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Ein bisschen Hafenkino

Das Lausitzer Seenland soll zu einer einmaligen Urlauberattraktion werden. Es gibt kühne Pläne und große Hoffnungen. Vieles ist schon passiert. Aber es wird schwer und länger dauern.

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© momentphoto.de/bonss

Von Thomas Schade (Text) und Ronald Bonß (Foto)

Die Zukunft von Geierswalde hat exakte Koordinaten: 51 Grad, 29 Minuten, 30 Sekunden nördlicher Breite und 14 Grad, sechs Minuten, 59 Sekunden östlicher Länge. Für alle sichtbar künden die Zahlen von der Position des rot-weißen Leuchtturms auf der Böschung des ehemaligen Tagebaus Koschen. Aus dem Restloch ist ein stattlicher See geworden. Auf der Wasserfläche von fast 650 Hektar verläuft die Grenze zwischen Sachsen und Brandenburg. Dennoch brennt kein Feuer auf dem Leuchtturm, er hat keine nautische Bedeutung.

Ein Signal soll er allemal aussenden: Hier am Geierswalder See wird eine Vision wahr, die Vision vom Lausitzer Seenland – wenigstens ein Stück weit.

Auf der Terrasse am Fuße des Leuchtturmes schrauben und werkeln noch die Handwerker. Dennoch öffnete das Restaurant über Ostern schon mal probeweise. „Die Leute kamen in Scharen“, sagt Karl-Heinz Radochla zufrieden. Der 70-Jährige ist einer der Visionäre dieser Region. Er kommt aus der Braunkohle, lenkte viele Jahre als Bürgermeister die Geschicke der Gemeinde und hält bis heute den Förderverein zusammen, in dem der Gedanke von der Wasserwelt Geierswalde geboren wurde. Schon zu DDR-Zeiten, so erzählt er, lag ein Plan im Gemeindeamt, der dem Ort eine touristische Zukunft verheißen sollte mit Bungalowhotel, Strandeinrichtungen Bootsverleih – nach dem Vorbild des benachbarten Senftenberger Sees. „Natürlich wusste auch die LMBV, was hier passiert, wenn der Bergbau endet“, sagt Radochla.

Der bundeseigene Tagebau-Sanierungsbetrieb LMBV sprach schon in den 90er-Jahren von einer Seenkette, die entstehen würde. 2001, zur 600-Jahr-Feier des Ortes, hatte Radochla den Behörden eine Sondergenehmigung abgeluchst: Die Geierswalder durften erstmals ein Boot im neuen See zu Wasser lassen. 2002 hätten sie dann in Senftenberg zusammengesessen und die Vision vom Tourismus im Seenland entwickelt. „Nachdem die Vision vom Karl-May-Land gescheitert war, wollten wir das Unmögliche versuchen und eine durch Kanäle verbundene Wasserlandschaft schaffen.“

Zwischen Großräschen und Hoyerswerda entsteht mit der Flutung von 23 Tagebaurestlöchern eine mehr als 14.000 Hektar große Wasserlandschaft – teilweise verbunden durch schiffbare Kanäle. Das angeblich europaweit einmalige Projekt bietet verlockende touristische Perspektiven. Für den Bergbausanierungsbetrieb LMBV ist es jedoch in erster Linie eine technische Herausforderung und ein geologischer Großversuch. Und für dessen Gelingen gibt es bisher keine Garantien.

Erst recht nicht seit dem 18. Juli 2009, als im anhaltinischen Nachterstedt ein 350 Meter breiter Landstreifen in den Concordiasee rutschte und ein zweistöckiges Doppelhaus im See versank. Drei Menschen wurden dabei verschüttet. Sie sind bis heute verschollen. Ein Jahr später kam es zu ähnlichen, aber weniger dramatischen Erscheinungen in der Lausitz. Seither betrachten Fachleute die Sanierung der Tagebaue und den großflächigen Wiederanstieg des Grundwassers in den Sanierungsgebieten mit anderen Augen. „Wir gehen mit größerer Demut an diese Aufgabe“, sagt Uwe Steinhuber von der LMBV. Ein neues Sicherheitsdenken habe eingesetzt. „Wir prüfen jetzt doppelt, damit nicht wieder Menschen gefährdet werden.“

Allein in der Lausitz förderten Bergleute über Jahrzehnte mehr als 2,5 Milliarden Tonnen Kohle und bewegten Milliarden Kubikmeter Abraum. Zurück blieb eine ausgekohlte Kraterlandschaft aus Kippen und Halden. Daraus modelliert der Staatsbetrieb LMBV seit 20 Jahren eine Bergbaufolgelandschaft. Dort wo der Bergbau beendet ist, steigt gleichzeitig das Grundwasser wieder an. Mit riesigem Aufwand werden Böschungen verdichtet und Wassermassen in die Restlöcher geleitet. Über 8,5 Milliarden Euro haben der Bund und die Bergbau-Länder bisher in diese beispiellose Aufgabe investiert.

