aufs Pech.“ Und wenn es stimmt, dass der Tüchtige Glück hat, muss das zu Hartmann zurückkehren.