Von Ingo Kramer
Ohne die politische Wende von 1989 wäre die Görlitzer Altstadt verloren gewesen. Die meisten Häuser sind erst seitdem rekonstruiert worden. Doch eben nicht alle. „Es gab auch schon vorher Menschen, die sich vor allem um die kleinen Häuser gekümmert haben“, sagt Peter Mitsching, der heute die Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt leitet. Etwa 80 kleine Häuser seien damals in private Hände gekommen. Der oberste Görlitzer Denkmalpfleger muss es wissen, denn er ist einer von ihnen. Mitsching, der 1951 in Erfurt geboren wurde und seit 1977 in Görlitz lebt, war schon damals im Rathaus tätig, arbeitete im Büro für Stadtplanung, baute die Stadtbildpflege auf. Und er sah, wie immer mehr Privatleute kleine Altstadthäuser kauften. „Da wollte ich auch eins haben“, erinnert er sich. 1987 war das. Der Grund war simpel: „Unsere Mietwohnung war zu klein geworden.“ Der zweite Sohn war 1986 geboren worden, der erste bereits 1973. Dass das Haus Karpfengrund 8 völlig ruinös war, als er es kaufte, war ihm bewusst. Es hatte einige Jahre leer gestanden. So regnete es im Dach ein, Hausschwamm breitete sich aus, die Fenster waren hinüber, aber auch Wasser-, Abwasser- und Elektro-Anschlüsse. Der letzte Vorbesitzer hielt einige Hunde und Katzen in dem Haus. Das hatte der Bausubstanz auch nicht gut getan. Seiner Frau erzählte Mitsching besser nicht, dass eine Sanierung einige Jahre dauern dürfte.


Er hat den Wandel des sieben Meter breiten, aber 14 Meter tiefen Hauses detailliert auf unzähligen Fotos festgehalten: „Den Rohbau und die Elektrik haben wir noch vor der Wende geschafft.“ Um Wärme zu erzeugen, hatte Mitsching eine Kohleheizung geplant: „Der Kessel stand schon im Keller. Er kam aus Boxberg und war ganz neu.“ Dann aber kam die Wende. Statt einer Kohle- erhielt das Haus nun eine Gasheizung. Dazu neue Fenster und eine Fassade, die die Entwicklung des Hauses widerspiegelt: Unten Gotik, darüber Renaissance und ganz oben Barock.
Für einen Denkmalexperten wie Mitsching ist der Karpfengrund ohnehin spannend: „An dieser Stelle stand bereits vor der Stadtgründung ein großer Freihof.“ Der brannte 1691 ab. Gleich danach wurden in seinen Außenmauern – also in der Brandruine – vier kleine Häuser errichtet: Der Karpfengrund 5 bis 8. Mitsching kann also davon ausgehen, dass sein eingeschossiger Keller 1 000 Jahre alt ist. Und das Haus in seiner jetzigen Form auch schon 324 Jahre.
Einen Denkmalschutz gab es in dieser Zeit nicht immer. „Zu DDR-Zeiten aber schon“, sagt Mitsching. Museumschef Ernst-Heinz Lemper hat diese Aufgabe damals als „Beauftragter für Denkmalschutz“ mit erledigt. Für das Praktische waren der VEB Denkmalschutz unter Horst Kranich und der VEB Hochbausanierung unter Eberhardt Wünsche zuständig. Freilich war das alles nicht so streng wie heute, aber einfach machen wie sie wollten, das durften die Bauherren schon damals nicht.
Material fand sich oft auf anderen Baustellen. Mitsching etwa besorgte sich seine Dachziegel von Abrisshäusern in der Teichstraße und die Granitplatten für den Fußboden im Parterre von der Hohe Straße/Ecke Heilige-Grab-Straße. „Die sollten in der Grube verkippt werden“, sagt er. Für eine Flasche Schnaps überzeugte er die Arbeiter, sie zum Karpfengrund statt zur Grube zu fahren. Eingebaut hat er sie anschließend selbst: „Ich habe 80 Prozent der Bauleistungen selbst gemacht, denn vor der Wende waren ja keine Firmen da.“ Außerdem war er vom Fach: Er hat ursprünglich Maurer und Putzer gelernt und erst später Farb- und Oberflächengestaltung studiert.
Als mitten in der Sanierung die politische Wende kam, war das für ihn erst einmal ein Schock: „Die Sparkasse hat die Zinsen auf einen Schlag von ein auf sieben Prozent erhöht.“ Auch die Bau- und Materialpreise waren plötzlich ganz andere. Dann aber bekam er von einer Bank aus dem Westen einen neuen Kreditvertrag und konnte umschulden. „Sonst hätte ich das Haus halbfertig verkaufen müssen“, beschreibt er die schwierigste Zeit.
Kurz vor Weihnachten 1991 zog die Familie auf die Baustelle: „Parterre und erster Stock waren fertig, die Heizung lief, da wollten wir nicht länger Miete bezahlen“, erinnert sich der 63-Jährige. Die Wohnräume im unteren Dachgeschoss waren Ende 1992 fertig, die oberen zwei Dachgeschosse blieben als Böden unausgebaut. Manches hat Mitsching im Laufe der Jahre verändert, beispielsweise die Korkfußböden durch Holz und Fliesen ersetzt. Manches würde er mit den heutigen Möglichkeiten anders machen, aber jetzt ist es eben so.
Bereut hat er die Sanierung jedenfalls nie. Und inzwischen kann er ohnehin die Früchte der anstrengenden Jahre ernten. Im Parterre hat er sein Atelier, in dem er schon zahlreiche Bilder gemalt hat. Daneben gibt es eine Sauna, einen Wintergarten – und einen richtigen Garten, der hoch über dem Nikolaizwinger thront und von dem der Blick entsprechend weit über die Nikolaivorstadt reicht. Ringsum leben zum Großteil noch die alten Nachbarn – eben jene, die sich auch schon kurz vor der Wende auf das Wagnis Haussanierung einließen.
Nächste Folge am Mittwoch: Warum ein polnischer Architekt in der Görlitzer Altstadt leben will