Fast am Ende angekommen, hinterfragen nun Fachleute die gigantische Sanierung kritisch. Denn Kippen und Böschungen fließen und setzen sich selbst nach Jahren noch immer. So werden neue Technologien erprobt und angewendet, um die riesigen Erdmassen standsicher zu machen, wie die Fachleute sagen. Der LMBV-Sprecher bestätigt: Die Bewältigung der Bergbaufolgen werde „in dem einen oder anderen Fall länger dauern“. So sperren die Behörden dieser Tage noch einmal den Knappensee, eines der ältesten Tagebaurestlöcher in der Lausitz.

Obwohl der Grundwasseranstieg hier seit vielen Jahren abgeschlossen ist, braucht die LMBV noch einmal bis zu acht Jahre für eine Nachsanierung. Über Generationen galt der Knappensee neben dem Senftenberger See als Vorbild für die touristische Erschließung von Tagebau-Folgelandschaften. Jetzt werden Datschensiedlungen entvölkert, Angler- und Wassersportvereine müssen weichen, der Tourismus am Knappensee kommt weitgehend zum Erliegen. Ein Schlag für zahlreiche Gewerbetreibende und den Ort Groß Särchen.

Die Karte der Sperrgebiete, die von der LMBV regelmäßig aktualisiert wird, zeichnet auch für das übrige Lausitzer Seenland ein dramatisches Bild. Bis auf den Bärwalder See im Südostzipfel und den Dreiweiberner See bei Lohsa sind fast alle Tagebaurestlöcher von Sperrungen betroffen. Dennoch könnten die meisten Radwege genutzt werden, sagt LMBV-Sprecher Steinhuber.

Tatsächlich finden vor allem Radler und Skater ausgezeichnete Bedingungen. Eine 180 Kilometer lange Seenlandroute verbinde schon jetzt 16 Seen miteinander, sagt Kathrin Winkler, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Lausitzer Seenland. Sie schwärmt vom Potenzial, das die Region habe, weiß aber auch, dass die touristische Erschließung davon abhängt, wie die Sanierung der Restlöcher vorankommt.

Karl-Heinz Radochla sitzt zwischen Topfpalmen auf der Terrasse von Klaus Renners uriger Beachbar, lauscht karibischer Musik und schaut über den Geierswalder See. „Das war lange mein Lieblingsplatz“, sagt er. Renner war einer der Ersten hier. Er wechselte mit seiner Surf- und Segelschule vom Senftenberger See hierher. Radochla half ihm, Fuß zu fassen. Jetzt sitzt der 70-Jährige am liebsten am Leuchtturm, wegen des „Hafenkinos“, wie er sagt. Dort ist im Sommer schon jetzt „richtig Bootsverkehr“. Von Renners Beachbar aus sieht Karl-Heinz Radochla bis heute aber ebenso die Grenzen seiner Vision. Denn auch an seinem See beginnt hinter Renners Bar das Sperrgebiet. Auch der fertige Barbarakanal ist derzeit nicht passierbar.

Dort beobachtet vor allem Bootsführerin Marianne Löwa aufmerksam den Gang der Dinge. Sie soll die Vision vom Schiffsverkehr im Seenland retten, nachdem auf eine europaweite Ausschreibung kein Reeder reagiert und auch der Bootsführer vom Bärwalder See dankend abgelehnt hat. Die zierliche 31-Jährige mit den tätowierten Armen hat die Reederei von Rolf Bothen auf dem Senftenberger See übernommen. Doch dessen Motorschiff, die „Santa Barbara“, ist zu groß für die Kanäle des Seenlandes. Als die Wasserstraßen gebaut wurden, habe keiner mit ihm gesprochen, sagt Bothen. Nun lässt seine Nachfolgerin ein neues Schiff bauen. Wenn alles klappt, wird es 2015 fertig und im Senftenberger See zu Wasser gelassen.

Frühestens dann fällt der Startschuss für die Seenland-Schifffahrt, und Marianne Löwa kann zum ersten Mal hinüber nach Geierswalde tuckern – durch den Koschener Kanal, dem Schmuckstück des brandenburgischen Schleusenbaus. Das edle Wasserbauwerk leitet die Schwarze Elster in einem eleganten Bogen über den Kanal.

