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Eierschecke nach Vaters Rezept

Der Bäckermeister Jürgen Otte hat am Waldschlößchen harte Zeiten hinter sich. Die Anwohner haben ihn nie im Stich gelassen.

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© Steffen Füssel

Von Peter Hilbert

Katrin Seifert sitzt im Café an der Ecke Radeberger/Waldschlößchenstraße, genießt den ersten Löffel ihrer Eierschecke. „Einfach himmlisch“, sagt die 45-Jährige, die gleich nebenan auf der Fischhausstraße wohnt. Fast täglich kommt sie ins Geschäft von Bäckermeister Jürgen Otte. Der bäckt die Eierschecke noch nach dem traditionellen Rezept seines Vaters, der früher Betriebsleiter in der Konditorei Müller auf der Kesselsdorfer Straße war. „Sie ist kompakter und nicht so luftig, dafür aber saftiger und geschmackvoller“, nennt er die Besonderheit. Der Nachteil sei jedoch, dass sie beim Anschneiden durchaus rissig werden kann. Katrin Seifert schmeckt aber nicht nur die Eierschecke, sondern auch Ottes Eis. „Meine drei Jungs tragen hier in der Ecke Zeitungen aus“, berichtet die Anwohnerin. „Immer danach gibt es zur Belohnung eine Kugel Eis.“ Die Anwohnerin wertet es als Glücksfall, dass Otte hier vor zehn Jahren seine Bäckerei eröffnete.

Im Frühjahr 2009 wurde die gewaltige Baugrube direkt vor Jürgen Ottes Bäckerei immer tiefer. Auf der Waldschlößchenstraße errichteten die Bauleute den Waldschlößchentunnel.
Im Frühjahr 2009 wurde die gewaltige Baugrube direkt vor Jürgen Ottes Bäckerei immer tiefer. Auf der Waldschlößchenstraße errichteten die Bauleute den Waldschlößchentunnel. © Hans-Joachim Kummert

Doch bis es dazu kam, hatte der heute 55-Jährige in vielen Städten und Ländern gebacken. Er stammt aus Dittersdorf bei Glashütte. In der Bäckerei seines Vaters hatte er Konditor gelernt, sich später noch zum Bäckermeister qualifiziert. Doch lange hielt es den jungen Fachmann nicht in der Heimat. 1986 kehrte Otte der DDR den Rücken und ging ins niedersächsische Hildesheim. „Nach der Wende bin ich aber wieder zurückgekommen. Ich half meinem Bruder, der die Bäckerei unseres Vaters übernommen hatte“, sagt er.

Es zog ihn aber wieder in die Ferne. Otte arbeitete zwei Jahre in der Türkei, richtete für die Supermarktkette Real Bäckerei-Filialen ein. Die nächste Station war Zypern. „Dort hatte ich mit einem Bauern eine Bäckerei eröffnet, in der ich zwei Jahre arbeitete“, erläutert er. 2001 landete der Bäcker im hessischen Rüsselsheim, wo Otte seine heutige Frau heiratete, mit der er heute zwei Kinder hat. „Dort habe ich den Entschluss gefasst, mich selbstständig zu machen. Ich wollte wieder in die Heimat, wo ich die Menschen kenne.“ Ein Anruf bei der Dresdner Bäckerinnung folgte. Die konnte ihm 2003 seine erste Bäckerei auf der Halleschen Straße in Pieschen vermitteln. Ein Jahr später übernahm der Bäckermeister drei frei gewordene Filialen, darunter die auf der Waldschlößchenstraße. „Schnell hatten wir viele Stammkunden, die meistens zu Fuß gekommen sind“, sagtJürgen Otte.

Doch der Bau der Waldschlößchenbrücke mit dem Tunnel direkt vor seiner Bäckerei nahte. Der Bäcker befürchtete das Schlimmste. Denn er hörte, dass auch der Fußweg gesperrt werden soll. „Ich hatte schon vorsorglich meinen Mietvertrag gekündigt, falls nichts mehr geht.“ 2009 wurde die Waldschlößchenstraße aufgerissen und eine 22 Meter breite Baugrube ausgehoben. „Ich war heilfroh, dass der Fußweg geblieben ist und die Kunden weiter kamen. Da dachte ich: Noch schlimmer kann es nicht werden“, berichtet er. Die Stadt gab die neu ausgebaute Straße Ende 2010 wieder frei. Fast drei Jahre später wurde die Brückeneröffnung für Otte zu dem großen Ereignis. 190 000 Besucher kamen zum Brückenfest, viele davon auch zu ihm. „Am 24. und 25. August hatte ich täglich fast 24 Stunden gearbeitet“, so der Bäcker. „Nachts um eins musste ich sogar noch Eis machen. Meine Verkäuferin hatte danach Muskelkater im Arm.“

Auch wenn die Waldschlößchenbrücke umstritten war, Bäckermeister Otte sieht sie als „Dresdens zweite Frauenkirche“. „Jeder, der hierher kommt, kennt sie“, ist er sich gewiss. „Ich finde die Waldschlößchenbrücke genial.“ Deshalb hat es sich der Brückenbäcker nicht nehmen lassen, zu ihrem ersten Jubiläum eine riesige Buttercreme-Marzipan-Torte zu backen. Beim kleinen SZ-Brückenfest hatten sie die Besucher kürzlich binnen einer knappen halben Stunde aufgegessen. Doch der Alltag begann gleich in der folgenden Nacht. Ab halb eins stand Otte wie fast an jedem Tag wieder in seiner Backstube.

In unserer nächsten Folge stellen wir Torsten Eckert vom Hellerauer Marktbäcker vor.