Als die Ministerpräsidenten aus Dresden und Potsdam im vergangenen Jahr zur feierlichen Inbetriebnahme anreisten, war die heftige Kostenexplosion für den Bau des Überleiters 12, wie die Bergleute den Kanal nennen, vergessen. Dem Land Brandenburg war das Vorzeigeobjekt letztlich 51,4 Millionen Euro wert. Der Landesrechnungshof las der Regierung dafür die Leviten, denn anfänglich waren Kosten von lediglich 6,5 Millionen Euro im Gespräch.

Zudem musste das Schlüsselprojekt zur Erhöhung der Attraktivität des Seenlandes schon nach dem ersten Winter gesperrt werden. Bei geschlossenen Schleusentoren zeigte sich das Wasser plötzlich eisenockerfarbig. Schwarzseher malten bereits Katastrophenszenarien wie im Spreewald. Nun bleiben die Schleusentore immer etwas offen. Wie viel rostiges Wasser auf diese Weise in den Senftenberger See fließt, ist noch unklar. Aber in der brandenburgischen Landespolitik gewinnen einige bereits den Eindruck, dass der Senftenberger See möglicherweise zu früh in das Seenland eingebunden wurde. „Es wäre doch fatal, wenn dadurch das Ökosystem unseres Seen und eine fast vollständig entwickelte touristische Region gefährdet würde“, sagt der Linkenpolitiker Rüdiger Hoffmann.

Doch sächsisch-brandenburgische Animositäten will Karl-Heinz Radochla gar nicht erst aufkommen lassen. „Unser See liegt nun mal etwas höher, aber unser Wasser ist sauber“, sagt er. Das Problem sei hausgemacht. Das Wasser würde rosten, wenn es im Kanal steht, da trete das Eisensulfit aus der Erde.

Klettert der Besucher die 162 Stufen hinauf zur Plattform des rostigen Nagels, so hat er einen guten Rundblick über das Kerngebiet des Seenlandes. Eigens dafür wurde die 30 Meter hohe Landmarke gesetzt. In der Ferne sind bei guter Sicht das Kraftwerk Schwarze Pumpe und der Tagebau Welzow-Süd zu erkennen. Direkt am Fuße des rostbraunen Turmes verbindet der bereits fertige Sornoer Kanal den Geierswalder und den Sedlitzer See. Befahren kann ihn noch keiner. Wo mal Wasser stehen wird, donnert jetzt eine kleine Kolonne gelber Quads auf einem Sandpfad entlang. Noch ragen Baumkronen und Erdhügel aus dem Wasser. In zwei Jahren vielleicht sei die Flutung des Sedlitzer Sees abgeschlossen, sagt Uwe Steinhuber von der LMBV, später als ursprünglich geplant.

Das Unternehmen war bereit, am Ufer des Sees eine Lagune zu modellieren. Aber die Pläne liegen auf Eis, seit Senftenberger Stadträte das Geld für Planung und Erschließung nicht bewilligten. Angeblich gibt es bisher keinen Investor für die Lagunensiedlung. Und ohne Investor ist den Stadträten offenbar das Risiko zu hoch, Steuergeld in den Sand zu setzen.

Ähnliches ist auch am benachbarten Partwitzer See zu beobachten. Hier wollte eine Firma namens Aqua Terra mal 16 Millionen Euro rund um den See verbauen. Zu sehen ist davon bisher nichts. Dafür profitiert der See vom Dilemma am Knappensee. Von dort ziehen zwei Segelvereine hierher und planen ein gemeinsames Segelsportzentrum. Dirk Zimmer vom Unternehmerclub Seenland sagt: „Als Investor wird man hier nicht reich, aber man kann überleben.“ Viele würden sich im Seenland ein zweites unternehmerisches Standbein schaffen. Er lackiert neben Autos nun auch Boote. Auf diese Weise könne man auch mal eine Durststrecke überstehen.

Im Geierswalder Wohnhafen Scado mit seinen futuristischen Häusern aus Stahl und Glas scheint diese Durststrecke überstanden. Hier wächst ein Gebäude nach dem anderen auf Wasser oder auf Land. Und dass es anderswo etwas langsamer vorangeht, das kann Karl-Heinz Radochla nicht erschüttern. „Wir haben eben ein wenig Vorsprung“, sagt er. „Aber Bill Gates hat auch mal in einer Garage angefangen.“